Emmi Ruprecht

Drei Jahre später


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Er hat sich mit ihren häufigen Abwesenheiten abgefunden und schließlich sogar akzeptiert, dass Carola eine Putzfrau eingestellt hat und das Essen häufiger aus der Tiefkühltruhe oder vom Bringdienst kommt, wenn sie keine Zeit und Lust hat zu kochen. Er hat sich sogar damit arrangiert, sich selbst zu versorgen, wenn sie abends Veranstaltungen hat, und die haben in den letzten Monaten sogar noch zugenommen, fällt ihm auf, als er jetzt darüber nachdenkt!

      Glücklicherweise gibt es immer noch die Wirtschaft im Dorf und seine Mutter freut sich auch jedes Mal, wenn er vorbeikommt und sie ihn bekochen darf. Er kommt zurecht, auch wenn er manchmal neidisch auf seine Freunde schaut, deren Frauen neben bestenfalls einem Halbtagsjob abends immer zu Hause sind, um das Essen zu machen und Mann und Kinder zu versorgen.

      Maik unterdrückt ein Seufzen. Es wäre ihm schon lieber, wenn seine Frau häuslicher wäre! Aber solange der Haushalt irgendwie erledigt wird – und wenn es mithilfe einer Putzfrau ist – kann er es verkraften. Er hat sich daran gewöhnt. „Irgendwas ist eben immer“, denkt er lakonisch. Wenn er sich dafür nicht ständig mit Carola streiten muss, weil sie findet, er könne ja mal dieses oder jenes selbst erledigen, soll es ihm recht sein.

      Nun, jedenfalls ist er froh, dass die Situation zwischen ihnen heute viel entspannter ist als früher. Dafür kommt er seiner Frau gerne entgegen! Er hat ohne zu murren seine Sachen selbst gepackt und sogar dabei geholfen, das Auto zu beladen, obwohl er ja eigentlich noch dringend E-Mails checken musste. An diesen Ort in Italien verirrt sich das Netz nur selten! Da fand er seine Frau ein bisschen kleinlich, die demonstrativ mit ihrem Kaffee am Küchentisch sitzen blieb und einfach wartete, bis er fertig war, um dann mit ihm gemeinsam das Auto zu beladen. Da ist sie ein bisschen unentspannt! Als ob er nie etwas täte! Im letzten Monat hat er sogar einmal den Rasen gemäht, obwohl ihn Gartenarbeit nicht interessiert und er das auch immer gesagt hat! Aber gut, dafür ist jetzt wenigstens alles friedlich und er kann sich auf den Urlaub freuen!

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       Julie

      Julie schlägt die Augen auf. Sie muss für einen Moment eingeschlafen sein. Dabei hatte sie sich doch nur kurz auf das Bett geschmissen, um mal eben die Matratze zu prüfen. Nun weiß sie jedenfalls, dass die großartig ist und sie hier wunderbar schlafen wird!

      Sie sieht sich in der Kammer des Nebengebäudes um, die Stefano ihr als neues Zuhause für diese Woche zugewiesen hat. Ein wunderschönes Zimmer mit Blick auf den Hof vor dem Haupthaus, den sie durch das geöffnete Fenster sehen kann. Die hell geblümten Gardinen bauschen sich durch die leichte Brise, die herrlich würzige Luft zu ihr herüber weht. Was für ein wunderbarer Ort für ein kleines Nickerchen!

      Wohlig reckt sich Julie auf der hellblau-orange-gestreiften Bettwäsche. Sie hat es wirklich gut getroffen! Die rustikale Holzdecke über ihr verbreitet zusammen mit den weiß und zart orangefarben gestrichenen Wänden eine fröhlich-warme Atmosphäre. Auf dem Holzboden zu ihren Füßen greift ein Flickenteppich den Orangeton der Wände auf und ergänzt ihn um rote, gelbe und blaue Streifen. Ein riesiger alter Schrank und ein kleines Regal in der Ecke bieten ausreichend Platz für ihre Habseligkeiten. Ein einfacher Tisch mit zwei ebensolchen Holzstühlen vor dem Fenster lädt dazu ein, es sich bei einer Tasse Tee gemütlich zu machen und hinauszusehen über den großen Platz bis zum Haupthaus und ein Stückchen daran vorbei in die Ferne, wo sich bis zum Horizont Berge aneinanderreihen, um sich ganz hinten in einem dunstigen Türkis zu verlieren. Ein Traum!

      Obwohl das Bett sehr gemütlich ist und das laue Lüftchen auf angenehme Weise die Hitze des Tages vertreibt, hält Julie es nicht länger dort aus. Sie muss jetzt einfach hinaus und sich alles ansehen, das ganze Anwesen wiederentdecken, an das sie wohl öfter gedacht hat, als sie sich eingestehen mochte. Jetzt, wo sie wieder hier ist, spürt sie, wie ihr der Ort gefehlt hat, an dem es ihr einst so gut ging.

      Endlich ist sie wieder da!

      Sie springt aus dem Bett, schlüpft in ihre Schuhe, richtet eilig ihre hellblaue Jeans und das grüne T-Shirt, bürstet sich kurz die Haare und läuft durch den kleinen Flur hinaus auf den Hof.

