Ute Dombrowski

Bis die Gerechtigkeit dich holt


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liefen in Richtung Supermarkt und Sascha holte vom Bäcker zwei große Tassen Milchkaffee. Lisa hatte an einem Stehtisch gewartet. Sie unterhielten sich über belanglose Dinge wie das Wetter und den vollen Supermarkt, wobei Lisa zuhörte und Sascha redete. Er sah gut aus in seinem legeren, dunkelgrauen Jackett mit dem schwarzen Shirt darunter, dazu trug er Jeans und Turnschuhe. Außerdem war er locker und unterhaltsam, was man von Lisa nicht sagen konnte, denn sie war in seiner Gegenwart vollkommen eingeschüchtert. Sascha konnte seinen Blick nicht von der kühlen Schönheit mit den blauen Augen abwenden.

      „Es wäre sehr nett, wenn wir uns mal wiedersehen könnten, aber Sie scheinen Angst vor mir zu haben. Oder finden Sie mich aufdringlich?“

      „Entschuldigung, ich bin sonst nicht so. Sie haben mich eine wenig … ziemlich … durcheinanderge­bracht.“

      „Sehr gut“, sagte er lachend und zwinkerte. „Geben Sie mir auch Ihre Telefonnummer, damit ich Sie anrufen kann, wenn ich noch Angaben für die Versicherung benötige?“

      Lisa nahm einen alten Kassenbon aus der Handtasche und schrieb mit dem Kugelschreiber, den er ihr hingehalten hatte, ihre Telefonnummer drauf. Dann erklärte sie, jetzt endlich einkaufen zu müssen und verabschiedete sich. Sascha hielt ihre Hand ein wenig zu lange fest.

      Im Supermarkt eilte sie durch die Gänge und suchte die wenigen Sachen zusammen, die sie benötigte. Dann bezahlte sie, nachdem sie eine halbe Stunde an der vollen Kasse warten musste und warf alles in den Kofferraum. Mit einem Seufzen stieg sie ein und fuhr heim nach Erbach, einem kleinen Weinbauort im Rheingau. Sie schloss die Tür auf, trug die beiden Einkaufstaschen in die kleine Wohnung und stieß mit dem Fuß die Tür zu. Ihre kleine Wohnung in dem Haus am Ortsrand war ihre Zuflucht, ihre Ruheinsel, denn hier wohnte nur noch die alte Frau Leisinger, ihre Vermieterin.

      Die Wohnung befand sich im Dachgeschoss und hatte zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad mit schrägen Wänden. Den Blick aus dem Fenster auf die endlosen Weinberge liebte Lisa sehr. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, in der Stadt zu wohnen, eine tief im Inneren verborgene Erinnerung war das Leben auf den Lande, aber sie hatte nach dem Unfall alles darüber vergessen. Gerne hätte sie gewusst, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte.

      Die Mutter hatte gesagt: „Wir sind weggezogen, weil du nicht an den Unfall und das alles denken solltest.“

      Lisa hatte wie immer genickt, wenn die ihr so fremd gebliebene Frau etwas erklärte, denn sie hatte aufgegeben, alles zu hinterfragen. Sie räumte die Lebensmittel weg, öffnete ein Fenster und schaute hinaus. Langsam schlich die Dämmerung über den Horizont und setzte sich zwischen den Reben mit den grünen Blattspitzen fest. Die Sonne hatte sich heute nicht blicken lassen, nun saugte der Abend den Rest des Lichtes in sich auf.

      „Sascha“, sagte Lisa mit einem Lächeln zu sich selbst.

      Sie schloss das Fenster wieder, ging in die Küche mit den weißen Möbeln und kochte sich eine Tasse Tee zu den zwei Broten, die sie zusammen mit zwei kleinen Tomaten auf einem Brett ins Wohnzimmer balancierte. Dort ließ sie sich auf der breiten, schwarzen Couch nieder und schaltete den Fernseher ein. Der kleine Holztisch vor der Couch war überfüllt mit Büchern, den Fernbedienungen, dem Handy, einer Fernsehzeitung und einem Glas.

      Plötzlich sprang Lisa auf und lief in den Flur, um in der Handtasche nach Saschas Visitenkarte zu suchen. Dort standen „Sascha Kritzek – Fotograf“ und seine Telefonnummer. In diesem Moment klingelte ihr Handy. Lisa eilte zurück auf die Couch sah auf das Display. Es war die Nummer, die auch auf der Visitenkarte stand und ihr Herz begann zu klopfen.

      „Ja, bitte?“

      „Hier ist Sascha, Ihr Unfallgegner. Ich hoffe, ich störe nicht.“

      „Sie stören keineswegs, ich habe gerade an Sie gedacht.“

      Wie gut, dass er nicht sehen kann, wie rot ich bin, dachte Lisa mit glühenden Wangen. Am Telefon fühlte sie sich sicherer als in der Realität. Sascha plauderte fröhlich weiter und hatte das Herz der jungen Frau längst erobert.

