Günther Dümler

Mords-Schuld


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sie eine Portion mit kochte, wenn es zum Beispiel Eintopf oder Suppe gab.

      Adele war mittlerweile im Wohnzimmer angekommen und sah, wie die Frau Hartmann keuchend, sich an der Wohnwand abstützend dastand. Der Verband, den ihr Adele Heller jeden Tag wechselte, hing lose vom rechten Unterschenkel herab. Wahrscheinlich hatte ihn die Patientin wieder einmal in einem Anflug von Ungeduld geöffnet, um den Heilungsfortschritt zu kontrollieren. Geduld gehörte wahrlich nicht zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften. So würde die Heilung des offenen Beins, mit dem sie seit mehreren Wochen zu tun hatte und das auch der Grund für die Betreuung durch die Gemeindeschwester war, ganz sicher nicht schneller voranschreiten, eher im Gegenteil. Adele Heller schnaufte nur einmal heftig durch, besann sich dann aber eines Besseren und verzichtete auf die berechtigte scharfe Belehrung der Uneinsichtigen. Wenn man tagtäglich mit teils schwierigen Patienten zu tun hatte, erwarb man zwangsläufig einen nicht zu unterschätzenden Erfahrungsschatz im Umgang mit ihnen und so wusste sie, dass Kritik hier nur das Gegenteil von dem bewirken würde, was sie erreichen wollte.

      „Ach Godd“, sagte sie stattdessen, die Ursache der Misere außen vor lassend „wie schaud denn dess aus? Der Verband iss ja kombledd aufganger. Hoffndlich iss ka Dregg neikommer, sonsd gibds schnell amal a gefährliche Infektion und dann kommer gar nix mehr ausschließn, bis zum Verlusd von dem Bein iss dann alles möglich. Und dess woll mer doch nedd, Frau Hartmann, gell.“

      Die Message, wie man heutzutage sagt, war hoffentlich angekommen, auch ohne persönliche Zurechtweisung.

      „Na, dann schau mer hald amal, woss mer machen könner. Kommers, ich helf ihner auf ihr Sofa, dann könner ser si hinleeng. Dann machi die Wunde sauber und leech ihner den neuer Verband an. Hoff mer, dasser dann morgn, wenni widder komm besser ghaldn hodd.“

      Bei den letzten Worten blickte sie der Patientin mit strenger Miene ins Gesicht und sie glaubte tatsächlich so etwas wie Einsicht erkennen zu können. Sie hatte also sehr wohl verstanden.

      „Woss glaubns denn, Schwester, wie lang dess nu dauerd, bis die Wundn endlich amal zuheild?“, fragte sie aber dennoch, nicht ohne einen erneuten Anflug von Ungeduld.

      „Ich konns nedd genau voraussagn, Frau Hartmann. Der Doggder Eichberger hodd ihner ja sicher ganz genau erglärd, wie sowoss zustand kommd und dass dess auf jedn Fall a langwieriche Gschichd iss. Wissens, mid ihrer Diabetes mellitus iss hald die Durchbluudung von ihrn Bein nimmer gar zu guud und der durch ihr Behinderung zwangsläufich vorhandne Bewegungsmangl duud sei Übriches. Helfn däds nadürlich scho, wenn der Zugger amal aweng niedriger wär. Sie müssn si hald ganz genau an ihr Diäd haldn, sonsd wärds bloß immer schlechder“.

      „No dess machi doch. Ich ess ja so gudd wäi gar nix. Und ganz verhungern konni ja schließli aa nedd, odder?“

      Ein Blick auf Frau Hartmanns Figur entlarvte diese Bemerkung sofort als reine Schutzbehauptung. Vom Hungern kam dieses deutlich sichtbare Übergewicht sicher nicht. Aber was sollte Adele Heller denn sagen, es war nur zu verständlich, dass die leidgeprüfte Frau Trost in den kulinarischen Freuden suchte, wenn sie anderweitig größtenteils von den angenehmen Seiten des Lebens ausgeschlossen war.

      „Du glaubsd ers nedd, woss dee mid ihrer bläidn Bauschdell für an Dreeg machen. Schau amal her, wäi meine Schuh ausschauer, voller Baatz. Lehm odder woss dess iss. Dee bringi wahrscheinli nie mehr gscheid sauber. Glabbsd ers naa. Und dess soll fei nu mindesdns bis in Sebdember nei dauern.“

