Jaqueline Merlin

Elisa


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      „Escargots?“ Sie war erstaunt über den Namen. Falten legten sich auf die Stirn. „Schnecken, Elisa.“

      „Richtige Schnecken, die man essen kann?“ „Ja,- probieren Sie mal!“ Ich reichte ihr meine Gabel.

      Sie nahm sie mir nicht aus der Hand, sondern aß direkt von der Gabelspitze mit höchstem Genuss.

      „Hm, die hätte ich mir auch bestellen sollen.“ Ich rief den Kellner. „Es lässt sich sofort nachholen.“

      „Doch wollte sie lieber nicht mehr essen und war froh, dass wir beide Knoblauch gegessen hatten.“

      Sie machte sich wieder über den Chefsalat her und inspizierte konzentriert diverse Gemüsesorten.

      Trotzdem ließ sie mit einem Lächeln und Kopfnicken den Kellner erneut an jenen Tisch kommen.

      Einmal bestellte sie eine Scheibe Schwarzbrot mit Butter für die Salat-Eier, das weitere Mal einen

      größeren Teller, weil ihr Gemüse übereinander lag, ohne dass sie die Sorten unterscheiden konnte.

      „Es tut mir leid, Madame. Ich glaube, der hier ist der größte Teller, den wir haben.“ „Besten Dank!“

      „Dann bringen Sie mir bitte einen heißen Teller für das Cordon bleu. Und die Gemüseplatte bleibt

      hier auf dem Tisch.“ Ich weiß, wie es mir ergangen wäre, hätte ich solch ein Anliegen empfangen.

      Der Oberkellner ließ die anderen Gäste nicht aus seinen Augen und ging den Extravaganzen nach.

      Als er Elisa fragte, ob es jetzt zu ihrer Zufriedenheit geregelt sei, antwortete sie mit vollem Mund:

      „Jetzt ist alles ganz wunderbar.“ Er freute sich über die Aufmerksamkeit, die sie entgegen brachte.

      Mir selbst fiel es schwer, etwas zu essen. Denn ich musste jede Geste und Mimik von ihr mitessen.

      Anders kann ich das kaum beschreiben. Ich registrierte alles von ihr, jeden Wink, jedes Wimpern-

      Zucken und Fingerschnippen, jedes Stirnrunzeln und Lächeln, ihren Lachanfall und Kopfschütteln.

      Jeder wäre überfordert gewesen, sich außerdem auf ein Essen zu konzentrieren, dass der Mixed-

      Grill-Teller noch halbvoll war mit Steaks, Würstchen, Schinken, Lamm-Hackfleisch in Bällchen wie

      in Finger-Form, die milden mit Kräuter und die scharfen mit Chili. Diese brauchte ich nur schlucken.

      Trotzdem war noch genug darauf zu sehen, dass Elisa mich ermunterte: „Ja David, ein Mann muss

      essen!“ Stattdessen beobachtete ich sie wie die Farben des Regenbogens mit der Angst, dass die

      augenblicklich erlöschen konnten. Elisa hatte ihr Champagner-Glas mit dem letzten, kräftigen Zug

      geleert, dass der Kellner ihr sofort nachschenkte. Sie lachte: „Es wird mich betrunken machen wie

      schwankend, sagt man bei Ihnen so? Schwankend?“ Er stimmte ihr lächelnd zu: „Ja, schwankend.“

      Nachdem er die Champagner-Flasche in einen silbernen Sekt-Kühler gestellt hatte, verschwand er.

      Mit dem Dessert-Wagen kam er zurück an unseren Tisch und schnitt eine große Scheibe von dem

      Apfelstrudel ab, die er auf einen Glasteller legte. Elisa krönte ihr Dessert mit einem riesigen Löffel

      Schlagsahne. Dann fragte sie den Kellner nach Weintrauben. „Madame, sicher haben wir Trauben

      in der Küche.“ Während er die holen ging, zeigte ich ihr meine Verwunderung, was sie mit diesen

      Weintrauben vorhatte. „Elisa, Apfelstrudel mit Rosinen benötigt doch keine zusätzlichen Trauben.

      Du hast einen eigenartigen Geschmack.“ „David, die Weintrauben sind auch für den Champagner.

