Walter Scott

Quentin Durward


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grässlichen Kauderwelsch, „willst Du den Menschen, den Du ermordet hast, auch noch berauben? Dafür sollst Du büßen!“ Grimmige, verzerrte Gesichter starrten ihn an. Von allen Seiten wiesen Messer auf ihn. Den jungen Schotten verließ seine Geistesgegenwart nicht. Er wehrte sich gegen die Männer, die ihn gepackt hielten. Mit einem heftigen Ruck war er frei. Dann rief er: „Was wollt Ihr von mir, Leute? Wenn Ihr in dem Unglücklichen einen Kameraden oder Freund zu beklagen habt, so lasst Euch sagen, dass ich ihn eben vom Baume losgeschnitten. Ich habe nicht vor, mich an seinem bisschen Habe zu bereichern. Besser wär's, statt Euch mit mir zu streiten, versucht ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Wären die anderen Bauern nicht so erbärmlich weggelaufen, so wäre der arme Kerl wohl noch am Leben. Durch den Sturz scheint ihm das Letzte davon abhandengekommen zu sein“.

      Inzwischen hatten sich die Weiber über den Unglücklichen hergemacht und alles Mögliche versucht, ihn wieder ins Leben zu bringen. Ihre Bemühungen waren ebenso erfolglos wie die vorangehenden von Durward. Auch sie sahen das Vergebliche ihrer Bemühungen ein. Sie hoben nach orientalischer Sitte ein klägliches Geschrei an, rauften sich die langen Haare, während die Männer ihre Kleider zerrissen und Straßenstaub auf ihr Haupt zu schütten anfingen. Jetzt erst betrachtete Durward die Anwesenden genauer, denn es kümmerte sich niemand mehr um ihn, überzeugt von seiner Unschuld. Für Durward wäre es das Gescheiteste gewesen, sich nicht weiter um die Leute zu kümmern, sondern stumm und still seiner Wege zu ziehen. Aber daran gewöhnt, Gefahren ohne Rücksicht auf die Folgen zu trotzen und seine Neugierde zu stillen, blieb er. Er wollte wissen, wer hinter diesen merkwürdigen Menschen verbarg, die so krause schwarze Bärte hatten und von so dunkelbrauner Hautfarbe waren, dass sie ganz aussahen wie Afrikaner. Ein paar von ihnen, augenscheinlich die Anführer, trugen seltsamen Zierrat um den Hals. Ketten aus Silbermünzen und ebenso in den Ohren, dazu gelbe, hellgrüne und scharlachrote Schärpen um den Leib. Außer den langen Messern, mit denen sie ihn eben noch bedrohten, bemerkte Quentin keinerlei Waffen bei ihnen. Nur einer trug eine Art Krummsäbel oder Maurenschwert an der Seite. Er überbot die anderen an Ausbrüchen von schmerzlichem Geheul, wohl auch Drohungen, weil er des Öfteren die Hand daran legte.

      Plötzlich ertönte von anderer Seite her Pferdegetrappel. Die Leute, von denen Quentin meinte, sie seien Sarazenen ließen auf der Stelle den Leichnam fallen. Ihre Klagen wandelten sich in Schreckensrufe, und die meisten von ihnen wandten sich kurz entschlossen zur Flucht. Bis auf Zweien gelang es ihnen auch, sich durch die Reiter hindurch zu schlagen! Von diesen beiden, die in die Hände der Reiter fielen, war einer derjenige, der den Krummsäbel wild um sich geschwungen hatte. Der Nächste, der von den Reitern ergriffen und ungeachtet allen Einspruchs gebunden wurde, war Quentin Durward. An der Gewandtheit, mit der sich die Soldaten dieser Verrichtung entledigten, ließ sich erkennen, dass sie keineswegs Neulinge in dieser Polizeitätigkeit waren. Quentin, der sich bestürzt nach dem Anführer der Reiterschar umsah, wusste nicht, ob er sich freuen oder sorgen sollte. In ihm erkannte er den Gefährten Meister Peters, der den Blick immer zur Erde gerichtet hielt. Welches Verbrechens diese Fremdlinge beschuldigt sein mochten, so musste dieser Beamte doch aus der Geschichte des Morgens wissen, dass Durward in keinerlei Verbindung mit ihnen stand. Allein schwieriger war die Antwort auf die andere Frage, ob dieser finstre Mann für ihn ein günstiger Richter oder williger Zeuge sein werde. Und ob er bereit wäre, seine Lage zu verbessern.

      Aber es blieb wenig Zeit zum Nachdenken übrig. „Trois-Echelles und Petit-André!“, sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick zu zweien seiner Truppe; „die Bäume hier stehen gerade recht bequem. Ich will dies ungläubige, diebische Gesindel lehren, mit des Königs Gerechtigkeit zu spaßen, wenn sie einen von der verruchten Rasse erwischt hat. Steigt ab, und tut ohne weiteres Eure Schuldigkeit!“

      Trois-Echelles und Petit-André standen augenblicklich auf den Füßen, und Quentin bemerkte, dass jeder von ihnen am Schwanzriemen und Sattelknopf seines Pferdes ein Bund Stricke befestigt hatten. Sie lösten sie schleunigst ab und knüpften sie zu der verhängnisvollen Schleife, die für solche, die gehenkt werden, den letzten Halsschmuck bilden. Eiskalt rann das Blut durch Quentins Adern, als er sah, dass man drei Stricke auswählte. In der Absicht, einen davon um seinen Hals zu schlingen, wurde ihm ganz anders. Er erinnerte den Mann mit lauter Stimme an ihr Zusammentreffen am Morgen, machte sein Recht als freigeborener Schotte in befreundetem Lande geltend, und behauptete, dass er weder die Personen kenne, in deren Gesellschaft er gefangen worden, noch wisse, was sie eigentlich verbrochen hätten.

