Gary Reich

Destination Berlin


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Kontakte und Blickkontakt sind zwar nicht meine Stärke (warum sollte ich anderen Menschen in die Augen schauen? Crazy!) und ja, ich bin ein absoluter Gewohnheitsmensch - aber daraus muss man ja nicht gleich eine geistige Behinderung ableiten.

      Heutzutage gibt es sowieso für alle Arten von „nicht-der-Norm-entsprechenden“ Verhaltensweisen irgendeine dazu passende psychische Störung. Heute heißt es z.B. nicht mehr „Zappelphilipp“, sondern man nennt es „ADHS“ - und die passenden Therapien und Pillen gibt es natürlich auch gleich dazu.

      „Da gibt´s doch auch was von Ratiopharm.“

      Außerdem bin ich sonst relativ normal - nur halt „anders normal“.

      Da es aber zu meinen Gewohnheiten gehört, Artikel ganz (zumindest quer) zu lesen, stoße ich irgendwann auf einen Abschnitt über das „Asperger-Syndrom“.

      In Wikipedia heißt es dazu u.a.:

      [..] Beeinträchtigt ist vor allem die Fähigkeit, analoge Kommunikationsformen (Gestik, Mimik, Blickkontakt) bei anderen Personen zu erkennen, diese auszuwerten (zu mentalisieren) oder selbst auszusenden. Das Kontakt- und Kommunikationsverhalten von Personen mit Asperger-Autismus kann dadurch merkwürdig und ungeschickt erscheinen. Da ihre Intelligenz in den meisten Fällen normal ausgeprägt ist, werden sie von ihrer Umwelt leicht als wunderlich wahrgenommen. Gelegentlich fällt das Asperger-Syndrom mit einer Hoch- oder Inselbegabung zusammen.

      Im Unterschied zu anderen Autismusformen ist im Regelfall die Sprachentwicklung nicht betroffen, und es liegt keine Intelligenzminderung vor. Das Asperger-Syndrom kann sogar mit Stärken verbunden sein, etwa in den Bereichen der objektiven, nicht emotionalen Wahrnehmung, der Selbstbeobachtung, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistung. Ob es als Krankheit oder als eine Normvariante der menschlichen Informationsverarbeitung eingestuft werden sollte, wird von Wissenschaftlern und Ärzten sowie von Asperger-Autisten und ihren Angehörigen uneinheitlich beantwortet. [..]

      Menschen mit Asperger sind oft darauf fixiert, ihre äußere Umgebung und Tagesabläufe möglichst gleichbleibend zu gestalten. Plötzliche Veränderungen können sie überfordern oder sehr nervös machen. Dies liegt daran, dass Veränderungen einen höheren Grad an Aufmerksamkeit erfordern, was bei der angenommenen Schwäche von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung, Informationen auszublenden, zu einer erhöhten Belastung führt. [..]

      Ich bin fassungslos und fasziniert zugleich: In ca. 350 Zeilen werde ich, mein Leben und meine Macken derart präzise auf den Punkt gebracht, wie es selbst ich nicht detaillierter beschreiben könnte.

      Von meiner Ungeschicklichkeit und tendenziellen Grobmotorik (im Sport: absolute Null, auch dank Monokularsehen), über die Vermeidung von Augen- und Blickkontakt, Unverständnis für die meisten zwischenmenschlichen Gefühle, verschlossene Körpersprache, stilistisch „hochstehende Sprache“ (ich drücke mich halt auch gerne mal „gewählt“ aus und versuche auf Rechtschreibung und Grammatik zu achten - verachtet mich halt), „ritualisierte Handlungen“ im Alltag, Inselbegabungen, und und und …

      Ich sitze für ein paar Minuten einfach nur stumm und regungslos da …

      In meinem Kopf sausen die Gedanken so schnell, dass es sich nur noch wie ein leises Summen im Ultraschallbereich anhört und -fühlt.

      Und plötzlich realisiere ich: Ich bin nicht verrückt, weil ich anders bin, ich bin einfach nur anders. Und vor allem: erklärbar anders

      Und genau das ist der Unterschied zu meinem „anders sein“ von vor wenigen Minuten. Zu dem „anders sein“ damals in der Schule.

      Ich scheine endlich zu realisieren, was ich bin. Warum ich so bin. Und damit auch plötzlich WER ich bin.

      Und ich kann lernen, damit umzugehen …

       10

      Donnerstag, 12. Juli 2007

      Was macht eine gute Rache aus?

      Nun, im Grunde das, was auch einen guten Horrorfilm ausmacht: Unvorhersehbarkeit, einfache Effekte und anstatt auf körperliches zu setzen, sollte es einem in den Kopf kriechen und auch noch danach einen Schauer über den Rücken laufen lassen und nachts wach halten.

