Jaqueline Merlin

Elisa


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egal ob sie nicht mehr auf das Töpfchen ging, eingeschult war,

      zur Oberschule wechselte, ihren Ehemann kennen gelernt hatte und ihre Tochter bekommen hatte,

      wie sie vor zwei Jahren das Lehramt für Geschichte und Latein einnahm, als Beamtin unabhängig

      von anderen finanziellen Zuwendungen. Ich war lebenslang an Sie gewöhnt als ihr kleiner Bruder.

      Unser Vater war Ende der Fünfziger, gesundheitlich schwächer geworden, jedoch nicht kränkelnd.

      Ich machte mir manchmal Gedanken um sein Antiquitäten-Geschäft in London, das er immer gut

      alleine führte. Jahrzehnte lang hatte er sich Wissen angeeignet, um die anspruchsvollen Kunden

      zufrieden zu stellen und zu bewahren Es wäre schade drum, wenn jener Laden in fremde Hände

      kommen würde. Ich freundete mich mit meiner Vorstellung an, ihn an seiner Stelle weiterzuführen.

      In Oxford fing ich Feuer für neue Sprachen, kaufte mir von meinem Taschengeld die Grammatiken

      Französisch, Italienisch und Deutsch, einige Sprach-Cassetten für die Aussprache. Dänisch einzig

      als Reiseführer mit üblichen Redewendungen, die einem den Reise-Aufenthalt im Land erleichtern.

      Doch mit Sprachen konnte man im geschäftlichen Sinn nicht besonders viel anfangen, wie ich fest-

      stellte. Sie waren hilfreich bei Auslandsreisen, in der Korrespondenz im Export- und Importhandel,

      stellten allein keine Grundlage dar für die gewinnbringende Wirtschaftlichkeit, die einen versorgte.

      Ich befand mich in dem Stadium, in dem junge Mädchen in Pferde vernarrt sind, jede freie Minute

      dafür nutzen, sie zu striegeln, zu füttern, den Stall zu säubern, in einer Runde führen und ausreiten,

      ohne sich bewusst zu sein, ob sie ihre Liebe in Richtung Trabrennbahn, Sechstagerennen, Galopp,

      Sport, Dressurreiten oder für die Pferdezucht verwenden. Ob sie Pferdepfleger werden oder Traber.

      MEINE NACHFOLGE IM KERAMIKHANDEL

      Ich hatte bis jetzt nichts anderes erlebt als das Antiquitäten-Geschäft meines Vaters für die Familie

      und neue Sprachen in eigener Vorliebe mit Begeisterung. Ich versuchte, darin eine Schleife binden.

      Natürlich fehlte es mir bislang an grundlegendem Fachwissen für den Antiquitäten-Handel. Jedoch

      war ich mir sicher, dass ich es nirgends schneller lernen könnte als in dem Geschäft meines Vaters.

      An einem Sonntagnachmittag, als unsere Familie zum Kaffee auf der Veranda saß mit dem typisch selbstgebackenen, englischem Kuchen, der eine Tradition war, ein altes Rezept meiner Großmutter,

      eröffnete ich feierlich zum ersten Mal die Überlegungen, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.

      Ich saß neben Georgi, meiner hübschen, warmherzigen Schwester, die mich bereitwillig anlächelte.

      Unsere Mutter blickte auf die gemähten Ernte-Hügel des Hochsommers und wurde nachdenklicher

      als sonst. Sie besaß die vollkommene Art der ‚First Lady‘. Sie wusste, wann schweigen besser war

      als reden. Ich hätte gern gewusst, was in dem Moment in ihr vorging, der tiefe Verbundenheit war.

      Keiner von ihnen hatte irgendeinen Einwand. Die Frage meines Vater erprobte nur eine Sicherheit,

      ob ich den Wunsch wirklich aus freien Stücken hege und nicht aus dem Pflichtgefühl seines Sohns.

