Günther Dümler

Mords-Schuld


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die nun wieder auf ihrem angestammten Platz thronte. Ihr heller Schein hatte sich mittlerweile in ein dunkleres, nahezu goldenes Gelb verwandelt, das seine Gesichtsfarbe deutlich gesünder erscheinen ließ, als sie es tatsächlich war. Ohne diese Wirkung wäre schnell klar geworden, dass das Gesicht des Mannes eine auffällig bleiche Färbung angenommen hatte. Selbst seine breite Goldkette leuchtete nicht mehr. Sie war komplett verschwunden.

      Er blies die Luft aus den Backen, schüttelte zuerst den Kopf, dann den ganzen Körper, wie ein Hund, der im kalten Fluss gebadet hatte und stapfte los. Bis zum Bahnhof waren es gut 20 Minuten zu Fuß. Der nächste Zug ging aber schon in 16 Minuten. Das würde nicht mehr reichen und nach einem scharfen Trab war ihm im Moment ganz sicher nicht zumute. Das bedeutete, er hatte mehr Zeit als angenommen, denn es war Samstag und da fuhren die S-Bahnen nur alle 40 Minuten, so blieb ihm fast eine ganze Stunde. Eigentlich genug, um unterwegs noch einen zu trinken. Er wandte sich nach rechts, heraus aus der Fußgängerzone und weiter in Richtung der Stadtmauer. Sein Ziel war das Rotlichtviertel. In dessen unmittelbarer Umgebung gab es einige einschlägigen Lokale, in die es den normalen, gutbürgerlichen Nürnberger nicht leicht verschlagen würde, es sei denn er wäre auf ein Abenteuer aus.

      Robert Hartmann war noch nie einem kleinen Abenteuer abgeneigt, ganz im Gegenteil, ein spießbürgerliches Dasein mit Familie, Frau und Kindern, war ihm schon von jeher eine grauenvolle Vorstellung. Als er die Marion geheiratet hatte, da war sie noch eine echte Knallerfrau, extrem sportlich und das nicht nur auf der Tartanbahn. Auch sexuell war sie damals geradezu auf der Jagd nach neuen Rekorden. Das war genau sein Ding. Sie hatten sich somit prächtig verstanden, anfangs. Doch dann kam der vermaledeite Unfall und mit all dem war von heute auf morgen Schluss. Hatte er damals noch stolz behauptet, die Marion wäre das ideale Model für die Titelseite des Playboy, so kam ihm in diesem Zusammenhang nun bestenfalls die Apothekenrundschau in den Sinn. Dorthin würde die passen. Da könnte sie ellenlang über ihr unverdientes Pech, ihre unverdienten Leiden lamentieren und bei den Weicheiern quer durch die Republik mit ihrem Gejammer um Mitleid betteln. Er jedoch hatte weiterhin seine Bedürfnisse, sich schnell anderweitig Ersatz gesucht und in diversen Liebschaften, aber auch bei käuflichen Damen gefunden, was ihm in den eigenen vier Wänden versagt blieb.

      Auch im Moment kam ihm ganz automatisch der Gedanke, dass er ohne Probleme auch einen weiteren Zug ausfallen lassen und noch einen Abstecher hinter die Mauer machen könnte, wie man in der Stadt den einschlägigen Bezirk nennt, gleich hinter der massiven Sandsteinmauer, die im Mittelalter zum Schutz vor feindlichen Eroberungen errichtet wurde. Ihn würde man gerne einlassen, er hatte schließlich alles andere als feindselige Angriffe im Sinn, ganz im Gegenteil, der Eroberung, die ihm vorschwebte, konnte man mit Geld den Weg ebnen. Was er aber nicht bedacht hatte, war die bedauernswerte Tatsache, dass er nicht mehr genug Geld in der Tasche hatte, denn das Glücksspiel und um nichts anderes hatte es sich bei seiner vorherigen Station gehandelt, hatte ihn all seiner Barschaft beraubt.

      Das wurde ihm aber erst dann schmerzhaft bewusst, als es ans Zahlen ging und noch einmal viel intensiver, als ihm der eilig herbeigerufene Beschützer seiner Geschäftspartnerin ein oder zwei heftige Schläge mit einem harten Gegenstand verpasste, ihn am Kragen packte und ihn mitsamt seiner hellen Leinenhose auf die Gasse beförderte. Wobei die schöne Hose hinter ihm her flatterte wie ein zerfleddertes Fähnchen bevor sie, genau wie ihr unglücklicher Besitzer, in der Gosse landete, beide begleitet von einer unmissverständlichen Androhung härterer Maßnahmen, sollte er sich je wieder blicken lassen.

      Dreckig, mit einem schmerzverzerrten Gesicht und einer Mordswut im Bauch machte er sich widerwillig auf den Heimweg.

      Mittlerweile war die Sonne hinter den roten Ziegeldächern der Röthenbacher Siedlung verschwunden, die Dämmerung brach herein und die bunten Farben, die der herrliche Sommertag hervorgezaubert hatte, mussten den dumpfen Tönen der Nacht weichen. Die hohen Bäume gegenüber waren bald nur noch als dunkle Schatten auszumachen. Nur die vereinzelten weißen Wölkchen über dem westlichen Horizont wurden noch von der untergehenden Sonne angestrahlt und leuchteten für einige Minuten weiterhin in einem wunderbaren Gemisch aus gelben und rötlichen Tönen.

