Peter Wolff

Vendetta Colonia


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      Hedwig Schmitz hat durch die Kriegseindrücke einen Großteil ihrer Lebensfreude verloren. Vor allem aber hat sie sich entschieden, entgegen der ursprünglichen Lebensplanung keine Kinder zu bekommen. In eine Welt wie diese, so betont sie immer wieder, in der jahrelange Kriege mit unzählbaren Toten möglich sind, solle man keine Kinder setzen.

      Paul hofft zunächst, dass sich die Verstimmung seiner Frau mit der Zeit wieder legen werde, aber auch gute fünfzehn Jahre nach Kriegsende noch ist Hedwig nicht mehr die Alte geworden.

      Das Paar streitet sich zusehends öfter, und dies nicht nur wegen der differierenden weiteren Lebensplanung.

      Paul ist mittlerweile Ende dreißig, will er noch eine Familie gründen, wird es Zeit.

      Wie sehr hat er seinen Bruder um das Glück mit Clarissa und die Vorfreude auf das Baby beneidet. Und jetzt diese schlimme Nachricht.

      Paul Schmitz beschließt, für ein paar Tage alleine zum Angeln zu fahren, um den Kopf frei zu kriegen. Die Sorgen um Clarissas Kind, seine eigenen Eheprobleme.

      Erst einmal raus, denkt er sich, und macht sich auf zu einem verlängerten Angelwochenende in die Eifel, an den Laacher See. Er hat mittlerweile eine Prothese, Autofahren und Laufen ohne Krücken – beides stellt kaum noch ein Problem für ihn dar.

      Während der Fahrt ist Paul sehr unruhig, viele Gedanken schießen ihm durch den Kopf und er kann es kaum erwarten, endlich beim Angeln abzuschalten.

      Eigentlich angelt Paul Schmitz lieber am Meer, da er nur ein paar Tage Urlaub hat, waren ihm die 320 Kilometer an die holländische Nordseeküste jedoch zu weit. In die malerische Eifel sind es nur gut 80 Kilometer und auch dort in den Maarseen kann man nicht nur prächtig fischen, sondern es gibt auch sonst so einiges zu sehen.

      Über 50 Seen gibt es in der Eifelregion, darunter zahlreiche Stauseen, und natürlich die berühmten Maare mit vulkanischer Entstehungsgeschichte, alle umgeben von wunderbaren Naturlandschaften (31).

      Der Laacher See liegt im Osten der Vulkaneifel bei Andernach und befindet sich in der Nähe der Benediktinerabtei Maria Laach. Der See ist mit einer Fläche von rund 3,3 km² und einem Umfang von ca. 7300 m der Größte in Rheinland-Pfalz. Die Wassertiefe beträgt ca. 53 m. Vor etwa 11.000 Jahren erfolgte der letzte Ausbruch des Maria Laach Vulkans. (32).

      Paul Schmitz hat ein Zimmer in einer kleinen Pension unweit des Laacher Sees gemietet. Nichts Besonderes, Bett, Stuhl und Tisch, ein kleiner Kleiderschrank. Aber Paul hat ohnehin nicht vor, abgesehen von den Nachtstunden Zeit auf dem Zimmer zu verbringen.

      Den ersten Nachmittag am See kann er kaum genießen. Nicht, dass er kaum einen Fisch fängt, sondern die Probleme in Köln sind es, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen.

      Kann man Clarissa nicht irgendwie helfen?

      Macht es Sinn, seine Ehe weiterzuführen?

      Diese Fragen stellt er sich in den nächsten Tagen wieder und wieder – mit unterschiedlichem Erfolg.

      Was seine Schwägerin betrifft, ist er ratlos. Im Hinblick auf seine Ehe reift in Paul Schmitz immer mehr die Überzeugung, dass er sich von seiner Frau gütlich trennen sollte.

      Der Krieg hat andere Menschen aus seiner Gattin und ihm gemacht – andere Menschen, die nicht mehr so zueinander passen, wie dies vor der großen Völkerschlacht noch der Fall gewesen war.

      25

      Clarissa Schmitz erholt sich schnell vom Schock dessen, was Dr. Freudenberg auf seinem Ultraschallgerät zu sehen geglaubt hat. Sie ist ein aktiver, ein tatkräftiger Mensch und fest entschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit das Baby gesund zur Welt kommt.

      Und selbst wenn das Kind behindert sein sollte: Es ist ihr Baby und sie wird es mit aller nur erdenklichen Liebe großziehen.

