Bernd Dombek

Ab dä Fisch


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eigenwillige System der Prävention funktioniert nun schon, man mag es kaum glauben, seit Äonen recht erfolgreich. Niemand hat jemals den Knopf gedrückt, ist zufällig daran gestoßen oder hat ihn anderweitig betätigt. Die Oldtimer des Betriebes können die Frage, wann überhaupt jemand das letzte Mal auch nur in die Nähe des Knopfes geraten ist, selbst nach reichlich Bedenkzeit nicht zufriedenstellend beantworten. So unglaublich lange ist das schon her. Außerdem gilt in der Firma das ungeschriebene Gesetz, dass der scheiß Knopf in keinem Gespräch zwischen den Beschäftigten erwähnt wird. Auch nicht während der Zigarettenpause oder beim Frühstück. Niemals! Und wenn wieder einmal Betriebsfremde an einem geführten Rundgang durch die Firma teilnehmen, dann erst recht nicht. Die zweite Etage wird sowieso bei solchen Veranstaltungen immer konsequent ausgelassen.

      Im Laufe der Zeit hat sich der Alte mit Doktor L aus dem Versuchslabor angefreundet. Sie sind sich öfter zur Frühstückspause in der Cafeteria und zum Mittagessen in der Kantine begegnet. Doktor L arbeitet in einer streng geheimen Spezialabteilung und wird meistens, obwohl er ein wirklich netter Kerl ist, von seiner Umwelt nicht richtig wahrgenommen. Manchmal erscheint er mit verkohlten Haaren und Brandflecken auf seinem Techniker Kittel. Also alles in allem in einem recht derangierten Zustand. Seltsamerweise wird er dann jedoch von fast allen Beschäftigten erkannt.

      ''Ah, da ist ja unser Herr Doktor L wieder'', flötet Frau Doktor Haferflocke, ''den haben wir schon lange nicht mehr gesehen.''

      Frau Doktor arbeitet in der Verwaltung, hat Prokura und ist für sämtliche Einträge ins Handelsregister zuständig. In der Kantine nimmt sie ständig neben dem Alten Platz sobald er sich setzt. Muss wohl Zuneigung sein.

      ''Schade, dass er sich nur in solch einem Zustand zeigt'', fügt sie an.

      ''Woran das wohl liegen mag'', sinniert der Alte.

      ''Wahrscheinlich am Kittel'', antwortet Doktor Haferflocke bestimmt.

      Und das ist fein beobachtet! Techniker Kittel haben die Eigenschaft ihre Träger vor aufdringlichen Blicken zu schützen. Wenn sich also jemand auf einen Techniker optisch fokussieren will, dann bekommt er einfach kein klares Bild justiert. Schon gar nicht, wenn er wie Doktor L aus einer Spezialabteilung kommt. Nur aus dem Augenwinkel hat man eine Restwahrnehmung. Erst sehr viel später wird dieses Phänomen als 'Heisenbergsche Unschärferelation' Einzug in die wissenschaftliche Literatur finden.

      ''Darf ich vorstellen? Das ist Doktor L.''

      ''Angenehm'', sagt der Alte.

      ''Und das ist Helge. Unser Volontär'', ergänzt Haferflocke mit schmelzendem Blick.

      ''Sehr erfreut'', antwortet L.

      Wie gesagt, der Alte und Doktor L freunden sich an. Außer einigen Treffen in der Cafeteria und der Kantine gibt es jedoch keine gemeinsamen Aktivitäten. Das ändert sich erst nach einer gewissen Weile, als sich gegenseitiges Vertrauen entwickelt hat.

      ''Sag mal, ist L eigentlich dein richtiger Name?''

      ''Nein, ich darf dir den aber nicht sagen. Ist geheim.''

      ''So wie dein Labor, was?''

      ''Mein Name ist geheim. Mein Labor ist es nicht.''

      ''Und was geschieht dort?''

      ''Wir machen dort Spezialeffekte.''

      ''Ach. Worin bestehen die?''

      ''Explosionen, Qualm, Rauch, Schwefel und Feuer. Solche Sachen.''

      ''Klasse! Würde ich mir gerne einmal anschauen.''

      ''Kein Problem. Komm morgen einfach nach der Frühstückspause in den Tiefkeller und klingel am 'Labor für Pyrotechnik'. Ich mach dir dann auf.''

      ''Stört es auch niemanden wenn ich dort auftauche?''

      ''Nein Helge, ich arbeite dort ganz alleine.''

