Jaqueline Merlin

Elisa


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      Zuerst dachte ich, ich höre nicht richtig.- „Elisa, mit der offenen Schnittwunde auf dreckigen

      Bürgersteigen, nur ein Pflaster! Machen Sie bitte keine weiteren Einwände, wenn ich Ihnen

      neue Schuhe kaufen möchte.“ Sie zögerte einen kleinen Moment, dann gab sie nach. „Es ist

      reizend von Ihnen, David. Das ist wirklich äußerst nett von Ihnen.“ Dann fuhr ich sie zu Illum,

      einem bekannten Schuhgeschäft in Kopenhagen, in dem Sie gewiss zwei Dutzende Schuhe

      ausprobierte zum sichtbaren Verdruss einer schwer beladenen Verkäuferin. Sie lief stets im

      Wandspiegel auf und ab, mit Entzücken über die Eleganz ihrer Füße, die sie zur Schau trug.

      Nach einer Stunde entschied sie sich endlich für die hochhackigen, marineblauen Sandalen,

      die ich mit Kredit-Karte bezahlte. Darin durfte ich sie bis zur Immer-Bushaltestelle begleiten.

      Inzwischen wusste ich, dass es sinnlos war, sie umzustimmen. Sie wirkte traurig in Bedacht

      auf Körperhaltung und Selbstkontrolle. Ihre Stimme bebte, als sie in Trivialitäten schwatzte,

      mit der Selbstsicherheit, die ihr anscheinend nie abhanden kam, wie ich feststellen konnte.

      Sie war betrübt. Ich hatte keine Lust zu Smalltalk. Ich sagte ihr traurig, wie sehr ich erhoffe,

      dass wir uns wiedersehen, wenn ich nächstes Mal in Kopenhagen bin, ich wünschte es mir.

      Ich dankte ihr für ihre Briefe und drehte mich kurz um zum Winken.- Dann fuhr der Bus los.

      Ich sah ihm nicht nach, sondern verschwand wie rasch aus der Affäre in einer Seitenstraße.

      Jani und Lotte hatte ich gesagt, dass ich am heutigen Abend nicht da sei. Obwohl es nichts

      ausgemacht hätte, widerstrebte es mir, das nicht einzuhalten. Ich entschloss mich für einen

      Kinofilm. Worum es dabei ging, kann ich beim bestem Willen nicht mehr sagen. Das Gute

      daran war, dass mir eine Kinogesellschaft Beistand gewährte in dieser trostlosen Situation.

      MEINE ENTSCHEIDUNG

      Als ich Sonntagmorgen in der Badewanne lag, beschloss ich, dass ich Montag noch bleibe.

      Kopenhagen würde ich zwei Tage später verlassen. Jani und Lotta flogen ins Ausland zum

      Baden und Entspannen am Meer, sie machten in Spanien Urlaub. Ich müsste mir ein Hotel

      suchen für die nächste Zeit. In Wahrheit wusste ich selbst nicht genau, wie dies weiterging.

      Der Umtauschkurs der dänischen Kronen zu den englischen Pfund war teuer, die Hotels in

      Kopenhagen auch. Ich verschwieg es Lotta und Jani, obwohl sie es verstanden hätten, aber

      Glaube hinderte mich daran. Ich hatte Vertrauen zu ihnen und Bedenken ihres zu verlieren,

      wenn sie meinen verlängerten Aufenthalt in Kopenhagen erfuhren und es nicht verstanden,

      warum ich ihn geheim gehalten hatte. Kopenhagen wäre die letzte Stadt gewesen, in der es

      verwunderlich wäre, wenn man einfach sagte, dass man sich in ein Mädchen verliebt hätte.

      Dass man sich zu ihm hingezogen fühlt und nicht, weil man ihm Schuhe neu gekauft hätte.

      Unser Ausflug war vorgestern. Meine Entscheidung entsprang aus reiner Phantasie heraus.

      Nachdem ich Lotta und Jani zum Flughafen gefahren, ihnen gewinkt hatte, suchte ich nach

      einem soliden Hotel. Ich stornierte meinen Flug, der eine Stunde später wäre, aß zu Mittag

      und fuhr zurück nach Kopenhagen zum Krone-Hotel, in dem ich ein kleines Zimmer buchte.

