Emmi Ruprecht

Erleuchtet


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Sollte das einer dieser überflüssigen Scherze sein, die das Leben von Zeit zu Zeit bereit hielt, wenn es Langeweile und schlechte Laune hatte?

      Misstrauisch betrachtete ich die Karte genauer. „Siegbert“, las ich noch einmal. Hm. Sollte der hübsche Dunkelhaarige tatsächlich mit so einem Namen gestraft sein? Wie abartig! Kein Wunder, dass er Therapeut geworden war!

      Aber irgendwie schien mir das nicht recht wahrscheinlich zu sein. Ich dachte nach. Hatte sich wirklich irgendjemand in dem Laden befunden, der so alt war, wie sich der Name anhörte? Möglich wär‘s. Die Bar war voll gewesen und ich ebenso. Meine Erinnerungen an jenen Abend waren mit Sicherheit nicht die zuverlässigsten!

      Irgendetwas an dieser Karte ernüchterte mich. Sie las sich einfach nicht so, wie ich mir eine Karte von meinen Traumprinzen vorstellte. Auch sah sie nicht so aus, als könnte sich dahinter ein neues, erstrebenswertes Leben verstecken, und die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ irritierte mich sehr!

      Dennoch – hatte ich eine Wahl?

      Ich wusste, ich würde anrufen und versuchen herauszufinden, wer dieser Mensch war. Meine Neugier ließ gar nichts anderes zu! Und meine Überzeugung, dass das Schicksal sich bei dieser Sache irgendetwas gedacht haben musste, auch nicht. Schließlich war ich nachts im dunklen Park fast ertrunken, auch wenn ich wohl nicht in den Fluss, sondern nur auf den schmalen Uferstreifen unterhalb der Böschung gefallen war. Immerhin hatte mir das zweieinhalb Tage im Krankenhaus eingebracht und das fand ich im Vergleich zur sonstigen Ereignislosigkeit in meinem Leben höchst dramatisch! Auch wenn ich diese Ereignisse vielleicht ein kleines bisschen provoziert hatte mit meinem nächtlichen Ausflug zum Fluss, um halbwegs besoffen herauszufinden, wie sich „ins Wasser zu gehen“ wohl anfühlen mochte, so musste es dennoch eine Bedeutung haben, dass diese Karte in meiner Jacke war! Und: Es musste irgendwohin führen, wenn ich diesem Hinweis des Schicksals folgte. Es gab keine belanglosen Zufälle, wenn man vor der Entscheidung zwischen Leben und Tod stand!

      Jetzt beschäftigte mich nur noch eine Frage: Wann war die beste Zeit, um diesen Mann anzurufen?

      +

      Es war früher Abend. Ich meinte mich zwar daran erinnern zu können, dass mein behandelnder Arzt im Krankenhaus etwas davon gesagt hatte, dass Alkohol in der nächsten Zeit nicht gut für mich sei, aber so etwas sagen Ärzte immer. Sie können gar nicht anders. Genauso, wie sie sagen, dass man unbedingt das Rauchen aufgeben und sich gesünder ernähren soll. Ich fand, Alkohol war jetzt das Beste, was ich mir antun konnte. Schließlich litt nicht nur mein Kopf an Gehirnerschütterung, sondern vor allem mein Innerstes an Seelenerschütterung! Deshalb tat ich gut daran, mich bei einem Gläschen Prosecco mit einer Winzigkeit Aperol auf Eis zu entspannen. Außerdem konnte ein wenig alkoholbedingte Lockerheit nicht schaden, wenn ich vorhatte, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen und diese Chance, die das Schicksal mir kurz vor knapp vor die Füße geworfen hatte, sorgsam aufzulesen und zu nutzen. Gleich würde ich erfahren, was hinter dieser unscheinbaren und eher nüchtern wirkenden Visitenkarte auf mich wartete!

      Ich nahm noch ein Schlückchen zur Aufmunterung, dann mein Telefon in die Hand, legte die Visitenkarte zurecht und wählte die dort angegebene Nummer. Ich war zugegebenermaßen ziemlich aufgeregt: Würde sich jetzt das Geheimnis lüften und ich mich daran erinnern können, wer dieser geheimnisvolle Mensch war, der mir seine Karte unter diesen mysteriösen Umständen zukommen lassen hatte?

      Im Hörer tutete es. Ich ermahnte mich zur Ruhe und dazu, damit aufzuhören, die Eiswürfel im Glas mithilfe des Strohhalms hektisch im Kreis zu jagen.

      „Gärtner“, ertönte es aus dem Hörer. Es war eine angenehme Stimme, wie ich beruhigt feststellte. Aber auch tatsächlich eine nicht mehr ganz neue.

      „Hallo Siegbert“, antwortete ich und bemühte mich möglichst ruhig und tief zu sprechen – und vor allem nicht zu husten, was mir leider häufig passierte, wenn ich aufgeregt war. Dann versuchte ich, möglichst cool den Text zu rezitieren, den ich mir zurechtgelegt hatte. Unvorbereitet würde ich nie einen Mann anrufen, den ich nicht kannte, und der mir in meiner Lieblings-Bar eine Visitenkarte zugesteckt hatte!

