Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


Скачать книгу

Schreibmaschinenschrift

      der große Ruhm war ihr sicher. Hierfür sprachen noch andere Symptome. In New York hatten die Reporter sie am Schiff begrüßt, auch in Hollywood waren sie gleich zahlreich zur Stelle gewesen. Die Zeitungen von Los Angeles brachten ihr Porträt auf der ersten Seite. Tilla empfand, beinah fröstelnd vor Glück: So fängt es an … Aber damit hatte es auch fast schon aufgehört.

      Denn nun kam die Zeit des Wartens. In Hollywood wartete man: es schien die allgemeine Beschäftigung. Das Manuskript des Films, in dem sie mitwirken sollte, mußte geändert werden; dies dauerte schrecklich lange. Die Schecks trafen ein; sonst aber ereignete sich durchaus nichts. Die Herren vom »Writer Department« – einfallsreiche Schriftsteller aus Budapest oder Brooklyn: ihrerseits hochbezahlt – erfanden neue Witze und dramatische Pointen für die Wiener Gesellschaftskomödie. Darüber vergingen Monate. Tilla war bald nervös. Der amüsante Verkehr wurde langweilig; die strahlende Landschaft mit ihren Palmen und Autostraßen verlor allen Reiz; sogar die Schecks, so hochwillkommen sie waren, bereiteten nicht mehr die gleiche, fast wilde Freude wie in der ersten, hoffnungsvollen Zeit. – Immerhin: zu eigentlicher Enttäuschung gab es noch keinen Anlaß. In der Rolle, die ihr zugedacht war, konnte Tilla alle ihre Reize spielen lassen. Kein Zweifel: der große Triumph stand bevor. Wäre das Manuskript nur erst fertig!

      Endlich war es soweit; die Aufnahmen konnten beginnen. Das Leben wurde interessanter und spannungsreicher. Die Reporter ließen sich wieder melden, auch Kavaliere waren plötzlich da; abends, nach der Arbeit im Studio, fuhr Tilla, bunt geschmückt, in die eleganten Dancings mit den spanischen Namen; am nächsten Morgen stand in der Zeitung zu lesen, mit wem sie gespeist und geflirtet hatte. Etwas überraschend, auch schmerzlich war, daß ihre Gage plötzlich gesenkt wurde, während sie noch in der Wiener Gesellschaftskomödie agierte. Ihr erster Vertrag, der für sechs Monate bindend gewesen war, lief gerade ab; er sollte verlängert werden, aber nur noch vierhundert Dollars die Woche wurden genehmigt. Tilla erklärte sich einverstanden; sie dachte: ›Nach dem fulminanten Erfolg, der mich erwartet, kann ich neue Ansprüche stellen!‹ Die Kenner versicherten ihr: »Du bist eine Spezialität; für alle mondänen Filme wird man dich brauchen. Wenn du ein großes Abendkleid trägst, siehst du nicht aus wie ein Mannequin, sondern wie eine Fürstin. Außerdem kannst du wirklich eine feine Konversation sprechen. – Tilla, wir beneiden dich alle um deine wundervolle Karriere!«

      Soviel Freundlichkeit war verdächtig. Tilla blieb mißtrauisch; musterte sich lange im Spiegel. Ohne Frage: für eine Frau Mitte Vierzig sah sie fabelhaft aus. Immer noch war sie die auffallend attraktive Erscheinung, hochelegant in ihrem leichten, dunkelroten, mit schwarzem Schleier etwas phantastisch drapierten Kostüm; la belle Juive, noch immer, bei deren Anblick Herren animiert mit der Zunge schnalzen. Freilich gab es gewisse Schärfen in ihrem schönen Gesicht. Der dunkelrot gefärbte, große, stark geschwungene Mund wurde an den Winkeln von zwei müden kleinen Falten gesenkt; die Haut schien ein wenig angegriffen, matt und flaumig geworden, und die Beweglichkeit der etwas zu großen Nüstern hatte einen nervösen Charakter – den Charakter eines unruhigen, nach erregenden Gerüchen gierigen Schnupperns bekommen.

      Sie photographierte sich gut. In einigen Szenen sah sie blendend aus, sowohl in großer Toilette als auch im Négligé. Trotzdem beschloß der Regisseur, jene Bilder aus dem Film zu schneiden, die sie im zärtlichen Tête-à-tête mit einem Leutnant zeigten. Während Tilla auf die zweihundert Dollars wöchentlich ohne Widerstand verzichtet hatte – um ihre Liebesszenen kämpfte sie wie eine Löwin. Es nützte nichts; man gab ihr zu verstehen: sie war einfach zu alt. Als der Film zum ersten Mal in Hollywood vorgeführt wurde, bekam das blonde junge Mädchen, welches die süße kleine Näherin spielte, den meisten Applaus. Tilla durfte sich zwar mehrfach zeigen – Orchideen im Arm, Federputz in den Haaren; so erlesen zurechtgemacht wie noch nie; doch wurde ihr entschieden weniger zugeklatscht. Die Kritiker lobten respektvoll ihr würdig-elegantes Auftreten; die Sensation des Abends aber war die kleine Blonde. »Ein neuer Stern am Himmel Hollywoods!« verkündeten die Blätter in fetten Lettern. Gemeint war stets die süße Näherin. Von Frau Tibori war kaum die Rede.

