Jaqueline Merlin

Elisa


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von Helsingor oder die Plattform auf den Zinnen am sonnigen, warmen Maitag.

      Elisa in einem weißgelben Kleid mit marineblauer Strickjacke, keine anderen Lebewesen in Sicht.

      „Guck‘ mal, da ist Helsingborg in Sicht, David. Da drüben in fünf Kilometern auf der Küstenseite.

      Wir könnten in zwei Stunden hinüber schwimmen. Wir kämen in jene Strömung, die viel kälter ist

      als hier, wir würden in Kullen landen auf dem Grund und könnten den Weg nach England zu Fuß

      zurück gehen. „Trotzdem wäre es schön. Schwimmen Sie gerne, Elisa?“ „Ich liebe es. Ich bin viel geschwommen, einmal gar acht Kilometer.“ „Wo?“ „Och, weit weg im Süden, da, wo es warm ist.“

      Sie schwieg, blickte auf den blauen Sund, hoch zu dem Trompeter-Turm, sie schwärmte weiter so.

      „Ich würde um die Welt schwimmen, wenn ich könnte. In die Tropen, in denen es immer warm ist.“

      „Ja, da würde ich mitkommen.“ Ich erzählte ihr von dem Fluss in Oxfort und von der Schleuse bei

      Iffley, wie ich dort von dem aufschäumenden Wasser herum geworfen wurde in ihrem starken Sog.

      „Ja, natürlich, so was ist schön.“ Sie stützte beide Hände auf die Brüstung und lehnte sich hinaus,

      wieder nach Helsingborg hinüber schauend. „Kamen Sie mit Ihrem Antiquitäten-Handel auch mal

      dorthin?“ “In Stockholm bin ich schon gewesen. In Helsingborg aber noch nie. Und Sie?“ „Einmal

      mit der Fähre hinüber, nur so zum Spaß.“ „Und hat es Spaß gemacht? Die Stadt sieht schön aus“,

      hat man mir gesagt. „Die Stadt ist langweilig und öde. Aber die Gärten waren hübsch, da war ich.“

      „Ganz alleine?“ „Ja, fast.“ Sie schwieg. „Ja, fast. Ja, allein. Sofiero war herrlich.“ Ich lachte sie aus.

      „Elisa, wie kann man fast allein sein?“ Sie wendete sich um und sah mich lächelnd an. „David, Sie

      sind eifersüchtig?“ „Nun, ich könnte es fast werden.“ „Bitte, wenn Sie fast eifersüchtig sein könnten,

      dann kann ich auch fast allein sein. Tragen Sie draußen immer diesen Feldstecher mit sich herum?“

      „Fast immer. Wissen Sie, ich – oh hoppla.“ Sie wickeln mich in meiner eigenen Sprache ein, muss

      ich sagen.“ „Sie haben noch kein einziges Mal hindurch gesehen.“ „Vielleicht war ich doch zu sehr

      beschäftigt, Sie anzusehen. Schiffe und Vögel kann ich mir immer noch ansehen.“ „Sie haben mir

      gesagt, Sie wollen die Schnitzereien in der Kapelle sehen.“ „Ich weiß, aber hier oben ist es sonnig

      und warm. Die Kapelle ist innen, außerdem bin ich faul und träge.“ „Das passt gar nicht zu Ihnen.“

      „Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen mich doch gar nicht.“ „Ich weiß es eben, darum basta.“

      Sie hatte recht. Wenn ich sonst einen Ausflug mit jemandem und mir plante, musste ich mir etwas

      ansehen, anhören und festhalten. Einfach nur so an der Brüstung herumzutrödeln, war mir fremd.

      „Heute haben Sie den Kopf abgenommen und vergessen, ihn wieder aufzusetzen. Es ist genauso.“

      Dies ging dicht an der Wahrheit vorbei. Wenn ich sonst mit einer Bekannten einen Ausflug machte,

      peilte ich ein Ziel an, die Besichtigung einer Kathedrale, der Besuch eines Restaurants sowie des

      Konzerts. Es betraf nicht nur Deborah, sondern auch andere Bekannte, einfach herumzutrödeln an

      der Stadtmauer wie in Kronborg, war mir bislang fremd, etwas Selbstvergessenes ohne Programm.

