ich hab's doch bemerkt, dass Meister Peter nichts aus Eurer Hand oder aus den Händen Eurer Leute nehmen wollte.“
„Reiche Leute haben nun so ihre Launen; denn sie können's bezahlen!“, sagte der Wirt; „das ist nicht das erste Mal, wo Meister Peter Mittel und Wege gefunden hat, vornehme Leute nach seinem Wink tanzen zu lassen.“
Der junge Schotte fühlte sich durch diese Äußerung einigermaßen gekränkt, verbarg aber seinen Verdruss und fragte, ob er hier für sich auf einen Tag, vielleicht auf noch längere Zeit, ein Zimmer bekommen könne.
„Das versteht sich“, sagte der Gastwirt; „solange es Euch beliebt, Ihr habt nur zu befehlen.“
„Darf ich den Damen meine Aufwartung machen, da ich nun doch unter einem Dache mit ihnen wohnen werde?“ Der Gastwirt wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Endlich erwiderte er: Sie gingen nicht aus und empfingen auch zu Hause keinen Besuch.
„Mit Ausnahme Meister Peters, nicht wahr?“, fragte Durward.
„Es kommt mir nicht zu, Ausnahmen anzuführen“, entgegnete der Wirt fest, aber achtungsvoll.
Quentin, durch die Antwort des Gastwirts neuerdings verletzt, verlangte in sein Zimmer geführt zu werden. Der Gastwirt stieg eine Wendeltreppe hinauf, dann eine Galerie entlang, auf die viele Türen führten. An ihrem äußersten Ende blieb er stehen, suchte einen Schlüssel aus dem großen Schlüsselbund hervor, den er an seinem Gürtel trug, und öffnete die Tür. Seinem Gast bot er ein zwar kleines, aber reinliches und trauliches Turmzimmer an, das mit einem Feldbett und einigem Hausrat versehen, in guter Ordnung war und ihm, im ganzen genommen, wie ein kleiner Palast erschien.
„War das ein glücklicher Gedanke, so vom Flecke weg in den Bach zu springen!“, rief Quentin Durward, als der Wirt sich entfernt hatte, und machte einen Freudensprung; „nie ist mir das Glück in einer besseren Gestalt erschienen.“
Er trat an das kleine Fenster, von wo aus man, da der Turm beträchtlich aus der Hauptlinie des Gebäudes hervortrat, nicht nur in einen hübschen, ziemlich geräumigen Garten hinab sah, sondern auch eine freundliche Anpflanzung von Maulbeerbäumen überschauen konnte. Wenn man aber von diesen entfernten Gegenständen das Auge hinwegwandte und längs der Mauer hinsah, so bemerkte man einen anderen Turm gegenüber mit einem ebensolchen kleinen Fenster wie das, an welchem jetzt Quentin stand. Nun würde es aber einem, der zwanzig Jahre älter wäre als Quentin, schwer begreiflich sein, warum diese Örtlichkeit ihn mehr interessierte, als der schöne Garten oder die freundliche Maulbeerpflanzung. Im gegenüberliegenden Fenster, hing eine Laute in einer Nische. Eine Laute ohne eine Sängerin, war bei Durwards jugendlichem Alter ausgeschlossen; weiter lässt sich leicht vermuten, dass Durward von der Besitzerin der Laute mehr zu erfahren wünschte, wenigstens darf man voraussetzen, dass es ihn interessierte, dahinter zu kommen, ob es etwa dieselbe Person sei, die Meister Peter so demütig aufgewartet hatte. Es ist sicherlich begreiflich, dass er sich nicht der vollen Länge und Breite nach in seinem eigenen Fenster zeigte. Nein! Durward verstand sich besser auf die Kunst, Vögel zu fangen; er wusste sich geschickt auf einer Seite des Fensters zu verbergen, und bloß durch den Laden guckend, hatte er das Vergnügen, einen schönen, runden, weißen Arm zu erblicken, der eben die Laute herabnahm, worauf auch seine Ohren für sein geschicktes Verhalten ihren Lohn empfingen.
Das Mädchen in dem kleinen Turm, sang eins von jenen kleinen Liedern, wie sie von den Lippen der Edelfrauen zur Zeit des Rittertums flossen, bei denen Ritter und Minnesänger lauschten und seufzten. In den Worten lagen weder viel Sinn, Geist und Phantasie, um die Aufmerksamkeit von der Musik abzulenken, noch zeigte diese so viel Kunst, um alle Empfindungen von den Worten abzuziehen. Das eine schien bloß für das andere da zu sein, und wäre der Gesang ohne die Noten rezitiert, oder die Musik ohne die Worte gespielt worden, so würde keins von beiden etwas wert gewesen sein. Aber auf Quentin übte beides eine mächtige Wirkung, zumal die Gestalt der Sängerin nur teilweise und nicht deutlich sichtbar war, so dass sich ein geheimnisvoller Zauberschleier über das Ganze breitete.
Nach dem Lied konnte der Lauscher nicht umhin, mehr von sich zu zeigen, um vielleicht mehr als nur einen kurzen Blick zu erhaschen. Allein die Musik hörte augenblicklich auf, das Fenster wurde geschlossen und eine dunkle, von innen vorgezogene Gardine setzte allen weiteren Beobachtungen ein Ende.
