Jochen Ruderer

Zwei Sommer


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so. Ja. Klar.“

      Simone zog die Stirn in Falten.

      „Scheint ein langweiliger Sonntag gewesen zu sein.“

      Ich spürte die alt bekannte Beklemmung in meinem Hals aufsteigen. Doch statt mich um sie zu kümmern fixierte ich einen Punkt an der Wand der Turnhalle und sagte möglichst unbeteiligt.

      „Nein. Gar nicht. Es war cool.“

      Simone musterte mich eingehend und um ihren Mund schien etwas von dem spöttischen Grinsen ihrer Schwester zu zucken.

      „Ooookayyy“, sagte sie gedehnt. „Und wie war der Film?“

      „Der Film? Ach so, der Film. Naja… also es sah schon alles cool aus und so. Aber die Geschichte war Mist. Soldaten und ein Wissenschaftler, die durch ein Steintor auf einen anderen Planeten reisen, um dort die Welt zu retten.“

      „Ach dieses Tor ist das Stargate oder was?“

      „Ja, genau. Aber es ist alles total absurd. Am Ende wird der Fiesling mit einer Atombombe in die Luft gejagt und der Held bleibt auf dem fremden Planeten zurück, weil er seine Liebe gefunden hat.“

      Es gab eine kleine Pause.

      „Und mit wem warst du?“

      Ich suchte wieder den Punkt an der Wand. Ich dachte an die Liste mit den coolen Sprüchen. Ich überlegte, ob ich die Frage vielleicht ignorieren konnte. Und dann tat ich etwas für mich völlig untypisches. Etwas, von dem ich bis heute nicht weiß, woher ich den Mut dazu hatte. Ich sagte: „Mit meiner Mutter.“

      Simone sagte nichts.

      Ich sagte nichts.

      Simone hob den Kopf und blickte mir direkt in die Augen. Und dann sagte sie: „Ich war noch nie mit meiner Mutter im Kino.“

      Ein paar Tage später verließ Simone den Schutz ihrer Raucherecke und kam quer über den Schulhof auf mich zu. In der Hand hielt sie eine Zeitung. Basti erzählte gerade vom Schwimmcamp in Frankreich und einer gewissen Véronique, von der ich zum ersten Mal hörte. Als er Simone kommen sah, verstummte er abrupt. Simone lächelte entspannt.

      „Kann ich dich was fragen?“

      „Klar“, antwortete ich.

      Simone zögerte. Basti zog deutlich hörbar die Luft ein und drehte sich mit einem Grinsen weg.

      „Ich lass euch mal.“

      Ich versuchte ihn am Arm zu packen.

      „Nein. Musst du nicht.“

      Aber Basti kümmerte sich nicht um mich. Ich blickte ihm nach und drehte mich entschuldigend zu Simone.

      „Keine Ahnung, was er hat.“

      Simone hielt mir die Zeitung hin.

      „Hier. Hast du gesehen?“

      Auf den eng bedruckten Zeilen war etwas mit grünem Filzstift eingekreist. In den Straßen der Bronx. 19:30.

      „Kennst du den schon?“

      „Nein. Den nicht. Aber wieso läuft der noch im Kino?“

      „Das De-Niro-Special. Weißt du noch?“

      „Ach so. Klar. Wann ist das?“

      „Donnerstag. Kommst du mit?“

      „Donnerstag. Wohin? Ins Broadway?“

      Simone nickte.

      „Aber wie kommen wir denn da wieder zurück. Fährt um die Zeit noch ein Bus?“

      Simone grinste.

      „Da weiß ich schon was. Also, du kommst?“

      „Ja.“ Ich nickte vielleicht etwas zu heftig, rieb mir den Nacken und blickte über Simones Schulter hinweg. „Gerne. Ich komme gerne.“

      „Prima.“ Simone lächelte. Wir treffen uns um Viertel nach vorm Kino, OK?“

      „OK.“ Ich lächelte auch. Simone verschwand. Basti kam zurück. Ich lächelte immer noch. Basti grinste.

