Nadja Christin

Natascha


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hier sein. Sie sind schnell, kein Wunder, besteht doch die Hälfte der Jungs aus Vampiren.

      »Verdammt«, flucht Nicki, »wir müssen weg hier, Josh.«

      »Ja, ja. Ich weiß.« Meine Stimme klingt, als stecke sie noch im Feuer fest, als habe sie es nicht mit mir hinausgeschafft.

      »Ich nehme sie, du musst alleine laufen.«

      Seine Worte sind noch nicht ganz in mein Gehirn eingedrungen, da sehe ich bereits, wie er seine Arme unter Nataschas verbrannten Körper schiebt, sie vorsichtig hochhebt und mit ihr davonrennt.

      Mühsam rappele ich mich hoch, stolpere ihnen hinterher. Mehrmals falle ich hin, krieche, krabbele. Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr.

      »Josh!«, höre ich Nicki rufen, »komm jetzt.«

      Sein Befehlston treibt meinen geschundenen Körper weiter. Ich stemme mich in die Höhe, strauchele mehr, als ich laufe. Schaffe es dennoch, das Feuer hinter mir zu lassen und den Anschluss an die beiden nicht zu verlieren.

      Irgendwann hält Nicki an, wirft sich mit seiner kostbaren Fracht gegen eine Hauswand, lässt sich an ihr hinunter gleiten, bis er auf dem Boden sitzt.

      Natascha auf seinen Beinen, in seinen Armen, für mich ein schier unerträglicher Anblick.

      Schwer lasse ich mich neben ihn fallen, greife nach ihr.

      »Gib sie mir«, krächze ich, »deine MP bohrt sich in ihren Rücken.«

      Aus irgendeinem Grund hat Nicki seine MP-5 mitgebracht. Diese kleine Maschinenpistole, die seit Kurzem seine beste Freundin ist.

      Er zögert, will mir Natascha nicht überlassen.

      Ich fasse nach ihr, ziehe sie entschlossen von seinem Schoss in meine Arme.

      Wie ein Stück Fleisch lehnt sie an meinen Oberkörper, ich rücke sie ein wenig herum, bette ihren Kopf in meiner Armbeuge. Beinahe ihre gesamte Haut ist verkohlt, aber unter dem Gestank, kann ich immer noch Nataschas süßen Duft riechen. Ihr Geruch weht zu mir empor, hüllt mich ein, umschmeichelt mich und lässt mein Blut kochen.

      »Was machen wir jetzt?«, fragt Nicki neben mir und reißt mich aus meinen Gedanken.

      Ich sehe ihn an, er zuckt erschrocken zurück.

      Meine Gefühle, meine Absichten, stehen sie mir so deutlich ins Gesicht geschrieben?

      Ich halte mir das Handgelenk an die Zähne, ein kräftiger Biss und schon sprudelt mir mein Blut entgegen.

      Rasch lege ich Natascha die blutende Wunde an den Mund, drücke ihre verbrannten Lippen auseinander, zwinge ihr so meinen Lebenssaft auf.

      Sie trinkt nicht, aber das Blut erledigt dennoch seine Arbeit. Mit viel Glück ist sie noch nicht so tief in die Verdammnis eingetaucht, steht noch mit einem Fuß in dieser Welt.

      Ich kann nur das Beste hoffen … und abwarten.

      Plötzlich höre ich einen gurgelnden Schrei, Natascha bewegt sich leicht, ihre Lippen legen sich um mein Gelenk. Ich fühle, wie sie gierig ein paar Schlucke in sich einsaugt. Erneut ein hohes Kreischen von ihr, sie kneift die Lider zu, ganz fest.

      »Das glaube ich ja nicht«, ich sehe Nicki schlucken.

      Natascha reißt die Augen auf, blickt sich um.

      »Ich auch nicht …«, murmelt sie und sieht ehrlich überrascht aus.

      In ihren Pupillen glüht kein Feuer und es fließt keine Lava mehr. Als haben die realen Flammen alles gelöscht. Ihre Iris ist schwarz, wie Teller, glanzlos, matt und starr.

      Voller Dunkelheit und Leere.

      Ich aber kann nicht anders und drücke sie an mich, atme ihren köstlichen Duft ein. Meine Umarmung gleicht einem Ertrinkenden und so fühle ich mich auch.

      Nicki wirft ebenso seine Arme um unsere Körper.

      »Es ist schön, dass du wieder da bist«, haucht er.

