Jaqueline Merlin

Elisa


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mir war verankert, dass jegliche Tändelei und Zärtlichkeit in verschlossener Requisitenkammer

      bleiben werden. Ich würde den Ball spielen, wie er käme, ohne Berührung der Hände oder Lippen.

      Lange bevor die Zeitbombe meines ersten unverhofften Orgasmus im Schlafsaal explodierte, war

      ich mir sicher, dass kein Mädchen und keine Frau an mir körperlichen Gefallen finden dürfte, wie

      ich nicht an ihr. Was bis in meine frühe Kindheit zurückreichte, war die Gewissheit des Schweins-

      Gesichts und der nicht Attraktivität, in mir hatte sich kompensierend zum Äußeren mein Innerstes

      hoch entwickelt, womit ich wiederum niemanden belästigen wollte.- Ich genügte mir selbst alleine.

      Die Schönen merken oft gar nichts von ihrem Reichtum, der süßer ist, als sie es nur ahnen können.

      Sie sind es gewöhnt, betrachten das als selbstverständlich, sich überall im Licht zeigen zu können.

      Dass man Zweifel an der eigenen physischen Anziehungskraft hat, scheint ihnen sehr befremdlich,

      ähnlich wie ein Eingeborener. Doch im Urwald wird man ihm das nicht anmerken, dort ist er echt.

      Mit sechzehn Jahren hatte ich mich an den Komplex gewöhnt, mit dem ich lebte sowie Diabetiker

      mit ihrem Handicap. Menschen, die nicht schwindelfrei sind, sie können Süße und Höhen meiden.

      BIRGIT UND DAS GRIECHISCHE THEATER

      Paradoxerweise lernte ich dann doch für zwei Jahre ein sehr lebendiges Mädchen kennen in einer,

      wie man sagt, platonischen Beziehung, die dem Namen Ehre machte, weil sie in engem Bezug zu

      dem griechischen Theater stand. Wir entwickelten beide unsere Leidenschaft für Aischylos‘ Werk

      'Agamemnon'. Birgit, ein dickes, dänisches Mädchen, das nicht besonders ansehnlich war, vertrat

      die Meinung, dass Klytämnestra eine kaltblütige, selbstsüchtige Mörderin war, die Agamemnon in

      eigenem Interesse umgebracht hatte, um sich in den Schutz ihres Liebhabers Aigisthos zu stellen.

      Sie glaubte, dass sie niemals befürchtete, ihr Verbrechen könnte danach ans Tageslicht kommen.

      Zwiespalt trat in mir auf, als ich dies pauschale Urteil, ein viel zu leicht gestricktes Muster, von ihr

      vernahm. Dazu war das griechische Theater zu hintergründig in der stilistisch sicheren Wort-Welt.

      Ich saß neben ihr mit dem Textbuch in der Hand und las den gesamten zweiten Teil einer Trilogie,

      'die Totenspende', um heraus zu bekommen, ob Aischylos dies wirklich so schuldig gemeint hatte.

      Fühlte sich Klytämnestra in ihrer königlichen Macht unantastbar, dass sie sich zu dieser Tat erhob?

      Lange Zeit nach diesem Mord war es Orest, der Sohn von Klytämnestra, der von Mykene geflohen

      war, um seinen Vater Agamemnon zu rächen. Orest kehrte als Fremder zurück, um seine Mutter zu

      ermorden. Ich fragte den Regisseur Raybird, ob Klytämnestra ihren Sohn vorher erkannt hatte, und

      warum sie kein Wort verlauten ließ in seiner Gegenwart. „Natürlich hatte sie Orest erkannt. Für sie

      gab es nichts mehr zu sagen. Das war die Allmacht der Götter, der sie sich in dem Moment beugte.“

      Ihr blieb nichts anderes mehr übrig, als ihre Würde zu bewahren. Birgit war in dieser Hinsicht ganz

      anderer Meinung. Sie widersprach, dass man zum Schluss Sympathie für die blutrünstige Mörderin

      empfinden sollte. Wir stritten uns nicht unbedingt über das Thema. Ich mochte ihre Hartnäckigkeit.

