dass er den Auftrag mit einer Herausforderung zurückbekäme, auf die Ausführung aber fein säuberlich warten könnte. Oder spricht es etwa nicht von königlicher Weisheit, wenn Ludwig Balafré mit einem Auftrag bedacht wird, der beim Großconnetable vielleicht ganz und gar nicht in den richtigen Händen gewesen wäre? Ist solcher Monarch nicht gerade für Leute wie uns der richtige? ... Du kannst mir glauben, König Ludwig versteht es, sich die rechten Leute für seine Befehle auszusuchen, und misst, wie man wirklich sagen kann, jedem genau zu, was er tragen kann. Aber, höre! Da schlägt die Glocke von Sankt Martins! Die ruft mich zurück ins Schloss. So leb denn wohl und nimm Dich recht zusammen! Sei um acht Uhr früh an der Zugbrücke und frage die Schildwache nach mir! Aber sieh Dich vor, dass Du nicht vom richtigen Wege abkommst, sobald Du Dich dem Portal näherst, denn es könnte Dich, wenn Du das außer Acht lässt, leicht ein Glied von deinem Leibe kosten, und das büßt doch niemand gern ein! Ich sage Dir, Neffe, Du sollst den König Ludwig sehen, und sollst dann selbst über ihn urteilen. Auf ein Wiedersehen!“
Mit diesen Worten eilte Ludwig Balafré hinweg und vergaß in der Eile, den Wein zu bezahlen. Bei Personen seiner Stellung ist solche Vergesslichkeit keine Seltenheit, und der Wirt mochte sich vor dem wehenden Federbusch nicht getrauen, ihn aufmerksam zu machen. Von Quentin Durward hätte man nun erwarten können, dass er sich wieder in sein Turmzimmer begeben hätte, um den süßen Tönen weiter zu lauschen, die seine Morgenstunde so herrlich aufgeheitert hatten. Aber sein Onkel hatte ihn zu derb in die Wirklichkeit zurückgeholt. Er besaß jetzt keinen Sinn mehr für Romantik, sondern unternahm einen Spaziergang am Ufer des wild strömenden Cher, hatte sich aber zuvor sorgsam bei dem Herbergswirt erkundigt, ob in dieser Gegend etwa auch Fußangeln gelegt seien, die zu besonderer Vorsicht nötigten. Der Wirt hatte ihm nach dieser Hinsicht beruhigen können, und so versuchte er nun am Ufer des wilden Flusses seine wirren Gedanken zu sammeln und Pläne für sein zukünftiges Leben zu schmieden. Das zukünftige Leben erschien ihm durch die Unterhaltung mit seinem Onkel zweifelhaft.
Sechstes Kapitel.
Die Art von Durwards Erziehung hatte weder sein Herz bilden, noch sein sittliches Gefühl stärken können. Er war zur Jagd angehalten und gelehrt worden, den Krieg als einzige ernsthafte Beschäftigung, zugleich aber auch für die größte Lebenspflicht zu halten und erlittenes Unrecht aufs grimmigste zu rächen.
Nichtsdestoweniger fühlte sich Quentin durch die Gleichgültigkeit verletzt, womit sein Onkel die Nachricht von der Ausrottung der ganzen Familie seines Schwagers aufgenommen hatte; auch konnte er nicht umhin, sich zu wundern, dass ein so naher Verwandter ihm keine Unterstützung anbot, die er doch ohne Meister Peters Freigebigkeit notgedrungen hätte, in Anspruch nehmen müssen. Gleichwohl tat er seinem Onkel unrecht, dass dieser Mangel an Aufmerksamkeit auf seine wahrscheinlichen Bedürfnisse von wirklichem Geiz herrührte. Da er selbst in diesem Augenblick des Geldes nicht benötigt war, war es Balafré auch nicht eingefallen, dass sich sein Neffe in dringender Verlegenheit befinden könnte. Er hielt einen nahen Verwandten wie Quentin zu sehr für einen Teil seiner selbst, als dass er nicht ebenso für das Wohl seines Neffen Sorge trug. Allein, was auch immer der Beweggrund sein mochte, so war diese Vernachlässigung dem jungen Durward durchaus nicht angenehm, und er hegte mehr als einmal den Wunsch, in die Dienste des Herzogs von Burgund getreten zu sein. Ehe er die Gelegenheit bekam, über Meister Peter mit Balafré zu sprechen, wurde er von der großen Glocke von St. Martins unterbrochen, obwohl er eine Frage nach der anderen auf der Zunge lag. Er sagte sich, der alte Mann sei wohl finster und unfreundlich, scharf und spottend, aber doch edelmütig und freigebig gewesen, und ein altes, schottisches Sprichwort sagt: „Besser ein freundlicher Fremder, als ein fremder Blutsfreund!“
„Ich muss den Mann ausfindig machen“, dachte er bei sich selbst, „und das kann doch kein so schweres Unternehmen sein, wenn er so reich ist, wie mein Wirt ihn darstellt. Wenigstens wird er mir hinsichtlich meines zukünftigen Verhaltens einen guten Rat erteilen können. Wenn er in fremde Länder reist, wie es viele tun, so ist das, denk ich, ebenso ein guter Dienst, bei dem es etwas zu gewinnen gibt, wie bei König Ludwigs Leibwache.“
Während Quentin seinen Gedanken nachhing, begegneten ihm zwei Männer von würdigem Ansehen, allem Vermuten nach Bürger von Tours, vor denen er respektvoll die Mütze zog. Dann bat er sie, ihm doch Meister Peters Haus zu zeigen.
