Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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sehnsüchtig ausschickte, erkannte Gabriel; in höchst anmutiger Pose stand er gegen die Theke gelehnt. Er trug einen grauen Sportanzug mit weiten Pumphosen; von den Schultern aber wuchsen ihm silbrigblaue Flügel, starr und leuchtend, wie angefertigt aus einem biegsamen, starren und spröden Metall. Unter einer schicken englischen Schirmmütze, die er tief in die Stirn gezogen trug, glänzten die Augen des huldreichen Engels derartig stark, daß Frau Viola sich zugleich entsetzt und beseligt fühlte. Ach, ihr Gabriel war wiedergekommen, alles konnte gut werden. Siehe – er hielt ein kleines Glas, gefüllt mit golden bräunlicher Flüssigkeit, auf kokette Art in der Hand. Den rechten Fuß hatte er lässig vorgestellt, wie ein Tänzer, der ausruht von seinen herrlichen Sprüngen und der, noch in der Ruhe, den hohen Anstand, die spielerische Grandezza des Tanzes bewahrt. Strahlenglanz umfloß ihn; die arme Viola zitterte davor, es könnte jene Rosenwolke wieder herbeigeschwebt kommen, auf der die Götter ihre Lieblinge entführen. »Gabriel!« rief sie schluchzend und reckte die hageren Hände nach ihm.

      Ein mürrischer alter Kellner wunderte sich darüber, daß die eifrig schreibende Dame plötzlich mit weinerlich-schriller Stimme einen Herrn anrief, den sie vorher gar nicht beachtet hatte. Er befand sich schon seit einer Viertelstunde im Lokal und trank gerade seinen dritten Cognac. Als die Dame unvermittelt »Gabriel!« schrie, wandte er sich ihr zu und lächelte wie jemand, der dergleichen gewohnt ist. »Wie beliebt, bitte?« fragte er mit einer Stimme, die sowohl kräftig als auch einschmeichelnd war.

      Die Frau am Tisch schien aus einem tiefen Traum zu erwachen. »Entschuldigen Sie!« brachte sie mühsam hervor. »Ich habe Sie … mit einem Bekannten verwechselt …« Die Hände und die Lippen zitterten ihr. ›Sie sieht ja besorgniserregend aus‹, dachte der junge Mann. Während er federnden Schrittes auf sie zutrat, sprach er mit einer galanten Neigung des Oberkörpers: »So etwas kann passieren!« Und er fügte hinzu – wobei er sich ein geübtes Don-Juan-Lächeln wie eine feine seidene Maske übers Gesicht zog: »Mein Name ist Walter Konradi. Sind Gnädigste auch Emigrantin?«

      Monoton zugleich und dramatisch bewegt verlief das Leben der beiden Knaben, Martin und Kikjou. Immer noch bewohnten sie miteinander das zu teure Atelier, Rue Jacob, mit dem schönen Blick aus dem großen Fenster über die Dächer und in die winkligen Straßen des Quartiers. Immer noch vergingen ihnen die langen Nächte mit den Gesprächen und den Liebkosungen; die kurzen Tage aber verschliefen sie beinah ganz. Dazwischen gab es Szenen, Auftritte mit Tränen, Schreien und wilden Worten. Manchmal trennten sie sich; aber niemals länger als für einige Wochen. Es war immer Kikjou, der abreiste: zu den Verwandten nach Belgien oder Lausanne, oder mit einer älteren Dame, die ihm nachstellte, nach London, oder mit einem jungen Amerikaner nach Biarritz. Martin blieb – und eines Tages trat auch Kikjou wieder ein, das lieblichbleiche Affengesichtchen starr vor Zärtlichkeit, Hysterie und einer Freude des Wiedersehens, in die sich Verzweiflung mischte: »Me voilà, da bin ich wieder, alles kann von vorne anfangen – wir kommen voneinander nicht los.«

      Und alles fing wieder von vorne an. Ewig wiederholten sich Martins Vorwürfe: »Du betrügst mich! Wie eine kleine Hure bist du, im Gesicht und am ganzen Körper, auch deine Frömmigkeit ist nur eine besonders unappetitliche Form deiner maßlosen Geilheit.« Darauf Kikjou: »Du bist es, der mich täglich und stündlich betrügt – mit dem Gift, mit dem Teufelszeug!« – Und Martin, nicht ohne Hohn: »Du nimmst es ja selber! Heuchler du! Du kannst ja selbst gar nicht mehr auskommen ohne deine chose infernale!« – Kikjou: »Spotte auch noch! Triumphiere auch noch! Du hast mich zum Morphinisten gemacht!«

      Er hatte nicht widerstehen können. Die Zeiten, da er mit einer etwas grausamen Neugierde Martins Exzesse beobachtet hatte, waren dahin. Die Fremdheit, in die ihm Martin entglitt, wenn die Droge sein Gesicht und seinen Blick veränderte, hatte anfangs für Kikjou einen Reiz bedeutet. Schließlich wurde es unerträglich. Zwei Menschen, von denen der eine intoxikiert ist, der andere nicht, können auf die Dauer nicht zusammen sein. Sie leben in verschiedenen Welten: Kikjou begriff dies bald. Eines Nachts verlangte er danach, la chose infernale zu kosten. Wie geschwind gewöhnte man sich! Er konsumierte sie in kleineren Dosen als Martin, auch noch nicht mit der gleichen Regelmäßigkeit. Aber er spürte doch schon, wie er verfiel. Er beichtete, sowohl dem Onkel in Belgien als auch dem Priester. Aber er konnte nicht aufhören. Der Teufel hatte ihn fest in den Krallen. Der Teufel vermag mannigfache Gestalt anzunehmen. In einem winzigen Paketchen aus festem, rotem Papier findet er Platz …

