Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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hindert mich daran, das einzig Vernünftige zu tun, den Eingriff vornehmen zu lassen? Wer wagt es, mich dran zu hindern? – Wir sollen Kinder bekommen, ich weiß es. Damit es nur weitergehe … Es soll weitergehen.‹

      Sie nahm Veronal – eine bescheidene Dosis. ›Ein wenig Schlaf darf ich mir wohl gönnen‹, meinte sie. ›Morgen früh fasse ich dann definitive Beschlüsse. Noch länger hier zu bleiben hätte wenig Sinn. Ich darf mir nicht von Benjamin, innig und pedantisch, den Hof machen lassen, da ich doch von einem Fensterputzer geschwängert bin. Morgen oder übermorgen fahre ich nach New York. Ich absolviere den Rest der Tournee, wie mein Vertrag es verlangt, und kehre im Frühling nach Europa zurück. Mama wird sich über ein Enkelkind freuen – sogar wenn der Vater ein verschollener Italiener ist.‹

      Da fielen die Augen ihr zu; das Medikament tat seine gute Wirkung. Ehe sie einschlief, dachte sie noch an ein Haus, in dem sie als Kind jahrelang einen Tag der Woche – den Sonntag – verbracht hatte. Warum fiel es ihr ein, gerade jetzt, und mit solcher Deutlichkeit? Sie sah einen Garten, Blumenbeete und Brunnen – alles ein wenig verwunschen. Eine Terrasse war da, mit Malereien geschmückt, die verblaßten und zerbröckelten. Schöne Räume mit dicken Teppichen; eine Freitreppe, die auf halber Höhe einen kleinen Balkon oder Erker bildete: dort stand ein ausgestopfter Pfau – ›ich habe niemals Angst vor ihm gehabt‹, erinnerte sich Marion, schon fast im Schlaf. ›Ich habe seinen seidig weichen Bauch gestreichelt und immer lachen müssen, wenn Tilly behauptete, er könne beißen. Wie lang ist dies alles her! Warum erscheint es mir plötzlich? – Es muß noch ein Raum in jenem schönen Haus unserer Kindheit gewesen sein – an den kann ich mich nicht mehr erinnern. Er lag tiefer als die Diele und die Salons – in einem Kellergeschoß. Eine gewundene, geheimnisvolle Treppe führte hinunter. Aber ich weiß nicht mehr, wie es aussah und wie es roch, in dieser entlegenen Kammer. Ich finde den Weg nicht mehr, die verborgene Treppe hinunter – und doch muß ich sie oft gegangen sein, Hand in Hand mit Tilly – damals, in der versunkenen Zeit. – Versunkener Raum – ich finde den Zugang nicht …‹

      Abel inzwischen feierte im Kreis der Kollegen. Nur die Unverheirateten hatten sich eingefunden; aus dem Radio schallten Weihnachtslieder; mehrere Herren sangen fröhlich mit, andere wurden melancholisch. Benjamin gehörte weder zu den Munteren noch auch zu den Betrübten. Er dachte angestrengt nach – was ihn freilich am Sprechen hinderte und seinen Blick recht finster werden ließ. Die Kollegen vermuteten: Es ist die Heimat, nach der er sich sehnt. Alle Deutschen werden sentimental, wenn Weihnachten ist … Sie sagten: »Prost, alter Junge!« und hoben die Whiskygläser. Er aber dachte an Marion.

      Er beschloß: ›Morgen gestehe ich ihr, was ich fühle und will. Der erste Weihnachtsfeiertag ist ein schönes Datum für die große Erklärung.‹

      Marion sah müde aus, als sie Abels matinale Visite empfing. Sie erklärte: »Ich habe nicht gut geschlafen.« Indessen war sie reizender denn je. Begehrenswerter denn je – so fand Benjamin – schien ihr blasses, mattes Gesicht unter der lockigen Fülle des Haars. Sie trug einen schwarzen Pyjama, eng anliegend, dem Kostüm eines Pierrots ähnlich. Übrigens duftete sie stärker als gewöhnlich; Benjamin zuckte zusammen, als sie erwähnte: »Der gute Jonny hat mir ein sehr feines Pariser Parfüm geschenkt, es muß hier teuer sein, meine Lieblingsmarke.« Hatte sie auch einen neuen Lippenstift? Der große Mund leuchtete fast erschreckend in der Blaßheit ihrer erschöpften Miene. Sie bewegte sich lässig durchs Zimmer – ein nicht mehr ganz junger Page, parfümiert und mager, mit einem überanstrengten Zug zwischen den Augenbrauen. Sie fragte mit sanfter, tönender Stimme: »Was führt Sie so früh zu mir, lieber Freund?« Es klang konventionell, dabei lockend. Auf dem dunklen Seidenstoff ihres Hausanzuges bewegten sich unruhig die weißen Finger ihrer rastlosen Hand.

      Wie verführerisch war Marion an diesem festlichen Morgen! Benjamin war drauf und dran, es ihr zu versichern; konnte indessen nur stammeln. Was er vorbrachte, war verworrenes Zeug – der Inhalt ließ sich mehr erraten als verstehen. Daß er sie liebe – darauf lief es hinaus. Dies hatte sie schon gewußt; ihr mattes, strenges Gesicht blieb undurchdringlich. Sie schwieg; er verlor vollends die Fassung.