„Wessen Haus, lieber Sohn?“, fragte der eine.
„Meister Peters Haus, des großen Seidenhändlers, der die Maulbeerbäume dort in den Park gepflanzt hat“, entgegnete Durward.
„Junger Mensch“, sagte der von den Fremdlingen, der ihm am nächsten stand, „Ihr habt Euer nichtsnutziges Gewerbe ein wenig zu früh angefangen.“
„Und Euch an die unrechten Leute gewendet, um Späße anzubringen!“ versetzte der andere noch mürrischer. „Der Syndikus von Tours ist nicht gewohnt, sich von herumziehenden Spaßmachern aus fremden Ländern Nasen drehen zu lassen.“
Quentin war so erstaunt über das, was er hörte, dass er darüber vergaß, über die Unhöflichkeit der beiden Männer böse zu werden, und ihnen starr nachblickte. Mit schnellen Schritten eilten die beiden Männer davon, als wünschten sie, ihn so bald als möglich hinter sich zu lassen.
Nicht lange danach begegnete er einer Gruppe Winzer und stellte die gleiche Frage. Als Antwort wünschten sie zu wissen, ob er Meister Peter den Schulmeister, oder Meister Peter den Zimmermann, oder Meister Peter den Büttel, oder auch ein halbes Dutzend anderer „Meister Peter“ meine. Als aber keiner von diesen der Beschreibung glich, die er von der Person, die er suchte, gab, beschuldigten ihn die Winzer, er wolle sich einen plumpen Spaß mit ihnen machen. Sie drohten ihn tüchtig zu verprügeln, wenn er weiter macht. Der Älteste von ihnen, der in einigem Ansehen bei den übrigen stand, sie sollten sich aller Gewalttätigkeit lieber enthalten.
„Ihr könnt an seinen Reden und an seiner Narrenkappe sehen, dass er einer von den fremden Marktschreiern ist, die jetzt ins Land kommen. Lasst ihn also in Ruhe seines Weges gehen. Ihr aber, Freund, wenn Ihr was Böses im Sinne habt, geht still und ruhig davon und behelligt uns nicht weiter mit Eurem Meister Peter. Es ist am Ende wohl nur ein anderer Name für den Teufel!“ Der Schotte sah ein, dass er hier offenbar in der schwächeren Position stand, und hielt es fürs klügste, seinen Weg fortzusetzen.
Auf einer kleinen Anhöhe, die sich über dem reißenden Cher in der Richtung seines Weges erhob, bildeten ein paar Wallnussbäume eine schone Gruppe. Neben ihr standen ein paar Landleute, starr und bewegungslos, die Augen aufwärtsgerichtet, dem Anschein nach auf einen unter den Zweigen befindlichen Gegenstand. Neugierig, wie es die Jugend ist, eilte Quentin dorthin und sollte nun das schrecklichste Schauspiel mit ansehen, das sich einem menschlichen Auge bieten kann. An einem der Baumäste hing der Körper eines Mannes, dessen Züge die Todesangst verzerrte.
„Warum schneidet Ihr denn den armen Kerl nicht ab?“, rief der junge Schotte den Umstehenden zu. So, wie er immer bereit war, seine Ehre zu verteidigen, so war er bereit, Menschen in Not Beistand und Hilfe zu gewähren. Einer der Bauern sah ihn mit einem völlig entgeisterten Gesicht an, wies mit der Hand, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, auf ein in der Baumrinde befindliches Zeichen. Dies sah einer Lilie ähnlich. Das Zeichen wurde jedoch von verschiedenen unverständlichen Kritzeleien umgeben. Durward, der weder dies Zeichen kannte, noch es zu entziffern verstand, kletterte auf den Baum, langte aus dem Gurt den jedem Hochländer unentbehrlichen „Skene Dhu“, einen zweischneidigen Dolch, rief den Bauern zu, den Körper aufzufangen, und schnitt den Strick mit einem kräftigen Schnitt entzwei. Die Bauern hatten wenig Sinn für menschliche Empfindung, die den jungen Schotten leitete. Statt Durward Hilfe zu leisten, ergriffen sie vielmehr, sichtlich entsetzt über diesen Eingriff das Hasenpanier. Sie kümmerten sich weder um ihn noch um den vom Baum fallenden Körper. Quentin bemerkte, dass infolge des Sturzes aus nicht unbeträchtlicher Höhe, der letzte Lebensfunke aus dem Körper des Gehenkten wich. Trotzdem gab er seinen humanen Vorsatz nicht auf, demselben zu helfen. Er löste die schreckliche Schlinge von dessen Hals, knöpfte ihm die Jacke auf, bespritzte ihm das Gesicht mit Wasser und versuchte alles Mögliche, ihn wieder ins Leben zurückzubringen. Auf einmal erklang ein wildes Stimmengewirr in einer ihm völlig unbekannten Mundart. Kaum hatte er die nötige Zeit gefunden, sich umzudrehen, als er sich ziemlich unsanft am Arme gepackt fühlte und ein Messer blitzen