      Die ersten Möbel für das Kinderzimmer sind geliefert worden, eine Woche früher als angekündigt, sodass das Zimmer noch nicht tapeziert ist.

      Clarissa ist handwerklich sehr begabt, es gibt kaum etwas in der Wohnung, was sie nicht selbst in Angriff nimmt.

      Sie hat gerade den Tapeziertisch aufgestellt, als das Telefon klingelt.

      „Hallo Clarissa, hier ist Guiseppe aus Bella Italia.“

      Clarissa ist baff erstaunt, hat sie doch seit langer Zeit nichts mehr von der Verwandtschaft aus Italien gehört.

      „Guiseppe, welch' eine Überraschung. Wie lange haben wir wohl nichts voneinander gehört?“

      „Beinahe eine Ewigkeit.“

      „In jedem Fall viel zu lange!“

      „Ich habe von den Problemen in Deiner Schwangerschaft gehört. Das tut mir unendlich leid.“

      „Danke, Guiseppe. Da hilft wohl nur warten – und beten.“

      „Beten solltest Du, aber warten? Du musst die besten Ärzte aufsuchen, Dich nach neuen Untersuchungsmethoden und Medikamenten erkundigen. Vielleicht gibt es etwas, das dem Kind helfen kann.“

      „An der Universitätsklinik hier in Köln sind schon richtige Experten, das kannst Du mir glauben.“

      „Sicher, aber was Du brauchst, ist kein Experte, sondern ein Spezialist. Einer, der sich genau mit dem Problem auskennt, das Du hast.“

      „Und woher soll ich den nehmen, Guiseppe?“

      „Bei uns in Italien, am altehrwürdigen Santa Maria Nuova in Firenze, gibt es einen Arzt, der einen sehr guten Ruf hat, gerade, was Probleme im Mutterleib angeht. Er hat schon viele Risikokinder auf die Welt geholt und schon einige problematische Geburten gemeistert.“

      „Meinst Du wirklich, der Dottore weiß mehr als unsere Ärzte in Deutschland?“

      „Gut möglich, Clarissa. Ich würde es in jedem Fall versuchen. Ich kenne einen Kollegen von Dr. Baldini aus der gemeinsamen Schulzeit. Er arbeitet im gleichen Ospedale, ich könnte da was arrangieren.“

      „Wirklich? Oh, Danke, Guiseppe, Danke! Ich werde heute Abend direkt mit Werner darüber reden.“

      „Mach' das, Clarissa. Wir hören voneinander. Und: Kopf hoch, das wird schon!“

      „Tausend Dank, Guiseppe!“

      Clarissas Puls jagt, ihr Herz klopft bis zum Hals. Sie setzt sich auf einen Stuhl, streichelt sich über den Bauch und sagt:

      „Wir kriegen das schon hin, bambino mio, Du kommst gesund zur Welt.“

      26

      Borna und Davor Krupcic haben sich im Fordwerk zu Köln fest etabliert. Sie sind stets pünktlich, fleißig und engagiert.

      Das wird honoriert: Obwohl die Produktion nach wie vor auf Hochtouren läuft, erlaubt ihnen ihr Chef, gemeinsam für zwei Wochen Urlaub zu nehmen, damit sie zusammen in die Heimat fahren können.

      Die Brüder verdienen in Deutschland gutes Geld, sie leben sparsam und schicken der Familie regelmäßig Teile ihres Gehalts, damit das Eigenheim in Jugoslawien auf Vordermann gebracht werden kann. Sogar an einen Anbau wird gedacht, für den Fall, dass einer oder gar beide Söhne nach einigen Jahren in Deutschland in die Heimat zurückkehren.

      Borna und Davor sind bescheiden geblieben, sie gönnen sich wenig.

      Die Zugfahrt über München und Belgrad nach Novi Sad indes tun sich die Brüder nicht mehr an, sie beschließen, fortan mit dem Flugzeug in die Heimat zu reisen.

      Das Luftverkehrsunternehmen Jugoslawenski Aerotransport (JAT) nimmt seine Arbeit am 01.04.1947 auf.

      Die JAT sorgt für die Ausgestaltung eines Flugnetzes, dass sich nicht nur über die Hauptstädte der einzelnen Teilrepubliken Jugoslawiens und zahlreichen Städten des Auslandes ausdehnt, sondern auch die für den Fremdenverkehr wichtisten Orte: Dubrovnik,