      Man bin ich ein böser, böser Junge … Und vom Sternzeichen her auch noch Fisch. Wie in der zweiten Staffel von „South Park“ - „Böser, böse Fisch“ …

      Aber er hat es verdient. Mit seinem Telefonterror im letzten Jahr, der Scheiße die er seit Jahren mit meiner Mutter, meinen Bruder und mit mir abzieht (auch mit anderen, aber da hält sich mein Mitleid doch sehr in Grenzen - die wollen es anscheinend nicht anders), der Aktion mit den Briefen vom Finanzamt (ok, dafür hatte er ja von mir eine Anzeige kassiert) und den Mist, den er seit Monaten über mich verbreitet, dem ihm zwar keiner mehr so richtig glaubt - aber Strafe muss trotzdem sein.

      Ach ja, ganz vergessen: Es geht um meinen Erzeuger, in dessen Firma ich selbst bis Februar 2006 gearbeitet hatte.

      Als „Vater“ bezeichne ich diese Person schon seit gut einem Jahr nicht mehr. Immerhin muss der Begriff „Vater“ und die Personen, die sich auch väterlich verhalten, vor Verwechslungen mit jemanden wie ihm geschützt werden.

      Ist mir klar, dass ich mit meiner kleinen Racheaktion potenzielle Gegenreaktionen lostreten könnte? Natürlich! Hält es mich davon ab? Natürlich nicht! Macht es mir in gewisser Weise auch Spaß? Absolut! Macht mich das zu einem schlechten Menschen? Vielleicht …

      Die Planung selbst hat nur wenige Minuten gedauert. Die Idee dazu hatte ich wenige Tage zuvor auf Arbeit. Ja, mein Job im Lager ist geistig so wenig fordernd, dass man sehr viel Zeit zum Nachdenken hat.

      Der heutige Donnerstagabend ist in vielerlei Hinsicht perfekt für die Durchführung meines kleinen Plans:

      Falls es zu einer alkoholbedingten Kurzschlussgegenreaktion am darauffolgenden Abend seitens meines Erzeugers kommen sollte (so wie er im Suff auch schon mal seine Mutter besucht und mit einen Hocker bedroht hatte), wäre ich am Freitagabend gar nicht zu Hause, da ein Kumpel seine Einweihungsparty in seiner ersten eigenen Wohnung schmeißt und ich erst am nächsten Vormittag wieder heimkommen würde.

      Und: Wenn meine kleine Racherakete gezündet wird, ist Freitag der dreizehnte. Ich stehe auf Symbolik. Macht mich das zu einem Soziopathen? Möglicherweise. Aber immerhin stamme ich ja auch von einem ab.

      Die Umsetzung selbst ist etwas aufwändiger, aber auch in weniger als zwei Stunden erledigt. Und so einfach wie wirkungsvoll. Und im Nachhinein betrachtet auch schon fast prophetisch, als würde ich die Zukunft vorhersagen können. Wobei die später dazu passenden Ereignisse auch durchaus absehbar waren.

      Meine kleine Racheaktion besteht eigentlich lediglich aus einem (sehr offensichtlich) fingierten vordatierten Zeitungsartikel, in dem über seine Betrügereien berichtet wird, mit denen er aufgrund eines anonymen Hinweises aufgeflogen ist, verhaftet und schließlich verurteilt wird.

      Diesen habe ich zum Schutz vor Feuchtigkeit mit einer Klarsichthülle versehen, ordentlich zusammengerollt, mit einer kleinen roten Schleife verziert (*grins*) und von außen an die Bürotür seiner Firma gehängt.

      Auf ein weiteres Schreiben oder ähnliches habe ich verzichtet - immerhin dürfte er auch so wissen, was gemeint ist und von wem es kommt.

      Alle anderen, die von seinen Betrügereien (in durchaus beachtlichen Ausmaßen) wissen, würden sich mangels Abhängigkeit von ihm und mangels Rückgrat niemals gegen ihn wenden und wären noch nicht einmal in der Lage, einen Artikel am PC zu schreiben - traurig aber wahr.

      Mal sehen, ob er mit diesem Schuss vor dem Bug kapiert, dass er sich besser nicht weiter mit mir anlegen sollte und seine Sticheleien hinter meinem Rücken unterlässt.

      Nicht, dass es mich extrem stören würde, da ihn mittlerweile eh kaum noch jemand für voll nimmt (nicht zuletzt, weil er meistens ohnehin voll ist), sondern weil man solchen Arschlöchern wie ihm die Grenzen aufzeigen muss. Und natürlich auch,