Bruno Giordano

Austreibung des triumphierenden Tieres


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Du hast dies sehr gut bewiesen, Sofia.

      Sofia. Jeder Genuß besteht, wie wir sehen, aus nichts anderem als aus einem gewissen Übergang, einer Umwandlung, einer Bewegung. Denn der Zustand des Hungers ist lästig und peinlich, unangenehm und niederdrückend der Zustand des Sattseins, aber das, was angenehm ist, ist der Übergang von einem Zustande zum anderen. Der Zustand der Liebesleidenschaft ist quälend, der Zustand nach Stillung der Begierde ist niederdrückend, aber das, was Genuß verschafft, ist der Übergang von einem Zustande zum anderen. In keinem gegenwärtigen Zustande empfindet man Vergnügen, wenn der vorhergehende nicht in Unlust vorübergegangen ist. Die Anstrengung gefällt nur zu Anfang nach der Ruhe, und umgekehrt liegt auch in der Ruhe nur anfangs nach der Anstrengung Genuß.

      Saulino. Du hast dies gut bewiesen, Sofia.

      Saulino. Wenn dem so ist, so gibt es keinen Genuß ohne Beimischung von Unlust, da in der Bewegung zugleich befriedigendes und nicht befriedigendes liegt.

      Sofia. Du hast recht. Außerdem füge ich noch hinzu, daß Jupiter manchmal, wenn er es überdrüssig ist, Jupiter zu sein, sich damit belustigt, sich als Ackermann, als Jäger oder Krieger zu erholen, dasselbe ist bei den Göttern, bei den Menschen und bei den Tieren der Fall. Die Dorfbewohner suchen ihr Vergnügen und ihre Kurzweil in den Städten; die Städter verbringen ihre Erholungs-‚ Ferien- und Mußezeit auf dem Lande. Wer gesessen oder gelegen hat, findet Vergnügen und Genuß am Gehen, und wer auf seinen Füßen eine weite Strecke zurückgelegt hat, erholt sich im Sitzen von seiner Anstrengung. Wer allzulange in seinem Hause geweilt hat, findet in der freien Luft Erquickung, und wer des Aufenthalts im Freien satt ist, rühmt das Zimmer. Der häufige Genuß einer noch so wohlschmeckenden Speise erzeugt am Ende Widerwillen, so daß der Umschlag des einen Extrems ins andere für die Zwischenstufen zwischen beiden, die Bewegung von einem Gegensatz zum anderen für die Zwischenstadien genußreich ist. Kurz, wir bemerken zwischen zwei Gegensätzen eine solche Verwandtschaft, daß der eine mehr mit dem anderen übereinstimmt als das ähnliche mit dem ähnlichen. Dieser Gedanke stammt von Platon; vgl. Philebos 44 E, Phaidon 60 B.

      Saulino. So erscheint es auch mir, denn die Gerechtigkeit betätigt sich nur dort, wo eine Verfehlung vorhanden ist, die Eintracht nur dort, wo Gegensätze herrschen; das runde ruht nicht auf dem runden, weil sich zwei Kugeln nur in einem Punkte berühren, sondern das konkave findet seinen Halt im konvexen. In sittlicher Beziehung kann der Stolze nicht mit dem Stolzen, der Arme mit dem Armen, der Geizige mit dem Geizigen auskommen, sondern der eine findet seine Freude am Bescheidenen, der andere am Reichen, der dritte am Freigebigen. Mag man daher die Sache vom physiko-mathematischen oder vom moralischen Standpunkte aus betrachten, so sieht man, daß der Philosoph, der zu der Erkenntnis der Übereinstimmung der Gegensätze gelangt ist, eine sehr wichtige Wahrheit gefunden hat und daß der Weise, der diese Übereinstimmung zu suchen weiß, wo sie vorhanden ist, kein ungeschickter Praktiker ist. Alles daher, was ihr vorgebracht habt, ist buchstäblich wahr. Aber ich möchte wissen, Sofia, zu welchem Zwecke und in welcher Absicht ihr dies sagt.

      Sofia. Was ich damit klarmachen will, ist, daß der Anfang, das Mittel und das Ende, der Ursprung, das Wachstum und die Vollendung alles dessen, was wir sehen, von Gegensätzen ausgehen, sich durch Gegensätze vollziehen, sich in Gegensätzen bewegen und zu Gegensätzen hinführen und daß, wo Gegensätzlichkeit vorhanden ist, Wirkung und Gegenwirkung, Bewegung, Verschiedenheit, Vielheit, Ordnung, Abstufung und Aufeinanderfolge vorhanden sind. Daher wird sich niemand, der es sich wohl überlegt, jemals wegen seiner gegenwärtigen Lage den Mut sinken lassen oder sich überheben, so sehr sie ihm auch im Vergleich zu anderen Verhältnissen und Geschicken gut oder schlecht, schlechter oder besser erscheinen mag. So habe auch ich, die ich mit meinem göttlichen Zwecke, der Wahrheit so lange flüchtig umhergeirrt, verborgen, niedergehalten und unterdrückt worden bin, auf Befehl des Schicksals diesen Zeitpunkt als Beginn meiner Rückkehr, Wiedererscheinung, Erhebung und Herrlichkeit bestimmt, die um so größer sein wird, je mächtiger die mir feindlichen Gewalten geworden sind.

