Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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Es ist unangenehm. Seine Augen passen nicht in sein Gesicht. Figur und Miene sind die eines behäbigen Familienvaters; der Blick aber wirkt sowohl dumpf als auch feurig. Ein enorm eigensinniger Blick … Die Mischung aus Pedanterie und Leidenschaft ist gefährlich.‹

      Sie erkundigte sich: »Wer ist der junge Mann mit dem braunen Gesicht?« – nur aus dem Bedürfnis, irgend etwas zu äußern. Ihre Frage kam überraschend; Mr. Piggins hatte von der Arbeitslosenunterstützung gesprochen. »Man soll mit Frauen niemals über ernste Dinge reden«, meinte er bitter. »Noch die gescheitesten sind nicht dazu imstande, sich länger als zehn Minuten zu konzentrieren.« – Dann gab er Auskunft. Der junge Mann war Direktor eines kleinen Museums, das zur Universität gehörte. Außerdem hielt er Vorträge über Kunstgeschichte. »Ich hatte ihn für einen Studenten gehalten«, sagte Marion und zerknickte Streichhölzer zwischen ihren Fingern. »Er sieht wie ein Neunzehnjähriger aus …« Dabei überlegte sie sich: ›Habe ich mich bei Abel schon für seine ritterliche Hilfe bedankt? Es war besonders nett von ihm und sehr anständig. Das sollte ich ihm doch sagen …‹

      Sie sagte es nicht. Sie ging langsam durchs Zimmer, von Mr. Piggins weg, der enttäuscht zurückblieb. Sie näherte sich der Gruppe am Kamin. Ihre Schritte waren sonderbar steif und stelzend. Das Lächeln auf ihrem großen, leuchtenden Mund schien erfroren. Sie bewegte ein wenig das leichte und edle Haupt, während sie stelzend schritt. Was machte sie so erstaunt, daß sie solcherart den Kopf zu schütteln hatte? Die Purpurfülle des Haars tanzte lockig über einem Gesicht, das sehr blaß war.

      In der Nähe des Kamins blieb sie stehen. Sie schien verlegen und war sonst doch die Sicherheit selbst. Sie konnte die Hände nicht stillhalten. Es gelang ihr, einen Aschenbecher umzustoßen. – »Wie dumm!« Ihr Lachen klang mühsam. Sie ließ sich in einen Stuhl fallen – so plötzlich, als hätte jähe Erschöpftheit sie hingeworfen. »Ich bin etwas müde …«

      Sie hatte es zur Hausfrau gesagt, als Entschuldigung für das Malheur mit dem Aschenbecher. Indessen war es Abel, der antwortete. »Das glaube ich wohl. Sie verbrauchen Ihre Kraft auf dem Podium – man kann es sehen. Ein schönes und beunruhigendes Schauspiel …«

      »Es freut mich, daß Ihnen mein Vortrag gefallen hat.« Marion sprach konventionell, beinah hart; sie selber wunderte sich über den abweisenden Ton ihrer Worte. War dies ihre Stimme? – ›Mein Gott, ich rede ja, wie Mama es zu tun pflegte – ehe sie durch großes Leid verändert und weich gemacht ward.‹ Marion empfand es mit leichtem Schauder. Übrigens begriff sie, daß ihre Äußerung nicht nur kalt gewesen war, sondern auch unpassend. Abel hatte keineswegs sein Gefallen an Marions künstlerischer Leistung ausgedrückt. Das Wort »beunruhigend«, das er benutzt hatte, war vielleicht in einem ablehnenden oder sogar kränkenden Sinn gemeint.

      Die kurze Pause, die entstand, war peinlich. Abel schaute verdüstert; umso enthusiastischer verhielt sich der junge Braungebrannte. Er erklärte: ihm, jedenfalls, habe es kolossal gut gefallen – über alle Maßen gut, er sei ganz entzückt. Ob Fräulein von Kammer morgen noch in der Stadt sein werde? Es würde ihm eine Ehre sein, ihr die Ausstellung zu zeigen, die es jetzt hier im Museum gab. Eine außerordentliche Kollektion von Bildern; höchst eindrucksvoll: wenn man ihm glauben durfte. »Es ist eine Kriegsausstellung«, erzählte er eifrig, »eine Antikriegspropaganda; die meisten Werke stammen von solchen, die es selber mitgemacht haben, in den Schützengräben … Schauerliche Dinge darunter, aber alles sehr stark … Auch die Deutschen sind glänzend vertreten … Nun, Sie werden ja sehen …«

      Marion wendete ein: »Aber wahrscheinlich werde ich morgen doch gar nicht mehr hier sein …« Sie lächelte, seltsam hilflos – hilflos unter Abels starrem, forschendem, pedantisch-glühendem Blick.