      „Sie waren so schnell weg, da wollte ich doch mal fragen, wie es Ihnen geht. Ist alles in Ordnung? War ich zu aufdringlich?“

      „Nein, es ist nur“, stotterte Lisa, „ich kenne das nicht, dass sich ein Mann für mich interessiert.“

      „Nein, nicht möglich! Ich finde Sie atemberaubend. Wie kann ein Mann sich nicht für Sie interessieren? Darf ich Sie wiedersehen? Ich sterbe sonst und Sie wollen doch nicht an meinem Tod schuld sein.“

      Lisa sagte lachend zu, als er sie dann noch fragte, ob sie am Wochenende gemeinsam spazieren gehen wollten. Sie verabredeten sich am Schloss Johannisberg, um von dort durch die Weinberge zu laufen und anschließend etwas zu essen. Lisa machte ihr Handy aus und den Fernseher an. Sie sah nicht hin, denn ihre Gedanken waren bei Sascha.

      8

      „Bitte, Frau Weißlinger, der Mann ist tot, also reden Sie endlich. Er kann Ihnen nichts mehr tun.“

      Bianca saß auf der abgewetzten Couch im kleinen Wohnzimmer des alten Hauses in Rüdesheim Frau Weißlinger gegenüber und versuchte nicht zu atmen. Die Luft war abgestanden, roch nach Alkohol und kaltem Zigarettenrauch. Dazu kam eine unsägliche Mischung aus dem Gestank des nicht ausgelehrten Mülleimers und dem Katzenklo. Biancas sensible Nase und ihre Nerven wehrten sich heftig. Sie schaute Michael an, der am Fenster lehnte und angewidert dreinschaute. Hinter seiner Stirn brodelte es und er hätte diese kleine, magere Frau sehr gerne geschüttelt.

      „Ich … er … Hanka … Robert war nicht immer so. Er hat mir und der Kleinen ein Zuhause gegeben, nachdem mich mein brutaler Ex-Freund aus dem Haus geprügelt hatte. Es war gut bis zur Hochzeit, als wir hier eingezogen waren, dann begann er, mich einzusperren und auch Hanka durfte nicht hinausgehen. Aber eines Tages stand die Lehrerin vor der Tür und hat mit dem Jugendamt gedroht, da hat er wenigstens Hanka gehenlassen. Ich habe geputzt und gekocht, alles war sauber und ordentlich. Dann kam ihm der Gedanke, dass wir, Hanka und ich, zu viel Geld kosten und er hat unser Essen rationiert. Wenn jemand zu Besuch kam, gab es immer Kuchen und Wein im Überfluss und er war dann lieb und nett.“

      „Hat er Sie geschlagen?“, fragte Michael.

      „Nicht immer, nur wenn ich etwas falsch gemacht habe, das habe ich ja auch eingesehen.“

      „Verfluchte Scheiße, warum lasst ihr Frauen euch auch noch einreden, es wäre in Ordnung?“

      Michael war der Kragen geplatzt, so erregt war er, als die kleine Frau nun auch noch gelächelt hatte.

      „Aber wir hatten doch nur ihn. Robert hat uns gut versorgt. Dass er … dass er … Hanka …anfasst … das habe ich nicht gewusst. Ich hatte angefangen, nachts zu arbeiten. Manchmal saß sie heulend im Bett, aber sie hat nichts gesagt.“

      „Wahrscheinlich hat er der Kleinen gedroht, ihr oder Ihnen etwas anzutun und dann hat sie geschwiegen“, erklärte Bianca sanft, die gesehen hatte, dass Michael nur noch raus wollte.

      Um sie herum war nichts mehr peinlich sauber und gepflegt und die Seele dieser Frau war kaputt, sie hatte seit Tagen nur getrunken und geraucht. Mehrere schmutzige Kaffeetassen standen in der Spüle.

      „Frau Weißlinger, Sie müssen mal wieder etwas essen, sonst werden Sie krank. Haben Sie Lebensmittel im Haus?“

      Die Frau sah Bianca mit leerem Blick an und schüttelte den Kopf.

      „Wozu noch essen? Es ist doch sowieso besser, wenn ich krepiere. Ich habe das Liebste auf der Welt verloren. Schade, dass ich nicht selbst die Kraft hatte, Robert zu erstechen, dann könnte Hanka noch leben. Nun ist alles so sinnlos.“

      Bianca nahm ihr Telefon und rief einen Arzt an. Frau Weißlinger würde sich sonstwas antun, wenn man sie alleine lassen würde. Es wurde Zeit, dass sich Menschen wirklich um sie kümmerten. Als der Arzt da war, erklärte ihm Bianca, was passiert war und half Frau Weißlinger, ein paar Sachen zusammenzupacken. Dann wurde sie am Arm zum Rettungswagen geführt, der langsam davon rollte. Michael