      „Spreche ich mit Elisa?“ „Oh, David, Sie sind nicht schon im Flugzeug nach London?“ Ich

      wunderte mich über ihre aufgeschlossene Haltung, die keinerlei Teilnahmslosigkeit zeigte.

      „Nein,- äh, ich habe hier noch Geschäftliches zu erledigen, ich bleibe noch kurze Zeit hier.

      Wie geht es Ihrem Fuß?“ „Meinem Fuß? Oh, meinen Fuß hatte ich schon ganz vergessen,-

      dem geht es gut.“ „Schön, Elisa, können Sie heute Abend mit mir essen gehen?“ „Nein, es

      geht leider nicht heute Abend. Es tut mir leid, David. Doch bitte bedrängen Sie mich nicht.“

      „Und morgen Abend, geht es morgen?“ Pause - „Moment, lassen Sie mich nachdenken. Ja,

      morgen müsste es sich einrichten lassen. Ich denke schon, am besten, ich rufe nochmals an

      im Krone-Hotel. Heute Abend melde ich mich zwischen sieben und acht Uhr abends. Aber

      jetzt muss ich unser Telefonat beenden. Hier ist jede Menge los. Ich muss an meine Arbeit.“

      „Gut, dann warte ich. Ich nehme den Hörer ab, bevor Sie zum zweiten Mal klingeln, Elisa.“

      „David?“ „Ja? Machen Sie sich keine Bedenken. Ich glaube schon, dass das klappen wird.

      Also dann, auf Wiedersehen, für heute Abend auf Wiederhören, ich freue mich schon sehr.“

      Dreißig Stunden, die ich ohne sie durchhalten musste. Dreißig Stunden, in denen ich lieber

      als Siebenschläfer überwintert hätte, als Motte im Schrank und als Raupe bis zu der letzten

      Entpuppung, meiner endgültigen Entfaltung, die mich als Schmetterling davon fliegen ließ.

      Dreißig Stunden, die ich gern als geschnürtes Paket in den See geworfen hätte. Ohne Elisa,

      meinen Neuwagen und ohne positive Gesellschaft hatte ich keine Lust, irgendetwas zu tun.

      Auch nicht auf Zerstreuung, ich konnte nicht den ganzen Tag durch viele Geschäfte laufen

      oder mir Filme ansehen, die mich nicht interessierten. Gewiss hätte ich die dreißig Stunden

      sinnvoll nutzen und mir Fachbücher ansehen können, die ich vor meiner Reise ins Gepäck

      gesteckt hatte: Über königliche Porzellan-Manufaktur der Dänen und Engländer, Meißener

      Porzellan-Malerei, die KPM in Berlin. Nein, das Fatale war, dass ich mich nicht einmal an

      meinem beruflichen Interesse erfreuen konnte. Ein Dauerzustand durfte es nicht werden in

      Anbetracht meiner Selbständigkeit. Im frühen Zustand bereitete mir das noch keine Sorgen.

      Konnte ich überhaupt etwas tun, dann fiel mir genau das ein, was ich mit ihr gemacht hatte.

      Ich fuhr nochmals zum See, ließ mir frischen Wind um die Nase wehen und ging spazieren.

      Wie ein Eremit saß ich an einer ruhigen Stelle des Seeufers und versuchte meine Gedanken

      zu sammeln. Auf einem langen Grashalm neben mir ließ sich ein gelber Zitronenfalter nieder,

      der mich auf die richtige Idee brachte. „Oh, schau‘ nur, was für ein bildschöner Schmetterling!

      Wie nennt man ihn auf englisch? Sie sind ein Mann, der immer etwas ganz Bestimmtes vorhat

      und alles plant.“ Genauso war es. Bald würde ich im asiatischen Imbiss zu Mittag essen gehen.

      Dieser schüchterne Einzelgänger, der keine Liebeserfahrung hat, war dem brillant schillernden

      Schmetterling ins Netz gegangen? Nein, hinterher gesprungen auf einer Frühlingswiese bunter

      Blumen, wie er sich von einer Blüte zur anderen schwang. Wenn dies Herr Larson auch nicht so