      Die beiden magerten ab. Ihre Gesichtsfarbe wurde grau, die Haltung schlaff, der Appetit ließ nach, auch die sexuelle Potenz. Es gab Zeiten, da Kikjou beinah gar nichts mehr bei sich behalten konnte; er übergab sich fast nach jeder Mahlzeit. Oft blieb er den ganzen Tag im Bett liegen, während Martin wenigstens abends sich für einige Stunden erhob. Er ging zur Schwalbe und plauderte mit David Deutsch oder den anderen Freunden. Nach einer gewissen Weile freilich begann er zu gähnen, apathisch, schlapp und melancholisch zu werden. Dann zog er sich auf die Toilette zurück – um nach einer Viertelstunde frisch und munter wieder zu erscheinen. Mit neuen Kräften mischte er sich ins Gespräch, das er bald beherrschte. Er war amüsanter denn je; auf seine kokett gedehnte, zugleich pedantische und brillante Art formulierte er Aperçus über Politik, Menschen oder Literatur. Alle Blicke hingen an seinem schönen, trägen und bleichen Gesicht. Seine graugrün verschleierten Augen, in denen die Pupillen hart und winzig klein waren, hatten eine neue Macht, eine geheimnisvoll starke Beredsamkeit bekommen. David liebte und bewunderte ihn. Er war seinerseits tief versponnen in seine soziologisch-philosophischen Arbeiten; Martin war fast der einzige Mensch, für den er noch ein echt lebendiges Interesse fühlte. Mit keinem war das Gespräch so anregend – fand David – wie mit diesem jungen Poeten, der fast nichts schrieb und sich selbst allmählich zugrunde richtete. David arbeitete an einem Institut für soziale Forschung und war Mitherausgeber einer wissenschaftlichen Monatsrevue. »Wie gut könnten wir dich dort brauchen!« sagte er Martin oft. »Dir fällt mehr ein als den meisten Professoren.« – »Ich kann nicht.« Martin hob nur müde die Schulter. »Du mußt mir ein bißchen Geld leihen, David. Pépé will nicht länger warten. Morgen oder übermorgen bekommst du es ganz bestimmt wieder.«

      Pépé war die große, herrschende Figur in Martins Leben geworden. Der Händler hatte inzwischen häufig sein Stammlokal wechseln müssen. Auch verhaftet war er einmal gewesen. In dieser Zeit hatte sein Cousin »das Geschäft« geführt. Aber mit dem war nicht auszukommen; statt Morphine zu nehmen, trank er Schnaps – was viel unbekömmlicher war und ihn jähzornig machte. Pépé hingegen war ein Gentleman; in seiner Art fast ein Weiser. Übrigens hatte er für Martin und Kikjou die zärtlichste Sympathie; er nannte sie »meine Lieblingskinder« und räumte ihnen längere Kredite ein als den übrigen Kunden.

      Trotzdem gab es ständig finanzielle Schwierigkeiten – nicht nur mit Pépé, sondern auch mit der Patronne des Hotels. Alte Korellas schickten immer weniger und immer unregelmäßiger: die komplizierten und strengen Devisenbestimmungen waren schuld, wie sie behaupteten. Martin glaubte es nicht; er sagte, es fehle an gutem Willen: »Sie lassen ihren kranken Sohn glatt verhungern.« Kikjou seinerseits war mit dem Papa, der seinen Lebenswandel permanent mißbilligte, immer noch nicht versöhnt. Die Verwandten in Lausanne ließen ihn zappeln, wenn sie irgend Lust dazu hatten. Der belgische Oheim kam einzig und allein als Spender geistlichen Trostes in Frage. Oft waren die beiden Knaben in der Rue Jacob ganz verzweifelt. Wenn David Deutsch und der hilfsbereite Marcel nicht gewesen wären, hätte man sie längst aus dem Hotel gewiesen.

      Martin versuchte zu arbeiten. Der große Roman, von dem er sich soviel versprochen hatte, kam nicht zustande. Hingegen plante er nun eine kleine Serie von Prosastücken, teils hymnischer, teils analytischer Art – Tagebuchseiten, Bekenntnis, politische Aphorismen, philosophische Lyrik. Als Motto hatte er eine Stelle von André Gide gewählt:

      »Il y a dans tout aveu profond plus d’éloquence et d’enseignement qu’on peut croire tout d’abord.«

      Veröffentlicht hatte er in all der Zeit nichts, außer einer kritischen Studie über den »verruchten Lieblingsdichter«, den deutschen Lyriker, Arzt und Denker, der, in einer Mischung aus irrationaler Berauschtheit, Hysterie und Opportunismus, ein Mitläufer des Naziregimes geworden war. Martins Artikel, dem die intime Kenntnis des Gegenstandes, Liebeshaß, Gram und Enttäuschung eine gewisse intellektuelle Beschwingtheit, einen zornig-zärtlichen Impetus verliehen, war in einer der neugegründeten literarischen