hielt, lag daran, daß dies junge Paar sich weiter als besonders brav und hilfsbereit erwies. Auch der Doktor hatte sich entschieden zu seinem Vorteil verändert, unter Meisjens energisch-weiblichem Einfluß. Er sah nun viel adretter und zivilisierter aus; sein Blick war fast nie mehr glasig, und der rotblonde Schnurrbart hing ihm nicht mehr feucht und fransig auf die Oberlippe.
Dr. Mathes und sein Meisje hatten bei der Schwalbe Hochzeit gefeiert; Fräulein Sirowitsch und Nathan-Morelli saßen dabei und tauschten Blicke voll Wehmut. Auch zwischen ihnen war seit längerem von Eheschließung die Rede. Nathan-Morelli – einst spöttisch und beinah unzugänglich – hatte sich derartig an die kluge, ernste Dame gewöhnt, daß er nun seinerseits Wert darauf legte, die Liaison mit ihr zu legalisieren. Nun aber hielt sie es für passend, sich ein wenig rar zu machen und noch etwas zu zieren. Sie stand auf eigenen Füßen, sorgte für sich selber, war auf niemanden angewiesen. Seit dem Frühling 1935 leitete sie einen großen Pressevertrieb – ein Bureau, in dem außer ihr zwei Mädchen und ein junger Mann beschäftigt waren und dessen Funktion darin bestand, die holländischen, französischen, englischen, schweizerischen Zeitungen mit journalistischem oder photographischem Material zu versorgen. Einer der Autoren, mit dem die Sirowitsch regelmäßig zu tun hatte, durch den sie gut verdiente und den sie ihrerseits nicht schlecht verdienen ließ, war Helmut Kündinger.
An der deutschen Tageszeitung, die in Paris erschien, hatte er einen guten Posten. Man schätzte seine gewandte Feder, seinen zugleich soliden und beweglichen Geist; die Artikel, die von ihm stammten, waren beliebt. Besonders wurde Kündingers Ansehen bei den Kollegen dadurch gesteigert, daß auch französische Gazetten sich für seine Beiträge interessierten. Nicht nur in Provinzblättern, sondern auch in Pariser Zeitungen tauchte ab und zu sein Name auf. So weit hatten es nur wenige exilierte deutsche Journalisten gebracht. Übrigens war Kündinger nun auch politisch tätig und galt als Verfasser oder Mitverfasser zahlreicher Broschüren und Manifeste, die entweder im Ausland oder, illegal, im Reiche wirken sollten. Hier war es vor allem Theo Hummler, mit dem er zusammenarbeitete.
Der wurde immer energischer und immer geübter, was die politisch propagandistische Aktivität betraf. Ein großer Teil der aufklärenden, warnenden, zum Widerstand rufenden Texte, die den geheimen, schwierigen, gefahrvollen Weg nach Deutschland fanden, stammte von ihm. Ein geheimnisvoller Nimbus begann, sich um seine Person zu bilden. Niemand wußte im Grunde genau, was er alles organisierte; wieviel wichtige und unsichtbare Fäden in seinen Händen zusammenliefen. Er trat häufig kleine Reisen an, deren Ziele unbekannt blieben. War er nach Prag unterwegs, oder nach Kopenhagen, oder gar nach Berlin? Richtete er einen Schwarzsender in Straßburg ein, dessen aufrührerische Verlautbarungen von deutschen Proleten, nachts und unter Lebensgefahr, abgehört wurden, oder konspirierte er mit Gesinnungsgenossen in Wien …? Theo Hummler redete nicht viel. Seine Miene wurde immer verschlossener, fast unheilverkündend vor lauter Energie und Geheimnis.
Bei anderen war es deutlicher, was sie taten und womit sie etwas erreichten. Ilse Ill zum Beispiel, die Kabarettistin, hatte plötzlich einfach Erfolg – in allen Zeitungen stand es zu lesen. Monate und Jahre war sie arbeitslos umhergegangen, fast verzweifelt und schon halb zerlumpt, und jedem, der nicht davonlief, hatte sie es erzählt: »Schon wieder hat ein Direktor zu mir gesagt, ich sie ihm zu häßlich. Dabei hat er mir zugegeben, ich hätte Talent. Wenn ich aber Talent habe, dann habe ich ein Gesicht. Und wenn ich ein Gesicht habe, dann bin ich doch nicht häßlich …« Gleichsam über Nacht hatte man es entdeckt, ihr Gesicht, und nun leuchtete ihre Photographie aus den Illustrierten. Sie hatte es geschafft, freilich unter Verwendung radikaler Mittel. Der Einfall war ihr gekommen, sich das Haar grasgrün zu färben. Dazu schminkte sie sich die Lippen schwärzlich, die Wangen violett, und wählte zu einem schwarzen engen Kleid eine scharlachrote Pierrotkrause. Es fiel immerhin auf. Außerdem hatte sie sich ein Programm einstudiert, das an fürchterlicher Kraßheit nichts zu wünschen übrig ließ. Zunächst durfte sie es nur in einem sehr bescheidenen Nachtlokal zum Vortrag bringen. Dort fanden sich Leute, die es interessierte; daraufhin machte sie einen Selbstmordversuch. Die Pariser wurden neugierig. Die Direktion eines großen Montmartre-Kabaretts bot ihr einen Vertrag an. Sie wand sich schlangenhaft zwischen den Tischen, an denen Sekt getrunken ward, warf die schwarzen Arme gen Himmel, verzerrte das bläuliche Gesicht über dem makabren Putz der Scharlachkrause und schrie tragische Obszönitäten. Dieses war der Erfolg.