      Trotzdem versprach man ihr eine neue Rolle. Nur mußte das Manuskript noch umgearbeitet werden; diesmal handelte es sich um einen Stoff aus der Französischen Revolution. Tilla wartete. Die Herren aus Budapest und Brooklyn in ihren komfortablen Bungalows waren emsig; doch fand, was sie zustande brachten, nicht den Beifall der entscheidenden Instanzen. Es war einerseits zu unanständig, andererseits längst nicht spannend genug. Die Schriftsteller mußten noch einmal von vorne anfangen. Monate vergingen. Tilla zog aus dem großen Hotel am Hollywood-Boulevard in ein Boarding House nach Beverly Hills. Sie nahm englische Stunden, lernte fechten, ließ sich massieren, fuhr nach Santa Monica zum Schwimmen; sie lunchte mit Bekannten in ungarischen, schwedischen, deutschen, jüdischen, französischen, russischen Restaurants. Sie langweilte sich unsäglich. Sie legte Geld zurück – die Wochenschecks trafen ein. Die große Filmgesellschaft schien sich kaum noch für sie zu interessieren; trotzdem kamen die Schecks. Sie war beinah verwundert, als ihr Vertrag ein zweites und ein drittes Mal verlängert wurde. Der Stoff aus der Französischen Revolution – zu unanständig und nicht spannend genug – war längst beiseite gelegt. Man ließ Frau Tibori wissen, wahrscheinlich dürfe sie in einem englischen Familienfilm die elegante Cousine aus Paris darstellen. Tilla freute sich schon auf diese künstlerische Aufgabe; indessen kam es niemals dazu. Man entschied sich für eine echte Französin.

      Aus purer Langeweile schlief Tilla mit einem jungen Mann mexikanischer Abkunft, der seinerseits in Hollywood auf das große Glück wartete. Leider aber war er keineswegs der Empfänger von Wochenschecks; hingegen wollte er von Tilla ein Auto. Sie schenkte es ihm. Als er sie aber dann mit eben jener Französin betrog, die ihr die Rolle weggespielt hatte, wurde es ihr zu dumm. »Wer bin ich, daß du mich so behandelst?« schrie sie den Gigolo an. Daraufhin sagte er kalt: »Eine erfolglose alte Person.« Sie weinte lange. Bis zu diesem Grade also war sie schon heruntergekommen! In Berlin und Frankfurt am Main hatten Dutzende ihr zu Füßen gelegen – und hier ward sie so behandelt! Sie haßte Hollywood. Alles war falsch hier – die Palmen, die Sonnenuntergänge, die Früchte: nichts hatte Wirklichkeit; alles Schwindel, Kulisse. Und erst die Menschen! Eifersüchtige, herzlose Intriganten waren sie samt und sonders; besessen von ihrem Ehrgeiz, ihrer Geldgier und dem unersättlichen Hunger nach Reklame.

      Tilla vergaß, daß auch sie nur zu gerne etwas mehr Reklame gehabt hätte. Leider blieb sie aus. Kein Reporter mehr ließ sich blicken – während das Haus jener süßen Blonden, die das Nähmädchen gespielt hatte, umlagert war. Niemand kümmerte sich um die Tibori. Schließlich empfing sie die Schecks, die wie aus Versehen jedes Weekend eintrafen, nur noch als beleidigende Almosen.

      Sie nahm nicht Anteil an den besseren, höheren Dingen, die es auch in Hollywood gab; an den politischen, geistigen Bemühungen vieler ihrer amerikanischen oder europäischen Kollegen. Sie sehnte sich nach Europa. Es fehlte nicht viel und sie hätte sich sogar nach dem Kommerzienrat gesehnt, der vor allem ihre Stimme liebte und dem »am Rest« nicht viel gelegen war. Keinesfalls hätte sie von ihm je Beleidigungen zu hören bekommen, wie von diesem mexikanischen Hochstapler. Häufiger noch dachte sie an Frau von Kammer: ›die einzige Freundin, die ich gehabt habe‹. Die Nachricht von Tillys Tod bewegte sie tief und ehrlich, obwohl das junge Mädchen sich ihr gegenüber stets so zurückhaltend betragen hatte. ›Mein Patenkind! Ach, so mußte es enden! Ich bringe kein Glück – wahrscheinlich ist es schon verderblich, nach mir zu heißen.‹ Sie schrieb lange, wehmutsvolle Briefe an Marie-Luise. »Ich bin so alleine – so einsam …« war der Refrain. »Gott sei Dank, daß ich wenigstens etwas Geld zurücklege. Vielleicht machen wir mal zusammen einen Hutladen auf oder etwas Ähnliches.«

      Mehr und mehr verliebte sie sich in diese Vorstellung. Hatte sie keinen Ehrgeiz als Schauspielerin mehr? – Ach nein: wenn sie so alt war, daß man ihr die kleinste Liebesszene nicht mehr gönnte – wozu sich dann weiter plagen? – Das lange Warten hatte sie müde gemacht. Ihr Selbstvertrauen war zerstört. Sie fühlte sich diesem Hollywood nicht mehr gewachsen. Hollywood war grausam; es warf sie weg wie ein dekoratives, aber abgetragenes Kleidungsstück, für das niemand mehr Verwendung hat. Schließlich war sie beinahe froh, als sich eines Tages erwies: ihr Vertrag wurde nicht verlängert.

      So