      „Ich habe hier eine Karte von dir. Dr. Siegbert Gärtner – hübscher Name“, log ich. „Ich heiße übrigens Hilde. Ich hoffe, du weißt noch, wer ich bin?“

      Mit dieser Formulierung, die alles Mögliche bedeuten konnte, plante ich, mein Gegenüber ein wenig aus der Reserve zu locken. Wer konnte schon wissen, wo und in welchen Zusammenhängen der Herr Dr. Gärtner seine Visitenkarten unter das Weibsvolk schmiss? Und tatsächlich: Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Ich schien Siegbert irritiert zu haben! Vermutlich klapperte er gerade fieberhaft alle Zusammentreffen der letzten zwei Wochen ab, an deren Ende er seine Karte irgendwo hinterlassen hatte.

      „Ups“, gurrte ich gut gelaunt, „erwischt! Der Herr Doktor beliebt des Öfteren, seine Visitenkarte konspirativ in die Taschen attraktiver Frauen zu schmuggeln. Und jetzt überlegt er, welcher der vielen auf diese Weise eroberten Kontakte ich wohl sein könnte?“

      Ich lachte leise und hoffte, dass es charmant klingen möge. Leider kippte meine Stimme am Ende um zu einem Kiekser und ich schlug erschrocken die Hand auf meinen Mund. Himmelherrgottnocheins! Vielleicht hätte ich doch ein bisschen sparsamer mit dem Aperol umgehen sollen! Die Flüssigkeit im Glas hatte eine gefährlich tieforangefarbene Färbung gehabt!

      Am anderen Ende der Leitung war immer noch nichts zu hören.

      „Entzückend! Vielleicht sollte ich dir einen kleinen Hinweis geben?“, riet ich und fing an, mich sicherer zu fühlen. Langsam entwickelte ich Spaß an der Angelegenheit! Dieser Siegbert schien ein bisschen schüchtern zu sein, obwohl er Psychotherapeut war. Musste so einer nicht den ganzen Tag reden? Oder nein – er ließ vermutlich reden und saß mit nachdenklich auf seine Hände gestütztem Kopf da und lauschte. Vielleicht reichte er auch ab und an mal ein Taschentuch oder tätschelte beruhigend die Hand einer Klientin, die gerade von ihrer katastrophalen Kindheit berichtete!

      „Aaalsoo ...“

      Ich zog das „also“ ganz lang und hoffte, dass es unwiderstehlich charmant und selbstsicher `rüberkam. Irgendwie reizte dieser schüchterne Psychodoktor mich dazu, mit ihm zu flirten! Ich war sicher, ihm im Nullkommanichts den Kopf verdrehen zu können. Er schien fast ein bisschen hilflos zu sein, wie er da vor sich hin schwieg. Wahrscheinlich eine leichte Beute, schnell zu beeindrucken und vor allen Dingen – harmlos! Das gab mir ein Gefühl von Überlegenheit und damit die nötige Sicherheit, um ein wenig mit ihm zu spielen. Ich fand, das war genau das, was ich gerade brauchte: Ein kleiner Flirt, der mein Selbstbewusstsein aufbaute, mit einem Mann, von dem keinerlei Gefahr ausging, und vor allem in einer Konstellation, in der ich eindeutig die Souveränität hatte, das Gespräch zu lenken, wohin ich es lenken wollte!

      „Ich bin die zierliche, schlanke Rothaarige, die Caipirinha getrunken hat. Schwarzes Jackett und Leopardentop. Ich hoffe, du erinnerst dich?“, fragte ich mit naiv-verführerischer Stimme. Mann, machte das Spaß! Und ich konnte es mir leisten! Schließlich hatte dieser Kerl mir seine Visitenkarte zugesteckt. Also würde er mich auch für entsprechend attraktiv halten und mir aus der Hand fressen!

      Doch am anderen Ende der Leitung blieb es immer noch still. Meine Güte, das wurde jetzt aber langsam anstrengend!

      „Freitag ...“, flüsterte ich, „... abend“, ergänzte ich nach zwei Sekunden Pause lasziv.

      Ich wartete. Ich hörte immer noch nichts. Hatte ich es vielleicht übertrieben? War der Mann am anderen Ende der Leitung vielleicht dermaßen schüchtern, dass eine Frau, die so souverän und weltgewandt auftrat wie ich, und die so erfahren im Umgang mit Männern wirkte, ihn überforderte?

      Als nach einer Weile am anderen Ende der Leitung immer noch nichts passierte, flötete ich „Hallo? Jemand Zuhause?“ in den Hörer. Ich hoffte, ich würde damit dem schüchternen Siegbert signalisieren, dass ich zwar eine unheimlich souveräne und weltgewandte Frau war, aber eben auch eine mit Humor, vor der der kleine Siegbert sich nicht fürchten musste, weil sie ganz lieb war und ihm nichts tun würde. Aber auch danach rührte sich am anderen Ende der Leitung nichts.

      Nach