      Eine malerische Stimmung, für die es sich lohnte noch ein wenig aus dem Fenster zu sehen, bevor man endgültig die Jalousien herunterfahren und den Fernseher anmachen würde. Im ersten Stock der Hausnummer 32 wurde der Vorhang geringfügig zur Seite geschoben und eine schemenhafte Gestalt baute sich hinter dem so entstandenen Spalt auf. Der Mann schien etwas in der Hand zu halten. Jetzt hob er beide Arme und hielt den Gegenstand, den man, wäre es noch etwas heller gewesen, unschwer als Feldstecher hätte identifizieren können, vor die Augen. Offenbar galt sein Interesse nicht dem Farbenspiel der untergehenden Sonne. Vielmehr spähte er auf die gegenüber liegende Seite der Straße, auf ein bestimmtes Fenster, ebenfalls im ersten Stock. Der Raum, der dahinter lag war ebenso wie der des Beobachters dunkel, weshalb er bald aufgab und stattdessen die Gärten der Nachbarschaft ausspähte, nur um die Zeit zu überbrücken, bis sie endlich das Licht anknipsen und seine ganz persönliche Peepshow eröffnen würde. Er erwartete vorerst nichts Spektakuläres zu sehen, es ging ihm nur darum, die lästige Wartezeit zu verkürzen. Eigentlich war ja bereits die Zeit gekommen, wo sein Opfer, er hätte natürlich niemals einen derart vulgären Begriff verwendet, sich in ihr Schlafzimmer zurückzog, sich ihrer Kleidung entledigte, um gleich darauf zum Duschen ins Badezimmer hinüber zu gehen. Eine äußerst praktische Angewohnheit, jedenfalls aus Sicht ihres Bewunderers. Das Badezimmerfenster bestand leider aus jenem geriffelten Glas, das die Sicht völlig verzerrte und ihm den Anblick ihres perfekten Körpers, den er so sehr bewunderte, verwehrte. Aber manchmal hatte er auch Glück und sie kam danach, noch immer unbekleidet, ins beleuchtete Schlafzimmer, was ihn für seine Mühe wenigstens einigermaßen entlohnte.

      Er war das, was man landläufig als Spanner bezeichnet, ein Begriff, den er natürlich völlig von sich weisen würde, jedenfalls soweit es ihn selbst betraf. Er sah sich lediglich als Bewunderer der Dame und wenn er nicht gut und gerne doppelt so alt wie dieses junge Ding gewesen wäre, dann hätte er ganz sicher seinen ganzen Mut zusammengenommen, sie angesprochen und sie auf einen Kaffee oder ein beliebiges anderes Getränk eingeladen. Aber aus den genannten Gründen wurde er dieser Mutprobe enthoben.

      Das Fenster gegenüber blieb noch immer dunkel. Auf der Straße war auch nichts los. Da, hinter dem Gartenzaun des Nachbarhauses schien sich etwas zu bewegen. Es war völlig windstill, also konnte die Bewegung der Zuckerhutfichte nur von einer Berührung herrühren. Aber wer oder was verbarg sich dort. Ein Tier? Die orange getigerte Katze der Kaszewskis vielleicht? Dieses Sauvieh, das nichts Besseres zu tun hatte, als regelmäßig sein Geschäft auf dem Rasen in seinem Vorgarten zu verrichten, der mittlerweile aussah als wäre er von den Blattern oder einer anderen Krankheit, die kreisrunde gelbe Flecken auf der Haut hinterließ, befallen.

      Er justierte sein Fernglas nach, stellte es auf die genaue Entfernung zu der betreffenden Stelle ein. Tatsächlich stand jemand hinter dem Zaun. Es war aber keine Katze, sondern eine Person, ein großgewachsener Mann, soweit er erkennen konnte. Er schien sich hinter dem Baum zu verstecken, aber wozu? Was hatte er zu verbergen? Ein winziges Flämmchen flackerte kurz auf und verlosch augenblicklich wieder, nur ein Glimmen war danach noch zu erkennen. Der Mann hatte sich anscheinend eine Zigarette angezündet. Auf was der wohl wartete? Ob es sich vielleicht um den jungen Mann handelte, den seine Angebetete schon des Öfteren mit nach oben genommen hatte und dessen Anwesenheit in der Folge jedes Mal zu einem Höhepunkt in der Erfolgsgeschichte seiner abendlichen Beobachtungen geführt hatte? Und vermutlich nicht nur bei ihm. Aber warum klingelte er dann nicht einfach? Vielleicht wollte er noch schnell eine Zigarette rauchen, bevor er zu seiner Freundin ging. Möglicherweise gehörte sie ja zu denen, die keinen Rauch in ihrer Wohnung dulden.

      Als sich der Vorgang bereits zum vierten oder fünften Mal wiederholt hatte und der Fremde einen Stummel nach dem anderen auf dem Boden ausgetreten hatte, verwarf der heimliche Beobachter seine Theorie mit dem wartenden Freund. Aber was wollte der Mann dann? Es verging eine weitere Viertelstunde und dann noch eine. Das Licht gegenüber war noch immer nicht angegangen und der Spanner wollte für heute schon aufgeben und sich vor die Glotze setzen, ein Bier aufmachen und ersatzweise einen Porno einlegen, als es plötzlich ein Geräusch gab, das ihn aufhorchen ließ und ihn veranlasste,