      Die Marga schimpfte wie ein Rohrspatz, kaum dass sie die Türe geöffnet hatte und in den Hausflur getreten war. Peter kam gerade aus dem Wohnzimmer. Er hielt ein Buch in der Hand und war eigentlich im Begriff sich auf die Terrasse zurückzuziehen, um in Ruhe die Beine hochzulegen und seinen Kriminalroman weiter zu lesen. Das musste nun aber noch ein wenig warten, denn wenn die Marga derart in Fahrt war, konnte er sich schlechterdings nicht einfach abwenden ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, Teilnahme an ihrer Aufregung vorzutäuschen. Ihn selbst störten die Baumaßnahmen, die die Gemeindeverwaltung unter der Leitung des neuen Bürgermeisters Löblein in die Wege geleitet hatte, nicht annähernd so sehr wie seine aufgebrachte Ehefrau. Zum einen war ihm völlig klar, dass kein Weg an der Erneuerung der Kanalisation vorbei ging, wollte man nicht weiterhin mit gelegentlichen Verstopfungen und Überschwemmungen, insbesondere nach ergiebigen Regenfällen leben und zum anderen besaß er selbst keine derart empfindlichen Schuhe wie die wildledernen Edelschlappen seiner Angetrauten. Für ihn hatten Schuhe ausschließlich praktisch zu sein und vor allem mussten sie passen, der Rest war ihm völlig egal. So trug er auch immer das gleiche Paar, bis sie endgültig und im wahrsten Sinn des Wortes nicht mehr tragbar waren. Eine schlechte Angewohnheit, die seine Marga dagegen überhaupt nicht tragbar fand, die sie ihm aber auch in über 40 Ehejahren nicht abgewöhnen hatte können. Wenn sie einmal zur Reparatur mussten, die guten Schwarzen, dann kramte der Hausherr regelmäßig ein abgewetztes altes Paar aus seinem Fundus hervor und trug dieses in der Zwischenzeit. Mode hatte noch nie einen bevorzugten Platz im Leben des Peter Kleinlein eingenommen. Seit seinem Ruhestand war der Begriff gar zu einem absoluten Fremdwort mutiert, zu einem, das er lediglich vom Hörensagen kannte. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass ihm auf Anhieb die richtigen Worte fehlten, um die Marga wieder zu beruhigen.

      „Woss sei muss, muss sei. Da kommer nix machen. Wenn der Kanal aufgrabn werd, dann bleibds nedd aus, dass a boar Unannehmlichkeidn gibd. Vielleichd konn mers ja aweng abwaschn, deine Luxustreter. Etz im Sommer droggners doch ganz schnell widder.“

      Es gibt in jeder Lage passende und unpassende Worte. Und dann gibt es welche, die nicht nur unpassend, sondern geradezu provokativ sind, wie er umgehend an einer empörten Retourkutsche erkennen musste.

      „Dir machd dess freilich alles nix aus. Dess iss mir scho glar. Seid dem Corona hasd du dich ja richdichgehend hänger lassn und machsd nix anders, als bloß nu derhamm rumzuhoggn und deine blödn Griminalromane zu lesen. Weiderbildung wahrscheinlich. Ich bin ner bloß froh, dass bei uns etz scho über a Jahr nix Schlimmes mer bassierd iss, in woss du dich eimischn hädsd könner und hoffndlich bleibds aa derbei.“

      Peter zog es vor nicht zu antworten. Was hätte er auch sagen sollen. Im Grunde stimmte es ja, was seine Frau ihm vorwarf. Viel zu bequem, ja richtiggehend faul war er geworden. Nur die Hoffnung auf eine Zeit ohne kriminelle Vorfälle, in die er sich gegebenenfalls hätte einmischen können, die teilte er ganz und gar nicht mit ihr. Eine kleine oder gerne auch eine größere Abwechslung von der Dauerlangeweile, die sich seit den monatelangen Lockdowns eingeschlichen hatte und die danach einfach nicht mehr verschwinden wollte, wäre ihm durchaus willkommen gewesen. Aber das durfte er nur denken, keinesfalls laut aussprechen, ohne gleich eine gefährliche Störung des häuslichen Friedens zu riskieren. Die Marga war schon immer seinen Einmischungen in die diversen Mordfälle der vergangen Jahre ablehnend gegenüber gestanden, hauptsächlich aus Sorge, dass ihm Schlimmes zustoßen könnte. Nach ihrer Ansicht, die übrigens von allen vernünftigen Menschen geteilt wird, wie sie ihm oft genug erklärt hatte, ist die Aufklärung von Verbrechen jeglicher Art eine ausschließliche Aufgabe der Polizei. Amateure und Hobbydetektive, wie ihr Mann, hätten sich gefälligst heraus zu halten und seine Tätersuche hatte sich allenfalls auf das Lesen von Romanen oder Fernsehkrimis zu beschränken. Echte Ermittlungen hatte man den Fachleuten zu überlassen. Auch wenn sie zugeben musste, dass im Fall von Hauptkommissar Schindler der Begriff Fachmann durchaus etwas wohlwollend gewählt schien.

      Peter zog es vor, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen, da er ohnehin nichts dabei gewinnen konnte. Vielmehr zog er sich endgültig auf die Terrasse zurück. Zuvor fragte er in der Hoffnung, das heikle Thema damit zu beenden, so beiläufig wie nur möglich die Marga:

      „Woss hosd nern besorgd für heid Middooch zum Essn?“

      „Du wersd ers derwardn könner. Etz mussi erschd amal die ganze War‘ ausbaggn und dann fangi scho zum Kochn an. Schinknnudln gibds, für mehr is ja etz gar ka Zeid mehr. Nedd jeder hodds so bequem wie du.“

      Da in nächster Zeit kaum mit einem Ende der Verstimmung gerechnet werden konnte, verzichtete Peter auf weitere Erkundigungen und wandte sich einem weiteren Kapitel von „Der Henker vom Hexenwald“ zu.