      »Natürlich werden Sie bleiben!« rief temperamentvoll der sportliche Kunsthistoriker. Marion dachte – müde und etwas wirr: ›Sicher ist er ein guter Skiläufer; er sieht mir ganz so aus, als ob er gerade aus den Bergen käme. Ein netter Kerl … Daß mir immer wieder diese Jungens gefallen … Immer diese Leichtfüßigen, mit den schmalen Hüften und den kindlichen Stirnen … Immer diese Läufer; erst laufen sie hinter uns her, dann laufen sie vor uns davon … Nicht ganz der richtige Geschmack für eine schwergeprüfte Dame in mittleren Jahren …‹

      Abels bohrender Blick war sehr wohl dazu imstande, die Gedanken hinter dieser Frauenstirn zu lesen. Er wußte: der junge Braungebrannte gefiel ihr – der ewige Boy, der schwärmerische kleine Museumsdirektor. Übrigens mochte Abel ihn gern, er war beinah mit ihm befreundet. Der ewige Boy war dreiunddreißig Jahre alt und hieß Jonny Clark. Benjamin kannte seinen Charme und seine Zuverlässigkeit, seine Intelligenz und das schöne Talent zur Begeisterung. Ein junger Mann mit feinen Qualitäten; aber nichts für Marion. Abel war sehr geneigt, mit gehobener Stimme vorzubringen: Verehrtes Fräulein von Kammer, ich verbiete Ihnen ausdrücklich, sich mit Mr. Clark intellektuell oder gefühlsmäßig weiter abzugeben. – Schluß mit dem Unsinn! – hätte Benjamin gern gerufen.

      Statt dessen bemerkte er, mit einer gewissen Schärfe: »Fräulein von Kammers Rezitationen sind aufregend – soviel steht fest. Aufregung ist niemals ein reiner Genuß. – Sie sind eine Agitatorin, gnädiges Fräulein.«

      Wollte er sie verletzen? Die amerikanischen Freunde mußten diesen Eindruck bekommen; es berührte sie nicht angenehm. Sollte es Zank geben, am Kaminfeuer der Mrs. Piggins, zwischen Landsleuten und Gesinnungsgenossen – zwischen zwei Exilierten? Marion aber fragte gelassen: »Agitatorin – für was?«

      »Für das Gute«, gab Benjamin zu. »Für das Richtige und das Schöne. Gerade deshalb stört die agitatorische Geste. Sie paßt besser zu unseren Feinden. – Vergessen Sie doch nicht: wir sind immer in Gefahr, beim Kampf unser Niveau dem des Gegners anzugleichen. Wir imitieren, nur halb bewußt, Taktik und Gebärde des Feindes, in der Meinung, dies vergrößere unsere Sieges-Chancen. – Falsch!« rief Professor Abel – und jetzt hatte er die Aufmerksamkeit des ganzen Kreises für sich. »Durchaus falsch! Stark sind wir nur, wenn wir ganz wir selber bleiben. Wäre der Kampf nicht sinnlos, wenn er uns dahin brächte, Werte und Gesinnungen aufzugeben, um derentwillen er doch eben geführt werden muß?«

      »Danke für die Belehrung!« – Marion schien nun doch ziemlich enerviert zu sein. Sie zuckte böse die Achseln. »Sie finden also, daß ich mich mit meinem Vortrag auf Naziniveau begebe!« – Mrs. Piggins lachte – ebenso entsetzt wie vorhin, als Abel angekündigt hatte, man werde ihn für einen Kommunisten halten.

      Benjamin versetzte: »Das habe ich niemals andeuten wollen. Wie können Sie glauben, ich verfiele auf solche Absurdität?!« Die Frage klang heftig; indessen blieb der Blick forschend, zärtlich und ernst. – »Aber gewisse Symptome machen mich bedenklich«, sagte er.

      Marion schwieg – zu verärgert, um sich zu erkundigen, von welcher Art die Symptome seien. Professor Schneider stellte die naheliegende Frage.

      Abel redete strenge und pedantische Worte – was ihn keineswegs daran hinderte, die Dame, welche er attackierte, mit gierigem, verzücktem Blick zu betrachten. Er sagte: »Für jeden Agitator werden die großen Werte und Namen, auf die er sich beruft, Mittel zum Zweck. Er liebt sie nicht mehr um ihrer selbst willen – oder nicht mehr nur um ihrer selbst willen – er nennt und preist sie, weil sie seiner Sache dienen. Ruhm und Reichtum eines dichterischen Werkes werden solcherart ›in den Dienst der Sache‹ gestellt. Das bedeutet: aus der Vision wird das Schlagwort; das höchst Komplexe erscheint vereinfacht; das Niveau ist gesenkt, dem Demagogenniveau des Feindes angepaßt. – Was hassen wir denn vor allem an der falschen Ideologie und bösartigen Praxis des totalitären Faschismus? Die Vergewaltigung der Wahrheit; die Entwürdigung des Geistes – die nichts anderes als die Entwürdigung des Menschen ist. Vom Geist verlangt der Faschismus, er müsse immer und mit allen seinen Kräften den propagandistischen Absichten des Staates dienen. Der Geist als ein Propaganda-Instrument der Tyrannis – dies ist seine letzte Entwürdigung. Machen wir uns nicht mitschuldig an ihrer Vorbereitung, wenn wir unsererseits die geistigen Werte rhetorisch ›benutzen‹, in der Auseinandersetzung des Tages – anstatt sie zu lieben, gerade weil sie dem Tage entrückt sind und das Unvergängliche, Unverlierbare, das schöne Menschliche repräsentieren?«

      Das war ja ein richtiges kleines Kolleg – übrigens innig vorgetragen. Abel machte Eindruck, wenngleich