      Der Mann würdigte ihn keines Blicks, sondern wandte sich ohne weiteres zu ein paar Bauern, die jetzt zum Vorschein kamen. Er fragte kurz: „War der junge Mensch da bei den Vagabunden?“

      „Allerdings war er dabei, Sir“, antwortete einer der Bauern, „und mit Ew. Edlen des Herrn Generalprofos Erlaubnis, wie wir schon gesagt haben, er war der Erste, der den Schurken abschnitt, den Se. Majestät Gerechtigkeit verdientermaßen hatte aufknüpfen lassen.“

      „Ich schwöre bei Gott und dem heiligen Martin von Tours“, sagte ein anderer, „dass ich ihn mit ihnen gehen sah, als sie unsere Meierei plünderten.“

      „Ja, aber der Heide war doch schwarz, Vater!“, sagte ein Knabe, „und der hier ist weiß; der hatte ganz kurzes, krauses Haar und der hier hat schöne, lange Haare.“

      „Das ist wohl wahr, Junge“, versetzte ein Bauer; „jener hatte auch einen grünen Mantel, und dieser hat eine graue Jacke. Aber Ew. Edlen der Herr Profos wissen ja selbst, dass diese Halunken ihr Gesicht wechseln können wie ihre Jacke, so dass ich doch immer noch der Meinung bin, es sei derselbe.“

      „Es genügt“, sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick, „dass Ihr gesehen habt, wie er sich bemühte, einen gerichteten Verbrecher ins Leben zurückzurufen. Trois-Echelles und Petit-André, macht Euch fertig!“

      „Haltet ein, Herr Offizier!“, rief der Schotte in Todesangst; „hört mich an und lasst mich nicht schuldlos sterben! Mein Blut wird von Euch gefordert werden durch meine Landsleute in dieser Welt und durch die Gerechtigkeit des Himmels in der künftigen!“

      „Ich werde meine Handlungen hier und dort zu verantworten wissen!“, sagte der Profoß kaltblütig, indem er mit der linken Hand den Scharfrichtern ein Zeichen gab. Dann zeigte er mit boshaftem Lächeln auf seinen rechten Arm, den er in einer Binde trug, wahrscheinlich infolge des Schlages, den er am Morgen von Durward erhalten hatte.

      „Elender, rachsüchtiger Bube!“, rief Quentin, nunmehr überzeugt, dass er von ihm kein Mitleid zu erwarten habe.

      „Der arme Junge ist nicht bei Sinnen!“, sagte der Profoß: „sprich ihm doch ein tröstliches Wort zu, Trois-Echelles, ehe sein Ableben erfolgt. Du bist ja in dergleichen Fällen der Richtige, wenn ein Beichtvater fehlt. Nur eine Minute erteile ihm geistlichen Rat und Zuspruch und dann fort mit ihm! Ich muss jetzt die Runde machen – Soldaten, folgt mir!“

      Der Profoß ritt mit seiner Wache fort, bis auf ein paar Männer, die zurückblieben. Diese blieben, um bei der Hinrichtung behilflich zu sein. Der unglückliche Schotte sah ihm verzweifelt nach. Mit jedem schwindenden Hufschlag schwand für ihn die Möglichkeit einer Rettung. Voller Todesangst sah er sich um. Zu seinem großen Erstaunen sah er, dass seine Mitgefangenen in stoischer Gleichgültigkeit verharrten. Anfangs hatten sie ängstlich versucht zu fliehen; nachdem sie aber allem Anschein nach dem unvermeidlichen Tode entgegengingen, erwarteten sie ihr Schicksal mit unerschütterlichem Gleichmut. Die beiden Scharfrichter hatten Quentin zu dem Baum geschleppt, von dem er erst den anderen Gehenkten abgenommen hatte, und legten ihm die Schlinge um den Hals. Mit verstörtem Blick sah er sich um. „Gibt es denn keinen guten Christen hier“, riefe er, „der es dem Ludwig Lesley von der schottischen Leibwache, hier zu Lande Balafré genannt, hinterbringen möchte, dass man hier seinen Neffen schändlich umbringt?“

      Gerade rechtzeitig, denn ein Bogenschütze von der schottischen Garde, den die Hinrichtung herbeigelockt hatte, stand mit ein paar anderen zufälligen Passanten da.

      „Nehmt Euch in acht!“, sagte er; „ist der junge Mensch hier vielleicht ein Schotte von Geburt, so solltet Ihr nicht solchen schlechten Spaß mit ihm treiben!“

      „Gott behüt‘ uns, Herr Reiter!“, versetzte Trois-Echelles; „aber wir müssen tun, was man uns befohlen hat!“

      „Das