Jaqueline Merlin

Elisa


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können wir überhaupt etwas wissen über sie?“ “Es gibt da Hinweise im Gemeinderegister.“

      „Wenn manche Namen nicht richtig waren, kann es sein, dass der Gemeindesekretär diese nicht

      richtig schreiben konnte oder zum ersten Male im Leben gelesen hatte von wegen Auswärtigen?“

      „Also die Arbeiter, auch Handwerker und Angestellten kamen von überall in die Manufakturen.“

      „Der Sekretär war zu stolz, Einwanderer nach der richtigen Schreibweise zu fragen“, glaube ich.

      Als der Sommer mit dem Weidenlaubsänger kam, die Forsythien schon verblüht waren, sah ich

      Deborah wöchentlich und verbrachte mit ihr mehr Zeit, als ich derzeit mit Birgit verbracht hatte.

      Mein Vater mochte sie besonders gern, dass er ihr sogar mal ein weißes Alpenveilchen schenkte

      für ihr Gewächshaus, was sonst nicht seine Art war. Er verstand das sonst als buhlen und wollte

      in Anbetracht des Gentleman, der englischen Höflichkeit der jungen Dame nicht zu nahe treten.

      Ein Nachbar von uns der einstigen Grafschaft wurde von seiner Gattin nur wegen seines Geldes

      geheiratet. Seitdem versuchte er, auf ähnliche Weise an die Liebe junger Mädchen zu gelangen.

      Deborah bekam sein weißes Alpenveilchen mit, weil es ihr so ausgesprochen gut gefallen hatte.

      Eine Galanterie zu dem Mädchen, das seine Tochter hätte sein können, wäre würdelos gewesen.

      Von der englischen Land-Töpferkunst ging Deborah auf das feine Porzellan über und begleitete

      mich auf Auktionen. Einmal triumphierte sie bei ihrer Ersteigerung eines Tellers zum günstigen

      Preis als angepriesen. Sie sprang fröhlich hoch und gab mir rechts und links einen Wangenkuss.

      Das war für mich nichts anderes als das Applaudieren in sichtbarer und hörbarer Versteigerung.

      Sonst zeigte sie in ihrem Benehmen nicht irgendetwas Zärtliches oder sogar Besitzergreifendes,

      was in meine Gedankenwelt zu ihrer Person eindrang. Sie schien ungebunden und ihr Verhalten

      war gleichbleibend freundlich und nichts, was sie sagte oder tat, wies darauf hin, dass sie unsere

      Beziehung enger hielt als andere, die sie kannte, zu Opernfreunden, Freunden ihrer Internatszeit.

      AM SEE

      Eines schönen, warmes Sommerabend holte ich sie von einer Gesangprobe ab und fuhr uns zum

      leichten „after-eight-dinner“ in ein kleines Lokal. Anschließend badeten wir in einem nahen See,

      was sonst wie verboten war, nur zur Erfrischung. Die Schwüle der Jahreszeit überwanden wir, so

      dass es uns danach gleich besser ging nach dem anstrengenden Tag mit einem letzten Auftakt im

      stickigen Pub-Lokal, das sonst recht angenehm war. Doch heute blieben diese Casablanca stehen.

      Es war eine ihrer spontanen Ideen, ein gemeinsames Bad im wenig besuchten Teich mit Forellen.

      Eine halbe Stunde später saß Deborah fröhlich neben mir und frottierte sich energisch ihre Haare.

      Plötzlich warf sie das Handtuch über die Schultern, schlang beide Arme um meinen Hals, wobei

      sie mich auf den Mund küsste und mit Spontanität rief: „David, ich liebe dich! Wie sehr ich dich

      liebe!“ Die Aufrichtigkeit und Emotionalität waren schön und offenbar sowie ein blühender Baum.

      „Ich würde alles für dich tun, ja alles! Du bist einfach wunderbar! Ich will dir meine Liebe zeigen!“

      Es war richtig zu erkennen, dass es sich um keinen geplanten Feldzug handelte, der schon lange

      Zeit im Voraus feststand. Ich vermutete, dass es sie selbst überraschte, sich mir so zu offenbaren.