      Vor ihr richtet sich die sandfarben verputzte Fassade des Haupthauses auf mit dem beeindruckenden Portal aus zwei schweren, dunkelbraunen Türflügeln, gekrönt von einem halbrunden Oberlicht aus bunten Glasscheiben. Zu beiden Seiten der Tür sorgen zwei altertümlich verschnörkelte Laternen nachts für ein bisschen Helligkeit. Dort, in diesem Haus, hat sie bei ihrem ersten Aufenthalt links neben dem Eingang gewohnt – daran erinnert sie sich gut! Auch jenes Zimmer mit den hellblauen Wänden und dem alten rot, braun und schwarz gemusterten Perserteppich hat sie sehr genossen. Trotzdem findet sie es schön, nun eine andere Kammer auf dem Gut kennenlernen zu dürfen.

      Julie läuft quer über den Platz zu einer kaum hüfthohen Mauer, die nur wenig Schutz vor dem dahinter liegenden, abschüssigen Gelände bietet. Der recht steil abfallende Hang ist – bis auf ein paar herausragende Felsen – von undurchdringlich erscheinendem Gestrüpp überwuchert, das sich scheinbar nur mit Mühe auf den kärglich mit Erde und Flechten bedeckten Felswänden halten kann. Aber von dort aus hat sie eine herrliche Aussicht über das Tal und die dicht bewaldeten Hänge, die nur ab und zu einen Blick auf ein paar ziegelrote Dächer oder aus grauem Stein erbaute Hausmauern freigeben. Die sonnengelben Tupfer von Ginsterbüschen komplettieren die Idylle, die sich vor ihr bis hin zum Horizont erstreckt.

      Ein Ausblick, der fast nicht von dieser Welt zu sein scheint! Und dazu diese herrliche Ruhe!

      Julie schließt für einen Moment die Augen und lauscht in die spätnachmittägliche Stille. Der weiche Wind bewegt ganz zart die Blätter einiger Bäume in der Umgebung, ein Brummer surrt an ihr vorbei und von Ferne vernimmt sie das melodische Klingen von Glocken, die auf das Vorhandensein einer Ziegen- oder Kuhherde schließen lassen.

      In diesem Moment wird sie erobert von einem großen Glücksgefühl. Es breitet sich von ihrem Herzen aus und erfüllt sie schließlich ganz. Julie breitet ihre Arme aus, als würde sie auf diese Weise den Moment festhalten können. Sie öffnet ihre Augen und genießt die ganze Pracht dieses wunderbaren Ortes. Warum kann es nicht immer so sein? Warum kann die Welt nicht immer so schön sein, so friedlich und so herrlich sorglos? Warum ist es leider meistens anders?

      Seufzend fährt sie sich durch ihre dichte, kastanienfarbene Lockenpracht und dreht sich langsam im Kreis, um ihre Umgebung in Augenschein zu nehmen. Sie schaut über die große, sanft abfallende Wiese zu ihrer Linken, die ganz hinten von einer riesigen Eiche überschattet wird. Den Platz darunter mit den in einem Halbkreis aufgestellten Holzbänken erinnert sie gut: Meistens fand dort der Gitarrenunterricht statt. Noch ein Stückchen weiter links entdeckt sie im dichten Gras ein paar Felsbrocken. Auch dort hat sie gerne gesessen, um zu proben, alleine für sich oder mit den anderen. Von da aus hatte sie einen fantastischen Blick auf das Bergmassiv im Norden, dort wo die Straße – oder besser die Schotterpiste – entlangführt, auf der man dieses Anwesen erreicht.

      Sie lächelt bei der Erinnerung an die Stunden, die sie mit ihren Mitstreitern dort verbracht hat. Was wohl aus ihnen geworden ist? Zumindest Elli und Monika wird sie gleich wiedersehen – und natürlich Matthias! Auf seine neue Freundin ist sie besonders gespannt, richtig neugierig sogar! Was er wohl für einen Frauengeschmack an den Tag legt? Sie denkt nach. Bislang konnte sie nicht wirklich ein System bei seiner Wahl erkennen: Damals war er erst von Elli sehr beeindruckt gewesen, bis er sich dann, nach diesem denkwürdigen Nachmittag, an dem sie sich auf einem der Felsen sitzend gegenseitig ihre tiefsten Geheimnisse anvertraut hatten, mehr für Julie zu interessieren schien. Allerdings war das rein platonisch gewesen! Damals hatte er Julie von Tine, seiner Exfreundin erzählt, und die wiederum schien seiner Beschreibung nach weder mit Elli noch mit ihr selbst irgendwelche Gemeinsamkeiten zu haben – weder vom Aussehen noch vom Charakter oder der Lebenssituation her!

      Nun ja, es wird nicht mehr lange dauern, dann wird sie Ulla selbst kennenlernen. Bestimmt ist sie nett! Zu Matthias passt eigentlich nur eine nette Frau, so gutmütig, wie er selbst ist!

      Julie beschließt, ihren Rundgang fortzusetzen. Bald schon werden die nächsten Gäste da sein und dann ist für eine Woche an so etwas wie Ruhe und Besinnung nicht zu denken!

      Mit flotten Schritten eilt sie über den Platz,