      Trotzdem fragte ich nochmals Raybird in Regie, woran sie Orest erkannt hatte? „Ihr Gewissen war

      es, das sie verriet. Jahre lang trug sie das Geheimnis in sich und hatte auf Orest beinahe gewartet.“

      Birgit war die Nichte der Frau des Hausmeisters, die ihre Tante gelegentlich besuchen kam. Ich sah

      sie später als eine Art Leidensgenossin, die nicht in den Respekt von Aphrodite kam und fühlte wie

      sie, wenn auch ohne einer Berührung, was sich mein Mitschüler lästernd zur Angriffsfläche machte.

      Ich stieß ihn ohne ein Zögern den Hang einer Böschung hinab,- was niemand vorher gedacht hätte.

      Ein Junge namens Bill stand in seiner Clique, die lang ausgestreckte Zungen über kalte Eiskugeln

      zogen, auf dem Hang und rief mir lauthals hinterher: „Dort kommt der dänischer Torten-Bäcker als

      Götterbote Paris und schwebt dem griechischen Theater unter Ausschluss von Aphrodite hinüber.“

      Ich hätte es ihm nie zugetraut. Doch statt seine Frotzeleien zu ignorieren oder zu kontern, verübte

      ich etwas Unerwartetes aus einem spontanen Gefühl heraus, dass es im Gelände bekannt wurde.

      Der Hausmeister, dem ich viel Sympathie entgegen brachte, sprach mich wenige Tage danach an.

      „Hallo David, auf dem Weg zu ihrer Freundin, um sich dem griechischen Theater ehrend nützlich

      zu machen?“ - “Ja, Sir“, antwortete ich kurz im Vorübergehen. Er hielt mich am Ärmel fest, indem

      er mich sachte an sich heranzog. „Nur ruhig Blut“, sagte er. „Wissen Sie, solch Frotzeleien, wenn

      die auch nicht nett sind, muss man nicht gleich mit derart drastischen Maßnahmen beantworten.“

      Wir lächelten uns an. „Tut mir leid, Sir. Das wird nicht wieder vorkommen“, sagte ich schlicht wie

      begreifend. Ich erfuhr von ihm, dass sich Bill beim rasanten Absturz seinen Arm gebrochen hatte.

      Zum Glück gab es einen Zeugen in der Clique, der klar bestätigte, dass dies Bill angestiftet hatte.

      Mich verwunderte die Aussage eines Kameraden,- doch musste ihn mein Gefühl verdutzt haben.

      Als würde man in eine andere Welt versetzt werden, wenn ein Fisch gefühlvoll zu Jungen spricht.

      Das Image am College nahm die Kehrwende vom schüchternen Einzelgänger zum respektierten

      Mitschüler, der im Vergleich zu anderen eine Freundin hatte,- die in der Reife Mädels voraus war.

      VORAHNUNGEN

      Ich erfuhr viel Interessantes über Dänemark, dass ich ihr versprach, sie in den Semesterferien zu

      besuchen, um mir den Dom des 13. Jahrhunderts unter anderen Sehenswürdigkeiten anzusehen.

      „Vielleicht gelingt es mir sogar schon vor Jahresende zu Weihnachten, wenn ich meine Eltern in

      diesem Jahr nach Weihnachten wiedersehe. „Es wäre wunderbar, doch bin ich Jahresende nicht

      dort.“- “Hast du nicht gesagt, dass du Weihnachten in Dänemark feierst?“ “Das habe ich niemals.“

      Ich wunderte mich. Ich war davon überzeugt, dass ich dies gestern aus ihrem Mund gehört hätte.

      „Das habe ich nicht gesagt!“ bekräftigte sie wiederholt ihre Worte mit einer üblichen Willensstärke.

      „Dann hat es dir jemand anderes gesagt.“ Ich überlegte, dass ihr Onkel es mir nicht gesagt haben

      konnte. Letzte Zeit hatte ich ihn als Hausmeister, sowie auch sonst nicht weiter mehr gesprochen.

      Woher sollte ich das wissen? Wer hatte mir das gesagt, was sich bei ihr als Gerücht herausstellte.

      Ich