man sie? Überall geht es hart auf hart, nur hier herrscht Heiterkeit ohne Ende, kein schriller Laut stört die perfekte Idylle … Aber hat es nicht eben ein dunkel drohendes Geräusch gegeben? Sind nicht finstere Wolken über diesen Himmel gezogen, dessen Bläue sonst vorbildlich war? Mallorca, wehe – was ist mit dir vorgegangen? Welcher Donnerschlag hat deine holde Szenerie verändert? Aufschreie plötzlich, wo es nur Lieder und Gelächter gab! Die schwarzen Vögel, die sich vom Meere her nahen, bringen Unheil. In den Villen und am Strande muß man sich’s eingestehen wie in den engen Gassen von Palma: dies sind Bombenflugzeuge, fabriziert in Italien und gelenkt von italienischen Piloten. Woher kommt die schaurige Invasion? Die Hölle ist losgelassen; tausend Teufel präsentieren sich in den kleidsamen Uniformen römischer Faschisten oder in der korrekten Tracht preußischer Beamter und sächsischer Geheimagenten; das satanische Gesicht hat viele Formen, niemals aber könnte es ihm gelingen, seine Grausamkeit und seine dünkelhafte Dummheit zu verbergen. Nun beginnt der Teufel sein Werk: er schafft »Ruhe und Ordnung«. Massenverhaftungen setzen ein, ein preußischer Beamter oder ein römischer Offizier brauchen nur den fürchterlichen Wink zu geben, und ein Mallorquiner Bürger wird abgeführt. Die Kerker füllen sich; um Platz für neue Opfer zu schaffen – oder einfach, weil man es gern knallen hört – erschießt man grundlos Verhaftete. Manchmal nimmt man sich nicht die Mühe, die Unglücklichen erst im Gefängnis abzuliefern: man holt sie nachts aus den Betten, fordert sie, grimmig lächelnd, zu einer »Spazierfahrt« auf; ruft ihnen dann munter zu: ›Jetzt laufe! – Jetzt spring aber!‹ – denn man hat Humor – und dann kracht der Schuß. Am Morgen liegt die Leiche im Gras, am Waldessaum oder auch mitten in der Stadt, es kommt nicht darauf an – in einer kleinen Blutlache, mit dem Gesicht auf dem Pflaster. Der Bischof von Palma findet dies alles christlich, segnet die Mörder und betet öffentlich für ihr Seelenheil. Frauen werden vergewaltigt, Kinder mißhandelt, Männer zerfetzt. Das Meer, das unsere friedliche Insel vom Festland trennt, scheint blutig verfärbt. Drüben, in der großen Hafenstadt, stehen die Kirchen in Flammen. Dort wird erbittert gekämpft. Eine Clique von Generalen, ausgehalten von den reichen Leuten, ist gegen die Regierung aufgestanden und will alle Macht im Lande haben. Das Volk läßt es sich nicht gefallen; empört sich, wehrt sich, rächt sich; das Volk steht auf – in ungeordneten Massen zunächst, aber unbesiegbar durch seinen gerechten Zorn, seinen wütenden Willen zur Freiheit. Dieses Volk wird lang zu kämpfen haben, große Übermacht steht ihm gegenüber. Dieser Krieg dauert lange, ist ein großer Krieg und doch nur ein Teil von einem größeren. – Flieht, ihr Fremden aus den Badeorten; mit der Idylle ist Schluß! Flieht aus San Sebastian! Flieht von der Insel Mallorca! – Der große britische Autor, von Grauen geschüttelt, packt seine Koffer. Siegfried Bernheim muß den Kapitän eines ausländischen Kriegsschiffes mit hoher Summe bestechen, um nur mitgenommen zu werden. Die schöne Villa läßt er im Stich, samt dem echten Renoir und dem zweifelhaften Greco: die Faschisten würden ihn nicht verschonen; das deutsche Konsulat ist schon seit langem auf ihn aufmerksam, zwischen den Nazis und den spanischen Falangisten besteht intimer Kontakt – er wäre seines Lebens nicht sicher, bliebe er nur noch einen Tag. Zum ersten Mal in all den Jahren scheint Bernheim etwas aus der Fassung zu kommen. Schwankenden Ganges bewegt er sich über den Landungssteg, die Gassenjungen johlen hinter ihm drein. Auch Professor Samuel, an seiner Seite, zeigt ein fahles Gesicht. Mit ihm haben sich die witzigen jungen »Hüter der Ordnung« am Tage vorher noch einen ihrer famosen Scherze erlaubt. Ihm wurde mitgeteilt: »Jetzt mußt du sterben, alter Bolschewik! Dein Stündlein hat geschlagen, Judensau!« – woraufhin man ihn an die Wand stellte. Ein halbes Dutzend Kerle stand ihm in Reih und Glied gegenüber, die Gewehrläufe auf ihn gerichtet. Sie zählten: Eins – zwei – und drei! Dann brachen sie in tobendes Gelächter aus. Übrigens waren sie nicht ganz auf ihre Kosten gekommen, weshalb ihr Lachen nicht sehr heiter klang. Samuel hatte nicht gewinselt, nicht um Gnade gefleht, war nicht einmal in Ohnmacht gefallen. Aufrecht und mutig hielt er sein altes Haupt mit dem weißen Gesicht, dessen gescheiter, sinnlicher Mund freilich nicht mehr lächelte. Er war nicht so sehr entsetzt oder traurig darüber, daß er sterben sollte. ›Es ist idiotisch von den Burschen, mich umzubringen‹, dachte er nur verächtlich, ›aber die sind wohl derartig dumm, daß sie es aus irgendwelchen Gründen für ihre Pflicht halten. Außerdem macht es ihnen wahrscheinlich Vergnügen. Was mich betrifft, ich darf mich kaum beklagen. Mein Leben ist schön gewesen, nun geht es schnell zu Ende, ich habe weiter keine Unannehmlichkeiten mehr. Lieber hier geschwind umgebracht werden, als in ein deutsches Konzentrationslager – denn das ist wohl der Aufenthalt, der viele meiner Freunde erwartet. Hier werden sie auf italienische Schiffe verladen wie das Vieh; in Genua müssen sie umsteigen, und in München holen die Herren von der Gestapo sie am Bahnhof ab. Das ist nicht der Lebensabend, den ich mir wünsche. – Also, schießt schon zu, dumme Buben!