Günther Dümler

Mords-Schuld


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      „Haben sie denn schon das Neueste gehört?“ Oder haben sie keine Zeit für solche Dinge?“

      Da irrte die Dame. Wenn es interessante Neuigkeiten gab, dann spielte Zeit nur eine untergeordnete Rolle.

      „Woss gibds denn so Indessandes. Könners ruhich weiderredn. Ich konn zuhörn und arbeidn zur selben Zeid.“

      „Also, zurzeit sind doch diese Grabungsarbeiten wegen der Erweiterung der Kanalisation in vollem Gang. Da hat es vorhin einen riesigen Menschenauflauf gegeben, gleich vorne bei dem so genannten Schwedengraben, gleich bei …“

      „Ja, weider, ich wass scho wo dess iss. Ich bin schließlich in Rödnbach geborn. Ich hobb scho im Schwedngrabn gschbilld, da homm sie noch nedd amal gwussd, dass Rödnbach überhaubds gibd.“

      „Ja, also wegen der vielen Leute, da musste ich ja quasi einen Umweg machen und darum hat es mich natürlich interessiert, was es da zu sehen gab. Zuerst hatte ich ja an einen Unfall gedacht, aber was soll ich ihnen sagen?“

      „Ja, woss denn?“

      „Die Arbeiter sind auf eine Menge, offenbar sehr alter Metallgegenstände gestoßen. Der Bürgermeister war auch schon da und ich habe zufällig im Vorbeigehen gehört, wie er sagte, dass die Fundgegenstände wohl hunderte Jahre alt wären, vielleicht sogar so alt wie der Ort selbst.“

      An ein zufälliges Vorbeigehen glaubte Gisela nicht einen Augenblick. Die Dame war bekanntermaßen einem Plausch nicht abgeneigt, um es sehr vorsichtig und milde auszudrücken. Sie konnte sich gut denken, dass die sich deshalb gerne ganz nach vorne, in die erste Reihe der Schaulustigen drängen ließ. Leider konnte die Gisela im Moment nicht einfach Mal schnell das Geschäft schließen und so war sie auf die dürftigen Informationen angewiesen, die sie von ihren Kunden bekommen würde. Deshalb bohrte sie auch noch einmal nach.

      „Uralt, dess iss abber a dehnbarer Begriff. Es konn ja aa durchaus sei, dass am End vom Griech jemand sei Daaflsilber oder andere Wertsachn im Gardn vergrabn hodd, damids die Ami nedd finden, wies seinerzeid mid ihre Banzer ins Dorf eigrolld sinn. Woss wass mer denn? Dess homm damals an Haufn Leit‘ gmachd. Dee Ami homm doch alle Häuser durchsuchd, obs nedd irgnd an glann Lausboum findn, den die Nazi nu schnell in a Uniform gschdeggd homm, dasser den Einmarsch von die Amerikaner aufhaldn soll.“

      „Mei Großvadder zum Beischbill“, fuhr sie fort, „der war im erschdn Weldgriech bei die Ulanen, der hodd damals nu sein Säbl derhamm ghabd. So als Andenkn hald an sei Zeid beim Königlich Bayrischn Schwerreiterregimend. Den hodder heilich ghaldn. Mei Vadder hodd uns immer erzähld, dass sie als Kinder dess werdvolle Ding nedd amal homm anfassn derfn. Den hodd er dann aa vergrabn, wall, mer hodd ja kanne Waffn derhamm hobn derfn und wer wass, woss dee Ami mid ihn gmachd häddn, wenns den bei uns im Haus gfundn häddn. Aufd Letzd häddns den aldn Moh weecher Widerstand nu derschossn.“

      Die Kundin war nicht sehr beeindruckt von Giselas Theorie und winkte sofort ab.

      „Nein, die haben dort anscheinend eher Münzen und Schmuck gefunden, wenn ich es richtig mitbekommen habe. Aber das wird man ja bald genauer wissen. Die Presse war vorhin auch schon da und die erfahren das alles ja aus erster Hand. Sie werden sehen, morgen steht es bestimmt schon in der Zeitung.“

      Da war sich auch Gisela auch ganz sicher. Da sie aber als führende Quelle für Neuigkeiten und Gerüchte aller Art gilt, war dies kein allzu großer Trost für sie. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, war einer ihrer Lieblingssprüche. An der Nachrichtenbörse musste man die erste sein und diesbezüglich hatte sie einen Ruf zu verlieren. Der Verkauf von Brat- und Leberwurst rückte schlagartig in den Hintergrund. Unsichtbare, jedoch sehr feinfühlige Antennen fuhren aus, um ab sofort jeden interessanten Hinweis aufzufangen und auf Verwertbarkeit zu filtern. Die Verkaufsgespräche würden heute selbstverständlich allesamt um dieses Ereignis kreisen.

