Jaqueline Merlin

Elisa


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      meiner Mutter im Restaurant eines Nachbarortes gesehen zu haben, als ich mit meinem Fahrrad

      unterwegs war. Frau Whitle, die kurz zu uns zum Tee herein gekommen war, beteuerte, dass sie

      nicht in Newstown gewesen sei, und ich mich irrte. Ich war felsenfest überzeugt, dass sie es war.

      Meine Mutter schickte mich in den Garten, ein Bund Petersilie zu pflücken und fing mich dann ab.

      Auf der Veranda, als ich mit einem Büschel vor ihr stand, sagte sie: „David, ich bin mir sicher, du

      hast Recht. Doch aus einem bestimmten Grund will sie es uns nicht sagen.“ “Warum nicht, Mutti?“

      „Ich weiß es nicht. Doch sollten wir es dabei besser belassen.“ Sechs Wochen später wurde Frau

      Whitle geschieden und war zusammen mit ihrem Liebhaber nicht mehr in dieser Region ansässig.

      Sie verließ uns mit ihm. Natürlich war ich in dem Alter nicht in der Lage, diese zwei Ereignisse zu

      verbinden. In einer Sache, Birgit in Dänemark zu treffen, lag das aber anders als bei Frau Whitle.

      Was sollte mich darin täuschen wollen und wofür? Auch hier war ich mir absolut sicher, dass ich

      es gehört hätte, dass Birgit zum Jahresende in der Heimatstadt sein würde, verflixt wie zugenäht.

      Sie war es selbst, die zaghaft den Vorschlag gemacht hatte, dass ich Dänemark besuchen sollte.

      Doch gab es noch einen anderen Grund, der mich davon abhielt, darin weiter zu forschen. Dabei

      spürte ich deutlich diese Angst vor Unheilvollem, wenn auch nicht bewusst. Als sei ich gestolpert

      über den Stein, den ich besser liegen ließ. Wie ein Kind, das Böses ahnt, ohne real zu verstehen.

      Da war etwas Irritierendes an der Sache, was mir intuitiv im Gefühl kund gab, es nicht zu wissen.

      Als Agamemnon gelaufen war, trafen wir uns nur selten, bis ich sechs Wochen vor Semesterende

      erfuhr, dass ich meine Eltern in Spanien besuchen musste mit dieser erregenden Aussicht auf ein

      Stipendium für Oxford. Die letzte Zeit im Internat verlief flüchtig, verging in Windeseile, mit ganzer

      Konzentration auf mein Ziel: in Deutsch und Französisch mein Diplom zu schreiben. Während ich

      mich von Birgit zunehmend entfernte, vergaß ich dies, sie in Kopenhagen einmal wiederzusehen.

      Unerwartet zu Beginn des Herbstsemesters bekam ich in Oxford Post von dem Hausmeister aus

      Blessfill. Er schrieb mir ein paar kurze Zeilen, dass er hoffe, dass es mir gut ginge und lud mich

      ein zum „Abendessen der Ehemaligen“ im November. Ob ich nicht Lust hätte, mit dabei zu sein

      und mir eine neue Inszenierung von Raybird anzusehen. Pflichtbewusst tauchte ich auf und war

      gespannt auf das Schauspiel der neuen Internatsschüler. Wie bei solchen Gelegenheiten es alter

      Brauch war, gehörte auch der neue Schulsprecher dazu, ein Neusprachler und früher Bekannter.

      Nach dem Abendessen ergab sich ein Gespräch zwischen uns, das für mich aufschlussreich war.

      „Ist das nicht jammerschade um dieses arme, dänische Mädchen, David! Sie waren befreundet?“

      Ich runzelte die Stirn und wusste nicht, worauf er hinaus wollte. „Birgit, nun gut, was ist mit ihr?“

      „Was denn, Sie wissen von nichts?“-“Nein, ich habe nichts mehr von ihr gehört. Was soll sein?“

      “Leukämie! Sie hat offenbar Leukämie. Es sah schlimm aus um sie, als man sie sofort mit dem

      Ferienbeginn nach Hause schickte. Am ersten Abend des neuen Semesters riefen riefen Eltern

      an, baten mich, die Mitbewohner des Internat-Gebäudes ohne Aufwand darüber zu informieren.“

      Ich habe nie erfahren, was aus ihr geworden ist. Ich weiß es heute nicht einmal und will es nicht.