‹ – Sie schossen indessen nicht; lachten vielmehr wie besessen, wenngleich auf nicht heitere Art. Er dachte: ›Auch gut. So geht dieser Betrieb also weiter. Vielleicht darf ich noch ein paar gute Bilder malen. Aus dieser Szene, zum Beispiel, mit den Burschen und den Gewehren, wäre allerlei herauszuholen.‹ – Bernheim, mittels seines Geldes und der hohen Beziehungen, setzte durch, daß Samuel mit ihm reisen durfte. – Die englischen Herrschaften, die soviel Whisky konsumiert und mit soviel Enthusiasmus Bridge gespielt hatten, wurden von gepanzerten Booten abgeholt, die zu His Majesty’s Navy gehörten. Von den deutschen Emigranten, die via Genua nach München geschafft werden sollten, brachten sich mehrere um. Keiner wurde vergessen, trotz aller Aufregung; die schwarzen Listen, welche die deutschen Behörden an die faschistisch-spanischen weiterleiteten, schienen umfassend zu sein; man arbeitete glänzend zusammen, die Regie klappte, alles ging wie am Schnürchen; die Apokalypse war prima organisiert, die Orgie der Sadisten trefflich vorbereitet, in Rom und Berlin hatte man wohl, vor Beginn des Schlachtens, jedes Detail des Programms mit Sorgfalt besprochen: Die roten Untermenschen sollen unsere Macht und kalte Klugheit spüren, die Juden und Pazifisten, auch die aufsässigen Arbeiter, die Literaten, und von den Priestern jene, die es mit dem Christentum ernst meinen – hin müssen sie alle werden, die Nilpferdpeitsche für sie, der Rizinus-Trank, die Handgranate in die Fresse, das Bajonett in den Bauch – Es lebe die Internationale des Faschismus!
Es lebe die Internationale der Freiheit! Wer Widerstand leistet, bleibt nicht ganz allein. Die Regierungen mögen ihn im Stich lassen; die »großen Demokratien« mögen ihre feige Politik, die nur dem Angreifer zugute kommt, »Neutralität« oder »Nichteinmischung« nennen. Von überall her kommen die Freunde, die Freiwilligen; begeisterter Zulauf aus allen Ländern, allen Himmelsstrichen; Proletarier neben Intellektuellen, sie sprechen verschiedene Sprachen und verstehen sich doch – es formieren sich die Internationalen Brigaden.
»Nun weiß man doch, wohin man gehört!« sagt ein junger Mann wie Hans Schütte, der in Prag nicht hat bleiben dürfen, und dann nicht in Wien, und in Frankreich nicht, und nicht in der Schweiz, in Holland oder in Skandinavien. Trotzig hat er sich herumgetrieben, überall der ungebetene Gast, verfolgt von der Fremdenpolizei, ein Geächteter. Er sieht schon verdächtig aus und recht heruntergekommen. Ein harter, struppiger Bart ist ihm gewachsen, und seine runden, etwas vortretenden Augen, die einst gutmütig schauten, haben oft einen flackernd scheuen Blick, der nichts Gutes verheißt. Jetzt aber begreift er: Es gibt irgendwo was zu tun – etwas Großes. Das lohnt sich, da mache ich mit. In jenem Lande – wo ich noch nie gewesen bin und dessen Sprache ich nicht verstehe – sind die Leute nämlich auf eine glänzende Idee gekommen: auf die Idee, sich zu wehren.
›Dorthin gehöre ich! Dies ist die Gelegenheit, auf die ich so lange gewartet habe – dies die Stunde: ich erkenne sie, sie ist da!‹ So empfand Marcel Poiret. Er war müde der großen Worte, gierig danach, zu handeln; er lechzte nach der Tat, nach dem Opfer; nun war es soweit: man konnte sich anschließen, sich zusammentun, gemeinsam handeln mit den Kameraden. Sie haben nicht verstanden, sie sind stumpf und dumm geblieben, wenn man sich an sie wendete und sie ergreifen wollte durch das geschriebene Wort. Sie werden begreifen, man wird zu ihnen gehören, wenn man mit ihnen kämpft. ›Nun hatte es doch sein Gutes, daß der französische Staat, die brave Dritte Republik mich schießen gelehrt hat. – Ich gehe nach Spanien. Ich melde mich zur Internationalen Brigade.‹
Es werden ihm Abschiedsfeste gegeben; eines veranstaltet die Schwalbe in ihrem Lokal. Ganz vollzählig ist der kleine Kreis bei dieser Gelegenheit freilich nicht. Einige junge Leute, die man häufig hier sah, sind ihrerseits schon nach Spanien vorausgefahren. Auch Marion und Martin sind nicht erschienen. Martin geht fast