      „Hab ich was verpasst?“

      „Nein“, sagte ich. „Nichts Erderschütterndes.“

      Der Kinobesuch mit Simone war einer dieser Abende, die viel zu voll gepackt sind mit Ereignissen. Mein liebstes Kino. Mein liebster Schauspieler. Meine erste Verabredung. Vielleicht ist mir das an jenem Abend zum ersten Mal aufgefallen. Heute bemerke ich das ständig. Tage, Wochen oder Monate ziehen vollkommen ereignislos dahin und man würde sich freuen, wenn man vorm Zubettgehen wenigstens sagen könnte Heute habe ich einen echt interessanten Wortbeitrag im Kulturradio gehört und dann - Bumm. Alles auf einmal. Drei Veranstaltungen gleichzeitig, zu denen man eingeladen ist. Alle wollen am selben Tag zu Besuch kommen. Auf Arbeit steht ein entscheidender Termin an, die Freundin wartet mit Theaterkarten und ein alter Schulfreund hat Geburtstag. Alles wichtig, alles spannend, alles entscheidend - und alles zusammen viel zu viel.

      Bereits am Nachmittag war ich so aufgeregt, dass ich mich selbst kaum noch ertragen konnte. Ich hatte mir fest vorgenommen, cool zu sein. Ich wollte nur an den Film denken. Ich wollte auch Basti eigentlich gar nichts erzählen - nichts davon gelang mir.

      Zu meiner Überraschung war Basti absolut prima. Er stellte nicht zu viele Fragen. Er machte keine Witze. Und statt Ratschlägen gab er mir sein schwarzes Sonic Youth T-Shirt mit der gelben Schrift. Das war cool.

      Meine Mutter musste an dem Abend lange arbeiten, so dass sie nur verlangte, ich solle vor Mitternacht zurück sein. Sie fragte weder wie ich nach Hause kommen würde noch mit wem ich ins Kino ginge. Perfekte Bedingungen.

      Als ich um kurz nach sieben vorm Kino ankam, war Simone schon da. Sie stand im Eingangsbereich vor den Plakaten und rauchte. Ihre Dreadlocks hatte sie mit Hilfe eines hellblauen Stofftuches nach hinten gebunden. Über einer Jeans trug sie eine braune Lederjacke und darunter ein düster aussehendes Metal-Shirt auf dem in kantiger Schrift stand: Daddy’s Girl. Wir umarmten uns zur Begrüßung.

      „Du bist zu früh“, sagte sie.

      „Ja“, sagte ich. „Die Bahn fährt nur alle Stunde.“

      Sie nickte und musterte mich.

      „Cooles Shirt.“

      Ich lächelte.

      „Ja…danke“, brachte ich hervor.

      Sie grinste.

      „Gehen wir einfach schon rein.“

      Sie schnipste ihre Zigarette weg, hakte mich unter und zog mich nach drinnen.

      Ich hatte also endlich mein erstes richtiges Date. Mit einem Mädchen, dass ich ernsthaft nett fand. Mit vier Flaschen Bier, die sie in den Saal reingeschmuggelt hatte. Und mit De Niro. Und das war ein Fehler.

      Ich erinnere mich, dass ich bei der Werbung noch darüber nachgedacht habe, wie und wo ich meine Hand am günstigsten ablegen sollte, um sie im richtigen Moment zu Simone rüber zu schieben. Dann begann der Film und das nächste Mal, dass ich an meine Hand dachte, war beim Abspann.

      Ich mochte alles an dem Film. Alles. Die Geschichte. Die Sprüche. Den Look. Den jugendlichen Helden. Den fiesen Gangsterboss. Den Vater. Eben alles. Ich erlebte einen dieser Momente, die immer seltener werden, je älter man wird. Ich tauchte vollkommen in die Filmwelt ein. Und dabei vergaß ich, warum ich gekommen war. Simone. Händchen halten. Vielleicht sogar Knutschen.

      Als irgendwann die ganzen Namen von unten nach oben durchs Bild liefen wusste ich, die Chance war vorbei. Ich würde niemals mehr den Mut haben, Simones Hand zu berühren. Oder sie sogar zu küssen. Das Licht würde angehen, wir würden uns angrinsen und dann jeder für sich nach Hause gehen. Ich hatte komplett versagt.

      Als ich mich zu Simone hinwenden wollte, war ihr Kopf zu meiner Überraschung sehr viel näher an meinem, als ich erwartet hatte. Plötzlich