      Wir hatten uns weder die Holzschnitzereien in der Kapelle noch die noblen Wandteppiche aus dem

      sechzehnten Jahrhundert angesehen, ich hatte keine Lust mehr dazu. Die Schlossbesichtigung fiel

      buchstäblich ins Wasser, als wir dem Meer nachsannen, über unsere gemeinsame Leidenschaft des

      Schwimmens redeten und den Möwen nachschauten. Elisa brauchte keinen anderen Zweck, als gut

      daran zu tun, dass ich ihre Anwesenheit leichtfertiger genoss, als hohe Deckengemälde anzusehen.

      Der Königssaal wurde uninteressant für mich. Nur wir zwei zählten im Hier und Jetzt, dabei Sonne

      tanken und Zeit verschwenden im Anblick dieses wunderschönen Mädchens war eine helle Freude.

      Elisa genügte sich selbst, die Inkonsequenz wurde zu meiner Tugend, wenn sie mir beibrachte, den

      Augenblick bewusst zu genießen, viele Erlebnisse wie Konzentration einer anderen Wahrnehmung.

      Was mich bisher langweilte oder irritierte, gewann an natürliche Bedeutung. Stolzer Pragmatismus

      verlor an Wert im Vergleich zur Schwerelosigkeit in ihrer Nähe,- bei ihr konnte alles von Wert sein,

      was sie hier in diesem Moment erlebte. Es war wohl schon an diesem Ausflugstag, also recht früh,

      dass in mir jenes Bild von Elisa wuchs, dass sie allein mit ihrer Gegenwart überall den Augenblick

      verzaubern konnte. Ohne Ziel und Zweck stand sie ganz natürlich im Mittelpunkt mit einem Selbst

      sowie das Wirken der Bäume samt dem Rascheln ihres Blattlaubs, wie eine angeborene Autorität.

      „Oh, sehen Sie doch, David, ein Käfer, wie schön!“ Ein leuchtend grasgrüner Käfer, dessen Augen

      dunkel aus beiden Seiten seines Kopfes hervortraten, sonnte sich auf der Brüstung auf dem Stein.

      So nah bei ihr, dass sie ihn behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, und auf die Hand

      setzte. Ihre Finger waren wunderschön geformt, die ovalen Nägel wölbten sich, glichen Perlmutter

      Muscheln in der glatten und glänzenden Farbe. „Es macht Ihnen nichts aus, wenn so ein Käfer auf

      Ihrer Hand sitzt?“ „Nein, warum?“ fragte sie überrascht. „Die meisten Mädchen haben etwas gegen

      Insekten.“ „Ach,- pff“, mit einem Fingerschnippen. „Ich habe hier noch nie einen so schönen Käfer

      gesehen.“ „Der grüne Sandläufer, cincindela campestris, in England ist er weit verbreitet, der sonnt

      sich. Sie fliegen schnell weg, wenn man sie stört. Wie er hierher gekommen ist?“ Der Käfer öffnete

      seine Deckflügel und brummte davon. „So ist er hergekommen.“ Er drehte seine Schleife, landete

      wieder auf ihrem Ärmel. „Sehen Sie doch, von wegen Sonne genießen, mich mag er.“ Dann flog er

      weit weg, zu dem Graben, der Gras bewachsen war und ihm ein gutes Versteck bot.

      Ich lehnte mich über die Brüstung und schaute ihm lange nach, bis mir jenes alte Gedicht einfiel.

      „Wie ein Käfer in die See nickt über seinem Fuß.“ „Was bedeutet das? Erklären Sie es mir, bitte.“

      Jetzt hatte ich den Käfer aus den Augen verloren. Ich konzentrierte mich auf die weiteren Verse:

      „Wie wenn es hin zur Flut euch lockt, mein Prinz,

      vielleicht zum grausen Gipfel jenes Felsens,

      der wie ein Käfer nickt über seinem Fuß?

      Und dort in andere Schreckgestalt sich kleidet,

      die der Vernunft die Herrschaft rauben könnte,

      Und euch zum Wahnsinn