      „Vielleicht ist es eine dumme Frage, David, aber du bist dir sicher, dass du das später nicht bereust

      als Oxford-Absolvent? Dass sich nicht ein Gefühl von Standesbewusstsein, oder wie man es nennt,

      dem alltäglichen, einfachen Kaufmanns-Dasein entgegen gesetzt wird? Dass du was untergräbst?“

      „Um Himmelswillen, Vater, nein!- Das glaube ich nicht! Ich fühle eher Stolz bei diesem Gedanken.

      Schließlich war es schon die englische Handelsflotte, die ihre Kapitäne Tradition werden ließ, und

      dabei stetig wieder neue Ufer anstrebte im kämpferischen Wettbewerb des Handels, Ihre Majestät!“

      Mein Vater lachte laut und herzlich. Jetzt zeigte er Genugtuung, worin sich seine Familie einreihte.

      Ob mir der Wind stärker um die Ohren blies als zuvor, konnte ich feststellen, wenn ich darin stand.

      Ich hatte ihn mir lange Zeit um die Nase wehen lassen, bis Georgi mir erneut vorangegangen war.

      Wir plauderten bis in den Abend hinein, small talk, wie man in England sagt, über unsere Ahnen.

      Scharlatanerie und Hexerei, Französische Revolution, ein Urenkel meines Urgroßvaters, in 1749.

      Ein Bauer, der das Wetter vorhersagen konnte, den Ausfall einer Ernte und die Babys bestimmte,

      wurde mit seinen eigenen Waffen geschlagen, als er eine Frau verriet, die ihr Baby getötet haben

      sollte oder beseitigt hätte. Er brachte es der französischen Polizei näher. Im Gericht gab sie kund,

      dass er zurzeit der Geburt ihres Babys ihr Liebhaber gewesen sei, wenn nicht vielleicht der Vater.

      Mich interessierten dabei der Seher und die vorher Ahnungen mehr als jenes unerwünschte Baby.

      Unser Ladengeschäft mit Keramikkunst sei bei meinem Großvater entstanden, unser Urgroßvater

      hätte schon Anteile gehabt, der unterstützte das Geschäft seines Sohnes, wie Vater es bei mir tat.

      Ein Jahr später war es offiziell. Mir gehörten eigene Anteile vom Keramikgeschäft meines Vaters.

      Mit meinem zweiten Staatsexamen, das sich so gut sehen lassen konnte wie dieses von Georgi,

      war ich täglich in London und beriet die langjährige Kundschaft für Antiquitäten selber im Laden.

      Frühere Kunden kannten mich von klein auf. Sie zeigten offensichtliche Freude am Wiedersehen.

      Es waren erst zwei Monate vergangen, und ich wusste, dass die Töpferkunst meine Berufung ist,

      weil ich mich allen Kunstwerken des alltäglichen Gebrauchs gewidmet hätte, ohne damit Geld zu

      verdienen. Dies ging am Geschäftssinn vorbei, doch beflügelte es meine Arbeit.

      Meine ganze Seele lag darin, wenn ich mir diese verschiedenen Motive von Tieren, Ornamenten,

      Pflanzen, Blumen oder Skulpturen ansah, die oft schöner aussahen als in der realen Wirklichkeit.

      Letztendlich hatte der Mensch dem Tier voraus, dass er gern dekorierte und edle Ambiente schuf.

      Wenn die Vögel mit ihrem Gesang der Musik nahestehen, gar Lust, Werbung und Befriedigung in

      langgezogenen Vokallauten, Höhen und Tiefen im rhythmischen Wechsel als Takt in der Melodie

      wiedergeben, so bleibt Dekorieren, Zeichnen und Malen den Menschen überlassen in ihrer Kunst.

      Diese Welt, in der Ton herausgegraben, in Schmelzöfen gebrannt, emailliert sowie glasiert wurde,

      war die gleiche, in der die Phönizier das Geld erfunden hatten, in Folge des Tauschhandels zuvor.

      Ich musste zwei Perspektiven auseinander halten und erfuhr, dass sie sich hervorragend ergänzten.

      „Der Vertrieb lebt mit einer Seele, die Buchhaltung ist das Herz des Geschäfts!“, betonte mein Vater.

      Er wies mich darauf hin, dass diese bewundernswerte Haltung jenseits des schnöden Profits, auch

      beinhaltet,