      Was hielt mich zurück? Warum erschreckte es? Was nur? Aber nein, das gibt es nicht. Es wirkte.

      Die Situationen, wenn eine Birne durchknallt oder ein Hund zubeißt, wie die Ahnung, wenn man

      das auch nicht bewusst gesehen hat, dass man wusste, warum das passierte ist wie Vorwissen.

      Keine moralischen Gründe hielten mich ab und keine Vorurteile zu einer liebenswerten Freundin.

      Liebe ist etwas, für das du dich nicht mit der Waage entscheidest, sagte mir meine innere Stimme.

      Es ist das, was dich ergreift und in Besitz nimmt, auf Gedeih und Verderben wie alles oder nichts.

      Es war eine spontane Eingebung aus meinem eigenen Selbst und überraschte mich mehr als sie.

      Ich kann mich an die nächsten Worte nicht erinnern. Ich glaube, ich sprach von dem Abenteuer,

      dass meine Gefühle Tiefgang bräuchten, wenigstens unberechenbarer sind als so ein Erlebnis.

      Es gab keine Kränkungen, kein Aufruhr, keine Tränen ihrerseits, dazu war Deborah viel zu nett.

      Jenem aufrichtigen Mädchen, das körperlich anziehend war, hatte ich ihr Liebesangebot entsagt.

      Wie schon erwähnt, sie war aufrichtig, reizend, unabsichtlich in ihrer Inbrunst und Hilflosigkeit.

      Sie hatte Besseres verdient. Aber wie höflich und rücksichtsvoll sie war, dass sie meine Abkehr

      tapfer ertrug und nichts Verletzendes erwiderte, sollte sie sich wirklich derart beherrscht haben?

      Der Künstler versteht selten ganz das Material, aus dem er schöpft. Das war in ihrem Fall nicht

      vorhanden oder zu erkennen. Ein hilfloses Blatt im Wind, das plötzlich aufgewirbelt worden ist.

      Ich spürte im Körper und Kopf viel von dem, was auch Deborah fühlte, aber das ging nicht tief.

      Es lag oberflächlicher. Ob als Glück oder Unglück betrachtet, wollte ich mehr, als sie aufzeigte.

      Die zwingende Erregung des Unbekannten, die zitternde Faszination ganz nah der Befremdung,

      im Juni ein junger Mann und sein Mädchen, das ihn zum Prinzen erkor, baden heimlich im See.

      Das war es nicht, weder für mich noch ganz für sie. Darum hatte ich keine Verlegenheit für uns.

      Mein Widerwille erschien mir selbst wie ein Schock oder Mysterium. Ich hatte sie so abgelehnt.

      Was für ein Snob. Ich war kein Snob. Der Snob ist oberflächlich. Ich blieb genau das Gegenteil.

      Es war enttäuschend, wahr, schmerzlich. Wir sollten es so schnell wie möglich vergessen haben.

      Unsere Beziehung war natürlich nicht mehr wie vorher. In welche Richtung hätte sie nun gehen

      sollen? Es stellte sich immens heraus, dass meine Grübeleien von diesem ernsthafteren Ereignis,

      überschattet wurden, was anderes zur Seite schob. Im Hochsommer wurde mein Vater todkrank.

      DER TOD MEINES VATERS

      Ich kann es kaum ertragen, mir diesen Jammer nur kurz in mein Gedächtnis zurückzurufen oder

      meine letzten Erinnerungen an die Krankenhauszeit in der Gegenwart meines Vaters zu wecken.

      Ich schnitt ihm Zeitungsartikel aus, um die er mich bat, sie ihm vorzulesen, bis er dann abbrach:

      „Für heute ist es genug, mein Sohn. Ich bin jetzt zu müde, um andere Neuigkeiten aufzunehmen.

      Ich danke dir für dein Kommen und freue mich, dich morgen zu sehen.“ Dies gab es nicht mehr.

      Die behutsamen Worte des Oberarztes, dass es für Vater auch eine