      Der Mann in der hellen Leinenhose und dem schwarzen Seidenhemd, dessen oberste drei Knöpfe offen waren und einen ungehinderten Blick auf sein keck hervorlugendes Brusthaar freigaben, schaute sich noch einmal vorsichtig nach allen Seiten um. Die matt schimmernde Goldkette war viel zu massiv und breit, als dass sie echt sein konnte. Andernfalls wäre sie auch viel zu teuer gewesen, als dass man sie dem geckenhaften, jedoch bei näherem Hinsehen billigen Auftreten des Mannes zutrauen würde. „Gwolld und nedd könnd“, würde der Franke treffenderweise urteilen. Niemand schien ihm besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zufrieden grinste er und verschwand in dem unscheinbaren Hauseingang, doch erst nachdem er die stylische Sonnenbrille mit den Ebenholzapplikationen auf der Einfassung und dem BVLGARI-Schriftzug auf den Bügeln abgenommen und nach oben in sein schütteres Haar geschoben hatte. Hier brauchte er sie nicht. Da wo er hinging, schien keine Sonne.

      Er ging mit trippelnden Schritten die Treppe nach unten und blieb vor einer massiven Holztür stehen. Schwungvoll klopfte er dreimal an. Dann noch einmal. Es schien sich um ein Erkennungszeichen zu handeln, denn kurz darauf wurde zuerst die Abdeckklappe des Türspions zur Seite geschoben, dann hörte man einen Riegel zurückfahren und von innen wurde der Schlüssel umgedreht. Eine Dame ungewissen Alters öffnete. Die reichlich aufgetragene Schminke machte es fast unmöglich zu erkennen, ob sie lediglich einen ausgeprägten Hang zur Malerei hatte, insbesondere zur Impastotechnik, bei der dicke Farbschichten mittels Spatel aufgetragen werden oder ob sie eher zur Kaschierung tiefer Furchen im Antlitz der verblühten Schönheit dienten. Verräterische Spuren, die ein Leben in fortgesetzt intensiver Lichteinwirkung hinterlassen hatte, Rotlichteinwirkung wohl gemerkt.

      „Bist spät dran, aber komm rein. Sind schon alle da“, versuchte sie ihrer Stimme einen verführerischen Ton zu geben, was jedoch völlig misslang. Es klang eher nach einem von Alkohol und Rauch geprägten Krächzen als dass es sonderlich sexy geklungen hätte. Im Kampf gegen dieses in Schieflage geratene Säuseln hätte ein guter HNO-Arzt sicher eine dankbare Lebensaufgabe gefunden.

      Der Raum, den sie betraten, schien eine Art Büro zu sein. Ein alter Schreibtisch stand da, darauf eine Topfpflanze, die ähnlich dürr und vertrocknet zu sein schien wie die Empfangsdame. Ausgesprochener Lichtmangel war wohl auch hier die Ursache. Es gab weder einen Computer, noch einen anderen Hinweis auf die Art der Geschäfte, die hier abgewickelt wurden. In der linken Ecke hinter dem Tisch stand einer dieser überbreiten amerikanischen Kühlschränke mit eingebautem Eiswürfelbereiter, was in keiner Weise zur sonstigen Einrichtung passen wollte. An einer anderen Wand stand ein antikes Modell von einem Geldschrank, ein Safe von dem Typ, der wohl kaum ein modernes Schließsystem, dafür aber rundum bestimmt zentimeterdicke Stahlplatten aufwies. An einem Garderobenständer baumelte lediglich ein verbeulter Hut, sonst nichts. Wahrscheinlich hing er seit dem letzten Winter dort, denn es war Sommer und kaum ein Besucher wäre jetzt auf die abwegige Idee gekommen, mit Hut und Mantel oder dergleichen zu erscheinen.

      „Was zu trinken? Whisky, Bier?“, erkundigte sich die verblichene Schönheit wortkarg und ohne besondere Begeisterung. Der Mann schüttelte den Kopf.

      „Na dann. Hinein ins Vergnügen“.

      Sie öffnete eine weitere Tür, die tiefer ins Innere des seltsamen Etablissements führte.

      Drinnen war es eher rauchig und düster. Licht spendete nur eine einzige Lampe, die zudem sehr tief über dem Tisch hing. Die Helligkeit, die der kreisrunde, reflektierende Lampenschirm spendete, reichte gerade so aus um eine Runde von fünf Herren zu beleuchten. Sie waren ähnlich auffällig gekleidet wie der Neuankömmling, zumindest was die protzigen Schmuckstücke, die Ringe an den Fingern und Ohrläppchen angeht, sowie Halsketten, mit denen man gut und gerne einen Kleinwagen hätte abschleppen können. Einer der Männer trug am Hals ein auffälliges Tattoo, das wohl eine mythologische Schlange darstellen sollte, wie man sie von Darstellungen auf chinesischen Vasen kannte. Außerdem waren ein paar asiatische Schriftzeichen eingestochen, deren Bedeutung er wohl selbst nicht kannte. Vor ihnen lagen beachtliche Bündel von Geldscheinen unterschiedlicher Werteinheiten. Keiner hob den Blick, als der Neue eintrat. Sie wollten nicht in ihrer Konzentration gestört und womöglich zu einem kostspieligen Fehler verleitet werden.

      Nach über zwei Stunden trat der Mann wieder hinaus ins gleißende Tageslicht.