Bruno Giordano

Austreibung des triumphierenden Tieres


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gemäß der Vernunft bewegt und beherrscht, so ist es höher als jenes andere und läßt sich von diesem nicht zwingen und nötigen; infolge der hohen Gerechtigkeit, die über allen Dingen waltet, geschieht es, daß es für die ungeordneten Begierden in demselben oder einem anderen Körper gepeinigt und erniedrigt wird und nicht auf die Regierung und Verwaltung eines besseren Raumes rechnen darf, wenn es sich in der Beherrschung eines anderen schlecht bewährt hat. Wer nun hier zum Beispiel das Leben eines Pferdes oder Schweines geführt hat, wird, wie viele ausgezeichnete Philosophen gemeint haben, und ich glaube, daß, wenn ihnen auch nicht schlankweg Glauben geschenkt werden kann, ihre Ansicht doch sehr beachtenswert ist, von der unerbittlichen Gerechtigkeit dazu verurteilt, daß ein diesem Vergehen oder Verbrechen entsprechender Kerker sowie zu diesen Verrichtungen und Tätigkeiten geeignete Organe und Werkzeuge in seinen Organismus eingefügt werden. Und wenn er zufolge der durch die Schicksalsfügung bedingten ewigen Veränderung immer weitere Stadien durchläuft, so wird er immer weitere schlechtere oder bessere Lebenslagen oder Schicksale durchmachen, je nachdem er sich in der nächstvorhergehenden Lebenslage besser oder schlechter bewährt hat, genau wie wir sehen, daß der Mensch, der seine Gesinnung und seinen Charakter ändert, aus einem guten ein schlechter, aus einem mäßigen ein unmäßiger Mensch wird und umgekehrt, so wird aus dem, der eine Bestie zu sein schien, ein anderes besseres oder schlechteres Wesen kraft bestimmter Linien und Bildungen, die von dem inneren Geiste ausgehend, am Körper zum Vorschein kommen und einen erfahrenen Physiognomiker nie täuschen können. Wie wir daher unter den Menschen viele wahrnehmen, die im Gesicht, im Antlitz, in der Stimme, in Gebärden, Neigungen und Leidenschaften bald Pferden, bald Schweinen, Eseln, Adlern, Ochsen gleichen, so kann man auch annehmen, daß in ihnen ein Lebensprinzip vorwaltet, durch das in Gemäßheit der nächstfrüheren oder der ihnen nächstbevorstehenden Verwandlung des Körpers entweder Schweine, Pferde, Esel, Adler oder etwas anderes, mit dem sie eine Ähnlichkeit aufweisen, gewesen sind oder es demnächst sein werden, wenn sie sich nicht infolge der Gewöhnung an Selbstbeherrschung, an Studien, an philosophische Betrachtungen und andere Tugenden oder Laster ändern und sich nicht zu etwas anderem geschickt machen. Von dieser Meinung oder vielmehr von uns, die wir den Plan zu der gegenwärtigen Schrift entworfen haben, hängt die Handlung der Reue Jupiters ab, der nach der gewöhnlichen Schilderung als ein Gott dargestellt wird, der Tugenden und edle Gesinnungen hatte, aber auch Ausschweifungen und leichtsinnige Handlungen beging und menschlichen Schwächen‚ die oft brutal und bestialisch waren, unterworfen war. In dieser Weise wird er dargestellt, wenn von ihm erzählt wird, er habe sich in jene verschiedenen Gegenstände oder Formen verwandelt; dadurch wird auch zugleich der Wechsel in den Neigungen bezeichnet, dem Jupiter, die Seele, der Mensch unterliegen, da sie sich sämtlich innerhalb dieser hin- und herflutenden Materie befinden. Dieser selbe Jupiter ist aber auch zum Beherrscher und Beweger des Himmels bestellt, wodurch angedeutet werden soll, daß in jedem Menschen, in jedem Individuum eine Welt, ein Universum steckt; denn unter dem Herrscher Jupiter ist das Licht der Vernunft zu verstehen, das in dieser Welt herrscht und regiert, und in diesem bewundernswürdigen Gebäude die Anordnung der Räume und die Plätze der Tugenden und Laster bestimmt.