      Es gab keine stichhaltigen Gründe, zu mindestens nicht für Dritte oder dafür eine Erklärung, ich

      hätte eine Vorahnung gehabt. Als ich in jener Nacht wach lag und an Birgit dachte, erinnerte ich

      mich an den Spaziergang für Agamemnon und wie ich davon überzeugt war, dass sie im Herbst

      nicht mehr hier im Internat sein wird. Das Wissen beruhte nicht auf die Aussagen, die ich gehört

      hatte, sondern auf eine innere Furcht in Vorahnung. Ich war fassungslos. Ob es sich wiederholte,

      wusste ich nicht. Eine innere Unruhe überkam mich. Sollte das gleiche mal wiederkehren? Dann

      legte ich diese Angelegenheit ad acta und dachte über Birgit nach, wie über meine gute Freundin

      beim Theater. Ihr kurzes „Tak“, wenn ich ihr einen Terpentin-Lappen zuwarf, zum Reinigen farbig

      verschmierten Hände. Das unbewusste, feste Zusammenpressen der Finger, nachdem der 3. Akt

      zu Ende war, wir auf diesen schrecklichen Todesschrei 'Agamemnons' warteten, bis er hörbar war.

      Aus dem Inneren des Palastes ertönte der dritte Chor, und ein Bühnenbild löste sich langsam auf.

      Dann und wann musste ich dran denken, was wir auf dem Weg zum Internat besprochen hatten.

      Sie wollte im Herbst noch bis Jahresende hier bleiben und wie ich ihr darin widersprochen hatte.

      Es lief mir ein kalter Schauer den Rücken herunter. Doch versuchte ich, es besser zu vergessen.

      Ich behielt sie in Erinnerung, wie die Birgit, die ich einmal gerne gemocht hatte und weiter nichts.

      MEIN OXFORD-STUDIUM

      Fortan widmete ich meine ganze Aufmerksamkeit einem neusprachlichen Studium in Oxford, das

      mich völlig vergessen ließ, womit ich meine Freizeit im Internat verbrachte und ob ich die Fische

      im Bach gefangen hatte. Ich musste mich anstrengen, für meine Doktorarbeiten Neues zu lernen.

      Neben Deutsch und Französisch lernte ich ein brauchbares Italienisch, es war leicht zu sprechen.

      Dänisch hingegen ist eine schwierigere Sprache. In Dänemark spricht man oftmals auch Englisch.

      Mir ging Dänemark nicht mehr aus einem Sinn, was ich trotzdem persönlich kennen lernen wollte.

      Vielleicht hatte mich Birgits Erscheinung ja mehr berührt, als ich es für mich wahrhaben konnte.

      Nach zwei Jahren Oxford, die ich glücklich verbrachte, was meine Examina und Freizeit betraf,

      machte ich mir Gedanken, womit ich in der Zukunft meinen Lebensunterhalt begleichen konnte.

      Mein Vater hatte für meine Schwester Georgia und mich ein halbes Vermögen in unsere Studien

      investiert. Georgi, wie wir sie nannten, hatte mit Bestnoten in Geschichte abgeschnitten und war

      wie geschaffen für das Lehramt. An einer Oberschule verdiente sie sich bereits unabhängig Geld.

      Wenn unser Vater es mit etwas Taschengeld besiegelte, so weil er auch seine Tochter verwöhnte.

      Georgi war drei Jahre älter als ich und verheiratet. Sie hatte ihre vierjährige Tochter Beatrice, kurz

      Trixi genannt. Wir hatten ein gutes und leider entferntes Verhältnis, dass uns andere als Kick & Ei

      benannten. Es ging nicht überall so harmonisch zu in einer Familie wie bei uns, was ich anderswo

      erlebte. Ich war froh darum und hielt es in Ehren. Georgia hatte