      Am folgenden Morgen stiefelt der Alte wie verabredet in den Tiefkeller. Dort ist alles aus Ultra verstärkten und extra schweren Materialien gebaut worden und das ist auch gut so. Grundsätzlich liegen Labore mit einem gewissen Gefahrenpotenzial immer mehrere Ebenen unterhalb der normalen Bereiche. Sollte einmal etwas schiefgehen, so ist dort immer noch genügend Zwischenraum zum puffern. Und Experimente, bei denen Explosionen ausgelöst werden die das ganze Fundament zerfetzen und damit das komplette Gebäude zum Einsturz bringen könnten, werden schon seit geraumer Zeit nicht mehr durchgeführt. Man hat einfach zu viele schlechte Erfahrungen damit gemacht. Je tiefer der Alte hinabsteigt, desto mehr dringt ihm der penetrante Geruch von Schwefel in die Nase. Außerdem macht das Gebäude hier unten einen doch recht ungepflegten Eindruck.

      ''Wahrscheinlich jagen die hier jeden Tag so viel Zeug in die Luft, dass die Raumpfleger gar nicht mehr mithalten können'', denkt der Alte, ''muss ich später mal nachfragen.''

      Inzwischen ist auch die Musik, welche bisher leise im Hintergrund zu hören war, auf ein erhebliches Lautstärke Niveau angewachsen. Der Sound ist kernig, mit einem Bass, der direkt in Magen und Beine fährt. In den oberen Etagen des Gebäudes sind zwar auch ständig Töne zu hören, handelt es sich dabei jedoch eher um von Hand gespielte Kammermusik mit gepflegten Geigen und Harfen Klängen. Im Gegensatz dazu läuft hier unten richtig fette Party Mucke.

      ''Ganz schön was los hier. Vielleicht hat Doktor L Geburtstag oder so'', schießt es dem Alten durch den Kopf.

      Dann biegt er auch schon um die Ecke und steht vor einer mehrfach gesicherten Stahltür. Die Wand ist drum herum mit allerlei Schildern zugekleistert. Auf ihnen wird vor Radioaktivität, Bio-Hazard und chemischen Stoffen gewarnt. Auf der Tür selbst wird und das findet der Alte besonders witzig da es auf die hausinterne Postzustellung abzielt, auf einen kleinen bissigen Hund hingewiesen. Gleich neben der Tür befindet sich unterhalb des Schildes 'Labor für Pyrotechnik' eine ziemlich angeschmorte Klingel. Nach kurzem Zögern nimmt sich der Alte ein Herz und betätigt das Teil. Fast im selben Augenblick klappt der kleine Hund nach hinten und es bildet sich eine Luke in der Tür. Die ist so winzig, dass der Alt nur zwei stechend schwarze, vom Wahnsinn gezeichnete Augen erkennen kann.

      ''Was is' los'', keift es von innen.

      ''Ich bin es. Helge, der Volontär.''

      ''Willst du hier sozial Stunden abarbeiten, oder was?''

      ''Nein. Ich folge einer Einladung von Doktor L'', antwortet der Alte sichtlich um Entspannung bemüht.

      Die schwarzen Augen schießen sofort nach vorne, kleben jetzt förmlich an der Luke, wandern von oben nach unten und mustern den Alten intensiv.

      ''O.K. Ist in Ordnung. Stehst auf der Gästeliste. Komm 'rein!''

      Die Tür schwenkt erhaben auf. Sofort strömt gedämpftes rotes Licht und noch mehr Schwefelaroma in den Gang. Das Nächste was ihm auffällt ist ein kleiner Hund, der fast nur aus Gebiss zu bestehen scheint. Breitbeinig und mit maßloser Selbstüberschätzung versperrt er dem Alten den Weg ins Labor.

      ''Cerbi, geh' auf Seite und lass Onkel Helge durch'', wird er vom Türsteher zurückgepfiffen.

      Erstaunlicherweise gehorcht der Köter aufs Wort und lässt den Alten eintreten. Der wird vom Türsteher mit einem Lächeln und einer auffordernden Handbewegung bedacht. Er marschiert daraufhin weiter in die Tiefen des Labors. Es geht vorbei an einer gestreckten Theke, auf der aus kleinen Vulkankegeln Rauch mit benebelnden exotischen Düften aufsteigt. Mehrere Pole-Dance Tänzerinnen wiegen ihre makellosen Körper im Rhythmus der Musik und heizen die Stimmung im Raum an.

      ''Ganz schön warm hier'', denk der Alte, ''aber ein echt geiles Ambiente!''

      Als dann auch noch Frau Doktor Haferflocke mit Strapsen bekleidet durch den Raum schwebt und ihn mit einem gesäuselten,

      ♫''Hallo Helge, schön das du auch hier bist'',

      begrüßt, kennt seine Begeisterung keine Grenze mehr.

      Haferflocke zieht den Alten freundlich aber bestimmt zur Theke.

      ''Lass uns erst einmal einen anständigen Drink nehmen, Helge. Doktor L muss ein wichtiges Experiment zu Ende