Fünftes Kapitel.
Der Ritter, der auf Quentin Durward in dem Zimmer wartete, wo derselbe gefrühstückt hatte, gehörte jenem berühmten Bogenschützenkorps der schottischen Leibgarde an, die von Karl VI., Ludwigs Vorgänger, errichtet worden war. In dessen Händen, lag, wie man dreist sagen konnte, das Schicksal Frankreichs. Ihm war die Leibwache des Königs anvertraut. Dieser Schritt einer ausländischen Wache lang in dem Umstand begründet, dass der eigene Adel in der Gesinnung schwankend und unsicher war. Die Oberherrschaft des Königs anerkennend, war dieser aber auch bereit, einem neuen König zu dienen, sollte dieser besser auf die Wünsche des Adels eingehen. Diesem wankelmütigen Adel den eigenen Schutz anzuvertrauen, wäre unpolitisch und höchst gefährlich. Dagegen war das schottische Volk gewissermaßen der Erbfeind Englands und demzufolge Frankreichs alter und, wenigstens dem Anschein nach, auch natürlicher Bundesgenosse. Die Schotten waren ein armes, aber mutiges und treues Volk, und weil kein anderes Volk in Europa so reich an kühnen und tapferen Abenteurern war, ließ sich damit rechnen, dass sich solche Garde immer aus seinen Söhnen neu rekrutieren ließ. Da ferner der schottische Adel sehr alt war und fast durchgängig bis zum Alter der Kreuzzüge, wenn nicht noch höher, hinaufreichte, stand ihm ein besonderes Anrecht zu, näher an die Person des Monarchen herangezogen zu werden, als jeder andere Adel, den französischen nicht ausgeschlossen. Zudem waren sie nicht zahlreich genug, sich gegen den König aufzulehnen.
Jeder Bogenschütze hingegen stand an Rang und Ehre den Edelleuten des Landes gleich, und ihre ständige Berührung mit dem Landesherrscher verlieh ihnen in jedermanns Augen eine gewisse Anerkennung. Die prächtige Uniformen, die sie trugen, die vortreffliche Bewaffnung, sowie das Recht, sich einen Knappen, einen Diener, einen Pagen und einen oder auch ein paar Trabanten zu halten wirkten auf den nomalen Bürger und auch dem niedrigen Adel als privilegiert. Kein Wunder, dass solcher Bogenschütze als eine Respektsperson galt, und weil die im Korps frei werdenden Stellen nie anders aufgefüllt wurden, als aus den Reihen der Pagen oder Knappen, so geschah es nicht selten, dass vornehme schottische Geschlechter ihre jüngeren Söhne zu einem befreundeten oder verwandten Angehörigen dieses Korps sandten. In dessen Diensten blieb er so lange, bis er in das Korps eintreten könne.
Quentin Durwards Onkel, Ludwig Lesley, oder wie er nach der ihn kennzeichnenden Narbe genannt wurde, Balafré, war annähernd sechs Fuß hoch und von muskulöser, untersetzter Gestalt. Seine an sich rauen Gesichtszüge wurden durch eine große breite Narbe, die von der Stirn zum rechten Auge hinunter und an diesem entlang, über den von ihr bloßgelegten Wangenknochen bis zum Ohrläppchen hinlief, bald scharlach-, bald purpurrot, bald blau aussehend, ja nicht selten sich dem Schwarz nähernd, noch erheblich verdüstert. Diesen Eindruck konnte auch die kostbare Rüstung nicht mildern, die er trug. Sie bestand aus Halskragen, Armstücken und Handschuhen aus feinstem Stahl. Sie waren kunstvoll mit Silber ausgelegt, und prunkten edel im Wettstreit mit einem funkelnden Panzerhemd. Über diesem trug er ein weites Oberkleid aus blauem Samt, das, an den Seiten wie ein Heroldsgewand offen, nach vorn und hinten zu durch ein großes, weißes, in Silber gesticktes Kreuz geteilt wurde. Knie und Schenkel waren durch eiserne Beinschienen geschützt, die sich in Stahlschuhen fortsetzten. An der rechten Seite seines Panzerhemds hing ein starker, breiter „Gottesgnadendolch“ genannter Dolch, über der Schulter das Wehrgehänge seines zweihändigen Schwertes. Die schottische Nationalmütze reich bestickt, mit einem Federbusch geziert wurde zusätzlich mit einem Bild der Jungfrau Maria aus gediegenem Silber versehen.
Quentin Durward, von Jugend auf nach schottischem Brauch an die Führung der Waffen gewöhnt, stand trotzdem unter dem Eindruck, einen Soldaten mit solch mustergültiger Ausrüstung und Bewaffnung noch nie gesehen zu haben. Erst als ihn der bärbeißige Mann nach Neuigkeiten aus Schottland fragte, verschwand bei ihm die unangenehme Empfindung, die dieser erste Eindruck bei ihm geweckt hatte.
„Viel Gutes, Herr Onkel, wüsste ich da leider nicht zu melden“, erwiderte Quentin Durward auf diese Frage; „aber gefreut hat's mich,