      Saulino. Daher kommt es auch, daß derjenige, der kräftig von der Erde in die Höhe schwingen will, sich zuvor niederducken muß, und daß derjenige, der sich bemüht, einen Graben erfolgreich zu überspringen, seinen Zweck erreicht, wenn er sich acht bis zehn Schritte zurückzieht.

      Sofia. Ich hoffe also im Vertrauen auf die Gunst des Schicksals auf um so größeren Erfolg in der Zukunft, je schlechter es mir bisher ergangen ist.

      Saulino.

      .... Je gedrückter,

      Je weiter unten liegt der Mensch am Rade,

      Um desto näher ist er jenem Punkte,

      Der sich nach oben wieder muß bewegen.

      So mancher neigte schon das Haupt zum Blocke,

      Der andern Tags der Welt Gesetze gab.

      Aber ich bitte dich, Sofia, fahre fort, dich deutlicher zu erklären!

      Sofia. Nachdem der Donnerer Jupiter so lange Jahre als Jüngling gelebt, sich der Liederlichkeit ergeben und mit Waffentaten und Liebesabenteuern beschäftigt hat, beginnt er jetzt, von der Zeit gebändigt, sich von den Ausschweifungen und Lastern und jener Lebensweise abzuwenden, die das Mannesalter und die Jugend mit sich bringen.

      Saulino. So haben in der Tat die Dichter, aber nie die Philosophen die Götter geschildert. So altern also auch Jupiter und die übrigen Götter? So ist es also nicht unmöglich, daß auch sie die Ufer des Acheron überschreiten müssen?

      Sofia. Schweig, unterbrich mich nicht, Saulino. Laß mich bis zu Ende sprechen!

      Saulino. Sprich nur, ich werde dir aufmerksam zuhören, denn ich bin überzeugt, daß aus deinem Munde nur hohe und schwerwiegende Gedanken strömen; ich fürchte aber, mein Kopf kann sie nicht fassen und behalten.

      Sofia. Fürchte nichts! Jupiter beginnt, sage ich, verständig zu werden und läßt nur solche Personen zu seinem Rate zu, die auf dem Haupte Schnee, auf der Stirn Furchen, auf der Nase eine Brille, am Kinn einen weißen Bart, in den Händen den Stab, an den Füßen Blei haben; das heißt im Kopfe die geregelte Phantasie, das sorgfältige Nachdenken, das festhaltende Gedächtnis, auf der Stirn den besonnenen Ernst, in den Augen die Klugheit, auf der Nase den Scharfsinn, auf der Zunge die Wahrheit, in der Brust die Aufrichtigkeit, im Herzen die geordneten Triebe, auf den Schultern die Geduld, auf dem Rücken das Vergessen der Beleidigungen, im Magen die Mäßigkeit, im Unterleibe die Nüchternheit, im Schoße die Keuschheit, in den Beinen die Festigkeit, in den Füßen die Rechtlichkeit, in der Linken den Pentateuch der Gesetze, in der Rechten die Vernunft der Rede, die aufklärende Wissenschaft, die ausgleichende Gerechtigkeit, die befehlende Herrschergewalt und die ausführende Macht.

      Saulino. Eine vortreffliche Ausrüstung! Aber zuvor müssen sie sauber gewaschen und gereinigt sein.

      Sofia. Nun gibt es keine Tiere mehr, in die er sich verwandelt: keine Europa, die ihm die Hörner eines Stieres verleiht, keine Danae, der zuliebe er den bleichen Glanz des Geldes annimmt, keine Leda, die ihn in Schwanengefieder hüllt, keine Nymphe Asteria und keine phrygischen Knaben, die ihn zu einem Adler mit scharfem Schnabel umwandeln, keine Dolis, die ihn zu einer Schlange macht, keine Mnemosyne, die ihn zu einem Hirten erniedrigt, keine Antiope, die ihn zu einem Halbtiere‚ einem Satyr, herabwürdigt, keine Alkmene, die ihn in Amphitryon verwandelte; denn das Steuer, das jenes Schiff der Verwandlungen lenkte und richtete, ist so schwach geworden, daß es dem Ansturm der Wogen kaum Widerstand leisten kann und es möglich ist, daß die Wellen es in die Tiefe ziehen. Die Segel sind derart zerfetzt und zerrissen, daß der Wind sie nicht mehr blähen kann. Die Ruder, die den ungünstigen Winden und dem stürmischen Wetter zum Trotz das Fahrzeug vorwärts zu bringen pflegen, wird der Bootsmann, sei die Luft auch noch so ruhig und das Gebiet des Neptuns noch so glatt, vergebens nach rechts oder links, nach rückwärts oder vorwärts in Gang zu bringen suchen, weil die Ruderer wie gelähmt sind.

      Saulino. Welches Unglück!

      Sofia. So kommt es, daß man Jupiter in Mythen und Sagen nicht mehr als sinnlich und wollüstig schildert, denn der gute Vater hat sich dem geistlichen Leben zugewandt.

      Saulino. Wie, der,