Auch Bobby Sedelmayer hatte es noch einmal geschafft. Dem charmanten, unverwüstlichen und gutmütigen Burschen zeigte sich in Shanghai das Glück wieder treu, das ihn an der Avenue de l’Opéra vorübergehend verlassen hatte. Seine Berichte aus China hatten begeisterten Ton. »Meine Bar ist die schönste des Fernen Ostens!« meldete er enthusiastisch – und alle, die dort gewesen waren, bestätigten es. »Nur Ihr fehlt mir!« versicherte Bobby den alten Freunden. »Sonst wäre ich restlos froh.« – Er hatte sein Lokal in einem der ersten Hotels der Stadt etablieren können. Es war ein geselliges Zentrum dieser Weltgegend. Bobby verdiente in so hübschen Mengen, daß er dem jüdischen Comité, für das Dora Proskauer arbeitete, eine runde Summe überweisen konnte. An den Bankier Bernheim schrieb er, nicht ganz ohne Spott: »Wenn Sie in dieses Unternehmen Geld investiert hätten, verehrter Freund, wären Sie fein heraus!«
Übrigens hatte der Finanzier die Verluste, die seine Beteiligung an der »Rix-Rax-Bar« für ihn bedeutet hatte, leicht verschmerzen können. Ihm ging es vortrefflich; sein geschäftliches Genie bewies sich auch unter den abnorm erschwerten Umständen seiner jetzigen Existenz. Die prachtvolle Wohnung in Passy hatte schon wieder fast ebensoviel mondäne Anziehungskraft wie einst die Grunewaldvilla. Die Elite der Emigration – Künstler, Politiker und die Herren von der Börse – begegneten sich dort mit dem höheren Personal der Botschaften, Pariser Zeitungsbesitzern und den halb deklassierten Mitgliedern des Faubourg St.-Germain. Bernheim genoß die allgemeine Achtung. Einen Teil des Jahres verbrachte er in einem kleinen Ort bei Palma, auf der Insel Mallorca, wo er eine Villa gekauft hatte.
Dort hielt sich Professor Samuel auf, auch während der Hausherr abwesend war. Samuel hatte sich verliebt in Mallorca, in die Landschaft und in die Menschen. Außerdem hatte er dort ein sorgenloses Leben. Der Bankier schätzte ihn als Künstler wie als Causeur; großzügig und ohne gar zuviel Wesens davon zu machen, stellte er ihm Haus und Garten, Dienerschaft und Weinkeller, Küche und Bibliothek zur Verfügung. Wenn Samuel sich bedanken und die Großmut seines Freundes preisen wollte, sprach Bernheim schlicht: »Ich bin stolz darauf, mein Lieber, daß in meinem Hause Meisterwerke entstehen.« – Wirklich gerieten dem Maler auf Mallorca Bilder von ungewöhnlicher Qualität: Ansichten von Meer und Bergen in starken, hart leuchtenden Farben und reizende Porträts von Fischerknaben, Stierkämpfern oder Bauernfrauen. Eine kleine Gruppe von Künstlern – Schriftstellern oder Malern – begann sich um das mallorquinische Idyll von Samuel und Bernheim zu bilden. Man verbrachte unschuldsvolle, blaue Tage am Strande und wilde Nächte in Palma. In Bernheims Villa war der Tisch stets für viele gedeckt. Wenn der Bankier in Paris weilte, vertrat ihn Samuel: schalkhaft und würdig, mit Grandezza, milder Klugheit und gepfeffertem Witz.
Die Zeit verging, auch für die Emigranten. Schriftsteller schrieben Bücher – manche davon waren gut, andere ließen zu wünschen übrig; Politiker entwarfen ihr Programm und stritten mit den Kollegen darüber; Zeitschriften wurden gegründet und gingen ein; Frauen gaben sich hin, erwarteten ein Kind, ließen es abtreiben oder bekamen es; Geschäftsleute spekulierten; Ärzte und Rechtsanwälte hatten keine Praxis, aber doch ab und zu Klienten; Schauspieler hatten kein Engagement, aber durften sich doch hier und dort öffentlich zeigen. Das Leben stagniert nicht, geht weiter, bringt Überraschungen, Veränderungen, Sensationen, Schmerzen, kleines Glück, heftigen Kummer, Langeweile, Lust, Müdigkeit, Hunger, Schreck, Enttäuschung.
Sogar für die arme Friederike Markus sollten schließlich Abenteuer kommen. Wie lange Zeit hatte sie nun, einsam und abgetrennt von allen übrigen, in ihrer tristen Wahnwelt gelebt? Jahre waren vergangen … Sie ging immer noch mit ihrem gelben Handtäschchen umher, in dem die Parfümflaschen an die Tuben mit Zahnpasta klapperten, und immer noch verfaßte sie ihre endlosen Epistel an britische Politiker, italienische Dirigenten oder deutsche Dichter. Tag und Nacht aber, ob sie schrieb oder Eau de Cologne verkaufte, träumte sie von jenem Gabriel, der sie verlassen hatte. Da erschien er ihr.
Als sie wieder einmal in einem Bistro saß und im Begriffe war, eine ausführliche Klage an Frau Lagerlöf