      Auf seiner Miene ereigneten sich Dinge höchst erstaunlicher Art. Der kleine Mund zwischen den schweren Wangen verzerrte sich, daß es schien, er lachte – ein gequältes Grinsen – nun sah es wieder mehr nach Weinen aus. Auch die Stirne war sehr in Mitleidenschaft gezogen; sie warf Falten wie ein Wasser, über das ein Windstoß fährt. Die Falten hatten krause, barocke Formen, sie vergingen geschwind, waren gleich wieder da, vertieften sich, lösten sich nochmals. Am schlimmsten aber stand es um die Augen; dort herrschte Raserei. Sie waren blutunterlaufen und zeigten die bedenkliche Neigung, hin und her zu rollen, als suchten sie in allen Ecken des Zimmers gierig nach einem verlorenen Gegenstand. Plötzlich wurden sie starr – was auch recht unheimlich wirkte. Hatten sie das verlorene Kleinod gefunden? Hielt Marion es zwischen ihren Fingern fest? Auf ihre bleichen, unruhigen Hände fixierte sich Benjamins flehender, verzückter Blick.

      Welch rührendes, groteskes Schauspiel bot der bejahrte Freier! Mit eindrucksvoller Eloquenz hatte er, gestern noch, die Menschenwürde gepriesen; nun entwürdigte er sich, ward fast komisch – zu Füßen des Menschen, an dem ihm alles gelegen war. – Ja, er hatte sich vor Marion auf die Knie geworfen. Er tat dies Äußerste, er wagte die schamlose Geste, er fürchtete nicht, ridikül zu scheinen. Er ließ sich hinplumpsen, schwer und dick, wie er war – es machte ziemlichen Lärm. Die Pose des Jünglings, der die Entflammtheit seines jungen Herzens beichtet – ach, höchst seltsam nahm sie sich aus, da der Alternde nun, pedantisch-ausführlich, in ihr verharrte. Er hielt dem Mädchen sein großes, zerfurchtes Gesicht hin, sein entwürdigtes Antlitz – wie respektabel war es einst gewesen! Jetzt schien es entstellt und verwüstet, zerstört von Leidenschaft, und die Blicke vor Angst und Hoffnung erblindet. – ›Lies in meinen Zügen!‹ forderte das entstellte Antlitz des Mannes. ›Erfahre, was ich gelitten habe! Nimm den schonungslosen Bericht, die genaue Chronik meines langen, kummervollen Daseins entgegen – in den Falten auf meiner Stirn kannst du alles lesen!‹

      Sie prüfte die weite, inhaltsvolle Fläche dieses Menschengesichtes. Sie hörte seine geflüsterte, mühsam hervorgestoßene Rede: »Du mußt bei mir bleiben … Ich will dich … Wir werden glücklich – zusammen … Marion, du bleibst bei mir …« Sie rührte sich nicht. Sie forderte ihn nicht auf, sich zu erheben.

      Endlich legte sie die Hände auf seine Schultern. Endlich sprach sie.

      »Es geht nicht. Es kann nicht sein.«

      Er ließ die Augen ein wenig rollen. Sie fürchtete, er werde gräßlich schreien. Jedoch hauchte er nur: »Warum nicht?«

      Sie wiederholte: »Es geht nicht.«

      »Du wirst dich an mich gewöhnen«, hauchte er eigensinnig. »Wahrscheinlich wirst du mich lieben.«

      Sie erhob sich; tat ein paar Schritte. Sie winkte ihm flüchtig, etwas ungeduldig zu, er möge sich doch endlich wieder auf seine Füße stellen. Als er sich aufrichtete, ächzte er ein wenig; seine Hosen waren an den Knien bestaubt. Sie bemerkte es mit schrägem Seitenblick. Sie hustete nervös; zündete sich eine Zigarette an. Während sie schweigend rauchte, stand er mit geducktem Schädel und wartete. Schließlich fragte er nochmals: »Warum nicht?«

      Sie lief durchs Zimmer, wandte ihm den Rücken. Über die Schulter, die sie enerviert bewegte, rief sie ihm mit trockener Stimme zu: »Ich erwarte ein Kind.«

      Er veränderte weder die Haltung noch den Ausdruck der Miene. Er fragte, beinah tonlos: »Von wem?«

      Da verlor sie die Fassung. Wütend zerdrückte sie die Zigarette im Aschenbecher – den sie vom Tische stieß – dabei stampfte sie kurz mit dem Fuß auf, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Was geht es Sie an?!« – Sie schien völlig verzweifelt.

      Er blieb insistent. »Ich muß es wissen.«

      Zu seiner Überraschung lachte sie, kurz und böse. Dann wurde sie wieder gelassen. Sie legte den Kopf in den Nacken; unter halb gesenkten Blicken hatten ihre Augen ein Leuchten, in dem Spott und Mitleid sich mischten – auch etwas Zärtlichkeit enthielt es, wie Benjamin mit bebender Hoffnung zu konstatieren meinte.

      Sie erklärte ruhig: »Mein Kind ist von einem