      Du wirst es gleich selber sehen.“ Der Kellner kam mit der Rebe Weintrauben an, von der er so ein

      dutzend Trauben abschnitt und sie auf den Teller legte. Sie zerkaute diese gründlich, bis die Kerne

      blitzblank waren. Dann warf sie zwei bis fünf in ihr Champagner-Glas und amüsierte sich, wie sie

      im Glas zusammen mit den Sektperlen auf - und abstiegen. „Das ist wie Fahrstuhl fahren für diese

      Kerne.“ Kaum traten die einen an die Oberfläche, sanken die anderen wieder ab auf den Abgrund.

      Ich dachte in dem Moment, ein kleines, spielendes Mädchen vor mir zu haben, das sich entzückte.

      Sie irritierte mich ständig, mir wurde unwohl in der Haut, wenn mir zugleich bewusst war, dass es

      nur noch kurze Zeit war. Dann sei das Ganze für uns beide zu Ende, weil ich bald abreisen musste.

      „Wo haben Sie denn das gelernt?“ „Och, im Schlaraffenland, kannten Sie dieses Spiel noch nicht?“

      Sie lehnte sich zurück ans Sims wie die Kaiserin, die bis obenhin gesättigt und voll zufrieden war.

      Oder wie eine ausgestopfte Puppe, die äußerst weich und knuddlig wirkt, so ein Kinderspielzeug.

      Ihr Abbild wechselte sekundenschnell, ich nahm eine Diva wahr und das Mädchen mit Lieb-Reiz.

      Zwei Drittel meines Steak-Tellers hatte ich geschafft. Ich beugte mich vor zu der Worcester-Soße,

      als ich ihren Duft einatmete, der gemischt war mit dem Chartreuse, den sie gerade schlürfte. „Hm,

      herb.“ „Soll er doch auch sein.“ „ Schwankend bin ich auch,- sehr schön.“ „Kann ich dich morgen

      wiedersehen, Elisa?“ Jetzt war es raus. „Vielleicht.“ Sie lachte und warf ihren Kopf in den Nacken.

      „Sollen wir morgen nach Helsingor fahren zum Lunch? Nein, ernsthaft, nicht vielleicht, bestimmt.

      Elisa, nicht vielleicht, bitte - !“ Sie schnitt mir schnell das Wort ab. „Ich ruf‘ Sie an, geht das gut?“

      Bei Jani und Lotte? Meine nicht existierenden Keramik-Bekannten. Ich musste selbst dazu lachen.

      „Ja, das geht. Wann ungefähr?“ „Och, etwas eine halbe Stunde nach dem Aufwachen. - Schreiben

      Sie mir bitte Ihre Nummer auf.“ Als wir draußen auf der Straße waren, begegneten wir fröhlichen

      Dänen in einer Gruppe. Ein Mann kam zu uns mit einer roten Rose in der Hand. Er fragte höflich:

      „Mister, Ihre Lady trägt keine Blume. Darf ich sie ihr geben?“ Er überreichte die Rose mit Würde

      in angemessenem Abstand, ohne aufdringlich zu sein. Sie dankte ihm mit einem warmen Lächeln.

      „Wow, what wunderful, magical, warm smile you have.“ Er machte galant eine tiefe Verbeugung.

      Sie suchte nach etwas in ihrer Tasche, bis sie fort waren. Ich wollte sie ihr anstecken, doch wehrte

      sie ab. „Nein, brechen Sie ihren Stiel nicht ab. David, ich trage sie in der Hand. Sie ist sehr schön.

      Das ist hier außerdem Stil. Darum ist der junge Däne gekommen. Sie wussten es nicht, aber jetzt.“

      „Soll ich ein Taxi rufen?“ „Ich brauche keines, danke. Es ist nicht weit.“ „Gehen wir nun zu Fuß?“

      „Nein, ich sage Ihnen jetzt gute Nacht. Es gibt da einen Bus, die Immer-Linie, weil ich ihn immer

      nehmen muss, da steige ich gleich ein.“ „Aber Elisa.“ Sie nahm meine Hand. „Danke schön, alles

      war ganz wunderbar. Es hat mir viel Spaß gemacht. Und wir riechen heute beide nach Knoblauch.

      Gute Nacht.“ Ich sah ihr nach, wie sie diese Straße hinunter ging in ihrem cremeweißen Cape, die