      Diese Welt, aufgefaßt nach der Einbildung törichter Mathematiker und nicht klügerer Physiker, unter denen die Peripatetiker die albernsten sind, die nicht ohne Vorteil für unseren gegenwärtigen Zweck in so viele Sphären eingeteilt und dann in ungefähr achtundvierzig Sternbilder zerlegt wird – unter denen man zunächst einen achten abgeteilten Himmel versteht, der mit den Fixsternen besetzt ist und in der Volkssprache das Firmament heißt – ist die Grundlage und der Gegenstand unserer Schrift. Denn wie Jupiter, der jeden einzelnen von uns darstellt, aus einer Empfängnis geboren worden ist, sich vom Knaben zum Jünglinge und kräftigen Manne entwickelt hat und von da an immer älter und schwächer geworden ist: so wird auch aus einem Unschuldigen und in den Ränken dieser Welt Unbewanderten ein schlechter, geriebener Mensch, ein Bösewicht; mitunter tritt aber auch eine Wendung zum besseren ein: aus einem Unwissenden wird ein Gelehrter, aus einem Trunkenbolde ein nüchterner, enthaltsamer Mensch, aus einem Ausschweifenden ein Keuscher, aus einem Leichtsinnigen ein Ernster, aus einem Ungerechten ein Gerechter – Bekehrungen, zu denen sich die Menschen oft durch die Abnahme ihrer Kraft, und durch die Furcht vor der unerbittlichen Gerechtigkeit des Fatums, das sogar mächtiger ist als die Götter, und dessen Strafen veranlaßt sehen. An dem Tage also, an dem im Himmel das Fest der Gigantomachie gefeiert wird, des Sinnbildes des beständigen und ohne Waffenstillstand fortgeführten Kampfes, den die Seele gegen die Laster und ungeordneten Begierden zu bestehen hat, will der Göttervater das ausführen und ins Werk setzen, was er geraume Zeit vorher beschlossen und bestimmt hatte, wie ein Mensch zur Änderung seiner Lebensweise zuerst durch den Glanz eines Lichtes veranlaßt wird, das von dem Wachtturme, dem Mastkorbe oder dem Steuerruder unserer Seele – von einigen Gewissensangst genannt – ausgeht und hier fast durchgängig in Momus personifiziert erscheint. Er schlägt also den Göttern vor, was zu tun sei, das heißt er übt den Akt der vernünftigen Selbstüberlegung aus, und stellt es zur Beratung; er ruft die Gelübde zusammen, bewaffnet die sittlichen Widerstandskräfte, ermutigt die Vorsätze, nicht nach dem Abendessen, in der Nacht der Unüberlegtheit und ohne die Sonne des Denkens und das Licht der Vernunft, nicht des Morgens bei nüchternem Magen, das heißt ohne Begeisterung und ohne von der Glut aus der Höhe erwärmt zu sein, sondern nach der Mittagsmahlzeit, das heißt nach dem Genuß der Ambrosia des Tugendeifers und des Nektars der göttlichen Liebe, um die Mitte des Tages oder genau zu Mittag, das heißt, wenn der Götterfeind‚ der Irrtum, am wenigsten schaden und die Freundin, die Wahrheit, am meisten nützen kann, in dem Zeitpunkte der höchsten Lichtentfaltung. Dann wird die triumphierende Bestie vertrieben, das heißt die Laster, die die Herrschaft führen und den göttlichen Teil der Seele unter ihre Füße zu treten pflegen, wenn der Geist vom Irrtum befreit wird und sich mit Tugenden schmückt, sowohl aus Liebe zur Schönheit, die in der natürlichen Güte und Gerechtigkeit sichtbar wird, wie aus Sehnsucht nach der aus dem Genusse der Früchte der Schönheit erwachsenden Lust und aus Haß und Furcht vor der entgegengesetzten Häßlichkeit und Unlust.

      Dies wird nach unserer Darstellung von allen Göttern insgesamt angenommen und gebilligt, das heißt, die Tugenden und Kräfte der Seele unterstützen die Tätigkeit und Wirksamkeit jenes mächtigen Faktors, der unter der Hülle des gerechten, guten und wahren, jenes hellstrahlende Licht bezeichnet, das dem Gefühle, dem Verstand, der Vernunft, dem Gedächtnis, der Liebe, der Begierde, der Neigung zum Zorne, dem Gewissen, der Willensfreiheit den rechten Weg weist – Seelenkräften, die durch Merkur, Pallas, Diana, Cupido, Venus, Mars, Momus, Jupiter und andere Götter personifiziert werden.

      Wo sich also der kleine Bär befunden hatte, dort kommt wegen der Lage des Ortes, der die höchste Stelle des Himmels einnimmt, die Wahrheit hin, die das höchste und würdevollste von allem und zugleich das erste, letzte und mittelste ist und die dadurch den Umkreis des Seins, der Notwendigkeit, der Güte, des Prinzips, des Mittels, des Zwecks, der Vollkommenheit ausfüllt; sie nimmt die philosophischen Gebiete der Metaphysik, Physik, Moral, Logik in Besitz, und mit dem Bären verschwinden die Höflichkeit, Falschheit, Mangelhaftigkeit, Zufälligkeit, Heuchelei, Betrügerei, Verräterei. Der Platz des großen Bären bleibt frei, weil er hier nicht erwähnt wird. Wo sich der Drache krümmt und windet, lagert sich, um der Wahrheit nahe zu sein, die Klugheit mit ihren Hofdamen, der Dialektik und Metaphysik, die als Nachbarinnen zur rechten die Schlauheit, List und Tücke, zur linken die Dummheit, Trägheit, Unklugheit hat. Sie wendet sich dem Beratungsplatze zu. Von diesem Platze entspringen die Zufälligkeit, die Sorglosigkeit, die Schicksalsfügung, die Nachlässigkeit samt ihren Nachbarinnen zur rechten und linken. Von dort, wo Cepheus allein kämpft, sinken die Trugschlüsse und die Unkenntnis schlechter Charaktereigenschaften, das törichte Vertrauen samt ihren Mägden, Dienerinnen und Nachbarinnen herab, und die Weisheit nimmt hier Platz, weil sie eine Gefährtin der Klugheit ist, und zeigt sich auf den Gefilden des göttlichen, natürlichen, moralischen, vernünftigen. Dorthin, wo der Fuhrmann den Wagen beobachtet, steigt das Gesetz, um seiner Mutter, der Weisheit, nahe zu sein, und verkehrt auf den Gefilden des göttlichen und des natürlichen Rechts, des Völker- und Zivilrechts, der Politik, der Wirtschaftslehre und der angewandten Ethik, über die es zu höheren Dingen empor- und zu niedereren herabsteigt, sich zu gleichartigen Dingen ausbreitet und ausdehnt und in sich selbst verharrt. Von da verschwindet die Pflichtvergessenheit, das Verbrechen, die Ausschweifung, die Unmäßigkeit samt ihren Kindern, Dienern und Gefährten. Wo die nördliche Krone, begleitet vom