      Ich spüre, wie Natascha sich bewegt, ihre Hände tasten umher.

      »Wer hat mich zurückgeholt?« Ihre Stimme ähnelt ihrer früheren in keiner Weise mehr.

      »Josh«, antwortet Nicki, »er hat dich aus dem Feuer geholt und dir sein Blut gegeben. Er hat dich gerettet.«

      Ich höre ein leises Seufzen, sie schmiegt sich enger an meinen toten, kalten Körper, ein Schauer jagt über meinen Rücken.

      In diesem Augenblick spüre ich, wie sehr ich sie liebe. Mehr als mein Dasein und alles, was mir heilig ist. Ich bin versucht, es zu sagen, jetzt in diesem Moment über die Lippen zu bringen. Ich will ihr meine Liebe gestehen, auch wenn sie es bereits lange ahnt, oder sogar weiß. Aber ich möchte unbedingt, dass sie es aus meinem Mund hört.

      Schon hole ich Luft, ignoriere das seltsame, metallische und kalte Gefühl an meinem Kinn. Ich möchte mich nur zu meiner Liebe bekennen.

      Aber soweit kommt es nicht mehr, weder in diesem, noch im nächsten Leben.

      »Du hast mich zurückgeholt, du … Bastard.«

      Nataschas Stimme vibriert, so viel Hass liegt in ihr. Ich bin kurz völlig erstaunt, dann höre ich einen scharfen Knall.

      Ich sehe, wie in Zeitlupe, Blut spritzen, Knochensplitter fliegen wie Schrapnellteile umher.

      Schlagartig ist meine gesamte rechte Seite in Dunkelheit gehüllt.

      Erst verspätet kommt der Schmerz, trifft mich wie ein Kanonenschlag.

      »Nein!«, schreit jemand, wahrscheinlich Nicki.

      »Ich war glücklich … und du Mistkerl hast mich zurückgeholt.«

      Sie kreischt, aber es dringt nicht mehr bis zu mir durch. Nur entfernt, wie durch einen Berg aus Watte, höre ich ihre vor Zorn spritzende Stimme und Nickis Gebrüll.

      Mit einer raschen Bewegung springt er auf und reißt Natascha aus meinen Armen. Ich rutsche langsam an der Hauswand entlang zu Boden, liege auf dem kühlen Asphalt.

      Lange werde ich meine Augen nicht mehr aufhalten können, ich bin so müde, unendlich erledigt, so tot.

      Ich möchte schlafen und niemals wieder aufwachen. Dennoch will ich einen letzten Blick in ihr zauberhaftes Gesicht werfen. Unter großen Anstrengungen hebe ich meinen Kopf, suche ihren Blick und nagele ihn förmlich fest.

      Nicki bemüht sich, sie zu bändigen, die Arme hinter ihrem Rücken verschränkt, versucht er sie festzuhalten. Sie sträubt sich, wehrt sich aus Leibeskräften. Als mein Blick sie trifft, hält sie inne, ihre Mimik fragend, so als wüsste sie nicht, was mit mir geschehen ist.

      Weiß sie das wirklich nicht? Oder ist sie nur eine verdammt gute Schauspielerin, frage ich mich durch den Nebel hindurch, der mittlerweile mein Gehirn erreicht hat.

      Eine schwarze Wand senkt sich langsam über mein Gesichtsfeld, ich versuche die Augen aufzuhalten, aber sie scheinen Tonnen zu wiegen, ich schaffe es einfach nicht.

      Ich höre Nicki und Natascha sprechen, kann aber keine genauen Worte verstehen, es ist mir auch einerlei. Es ist mir gleich, über was die beiden sich unterhalten. Mir ist plötzlich alles völlig egal, auch ob ich dies hier überleben werde.

      Ich liebe dich, Natascha.

      Habe ich die Worte ausgesprochen, oder nur gedacht?

      Ich weiß es nicht, meine Kraft reicht nicht aus, um diesen Satz zu wiederholen. So denke ich ihn bloß noch einmal, zweimal, immer öfter, immer schneller.

      Bis die Worte in die Dunkelheit eintauchen und mich mitnehmen, hinter sich her zerren. Bis nur noch Schwärze und sonst nichts mehr um mich herum ist. Nur Nataschas Augen, diese Leere, diese Dunkelheit.

      Trotz allem liebe ich sie noch …

      Dann kann ich nichts mehr denken.

      Dann … bin ich tot.

      *