Robert Mirco Tollkien

Die Geburt eines finsteren Universums


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fiel mir unglaublich schwer, geradeaus zu denken, bei diesem seltsamen Thema zu verharren, aber schließlich stellte ich folgende Doppelfrage: „Was für ein Wissen steckt denn in diesem schwarzen Stein und warum haben die Silici ausgerechnet dich ausgewählt als Objekt ihrer Begierde?“

      Meine Stimme klang irgendwie weit entfernt in meinen eigenen Ohren.

      Andreas verlangte es nach einem kleinen Spaziergang und frischer Luft. Schließlich, erklärte er, habe er den ganzen Tag vor Computermonitoren oder über seinen Unterlagen verbracht.

      Bewaffnet mit zwei neuen Halbliterflaschen Herforder Pils zogen wir durch die nächtlichen Straßen unterhalb der Sparrenburg, die dort oben von Scheinwerfern illuminiert auf dem Berge über der Stadt thronte.

      Obgleich die Gegend zu dieser späten Stunde weitestgehend verwaist war, schaute Andreas ständig den schattigen, zwielichtigen Bürgersteig hinauf und hinab, blickte in die Dunkelheit der am Straßenrand stehenden Fahrzeuge hinein, als wolle er sich hundertprozentig versichern, dass auch wirklich keine Seele uns zwei belauschen konnte. Das unangenehme Gefühl in meiner Magengegend wuchs.

      „Der Zylinder ist ein einzigartiges Speichermedium. Ich kann das Material, aus dem er besteht, bislang nur grob bestimmen und habe dazu auch noch keinerlei Mitteilungen von den Silici empfangen. Eines der Elemente, ist unbekannt. Vielleicht gab es das auf der Erde zu Urzeiten und ist durch irgendwelche dynamischen Prozesse verlorengegangen. Strahlung sendet der Zylinder nicht aus. Jedenfalls keine, die man mit einem Geigerzähler messen kann. Der Zylinder erhält sämtliches Wissen der Siliziumwesen. Das weiß ich sicher. Ist dir eigentlich klar, was das bedeutet?“, sprudelte er, ging schnell dabei und ließ mir selbstverständlich keine Zeit, auf seine Frage zu antworten. „Wenn ich diese gewaltige Bibliothek öffne, und dazu werde ich bald in der Lage sein, wird es kein Energieproblem mehr auf dieser Welt geben. Wir werden im absoluten Energieüberschuss leben. Und du weißt ja, dass eine Spezies, die im Energieüberschuss lebt, in ihrer Evolution auf höhere Stufen klettern wird. Mit unendlicher Energie werden wir natürlich auch das Welthungerproblem lösen und alle Wüstengebiete mit Wasser versorgen und somit urbar machen. Denn durch unendliche Mengen an Energie, wird auch das Entsalzen von Meerwasser zu einer winzig kleinen Kleinigkeit. Die Wüsten werden bewohnbar und ratzfatz gibt es kein Problem der überbevölkerten Städte und der Überbevölkerung im Allgemeinen mehr. Und dann die Technik ihrer Antriebe für die Raumfahrt! Überleg` mal, was das bedeutet! Endlich wird die Menschheit sich von ihrer Türschwelle entfernen können. Das Sonnensystem wird uns zu klein werden und wir können zu neuen Ufern aufbrechen. Und wer weiß, was für Wissen noch in dem Zylinder steckt! Ich bin aber auch überzeugt davon, dass wir nicht nur aus Sicht der Naturwissenschaften viel von den Silici werden lernen können. Bevor die Pyramidenkreatur kam, haben sie über hunderte von Millionen Jahren in Frieden und Eintracht gelebt. Ihr gesamtes Wissen steckt in diesem Zylinder! Also auch, wie sie es geschafft haben, über all die Zeit eine perfekte Gesellschaft zu bilden. Okay, ihr Leben basierte auf Silizium und nicht auf Kohlenstoff und Wasser und wahrscheinlich gingen ihnen Gefühle, so wie wir sie kennen, vollkommen ab. Aber warum sollte die Menschheit nicht auch in dieser Hinsicht von ihnen lernen können? Ja, sie werden uns gänzlich neue Wege aufzeigen, eine bessere Spezies Mensch zu werden. Durch sie werden wir ein völlig neues Miteinander lernen und der unbegrenzte Vorrat an Energie und dessen Folgen werden die meisten Kriege überflüssig werden lassen. Keine Kämpfe um Ressourcen wie Öl, Gas oder Wasser oder fruchtbares Land, mein Freund!“, jubelte er leise vor sich hin.

      Andreas ging so schnell und zappelte dabei derartig mit seinem Oberkörper herum, dass das Bier in seiner Flasche überschäumte.

      „Warum du?“, wiederholte ich mich.

      „Ich habe dir doch erzählt, dass meine Eltern mich früher für einen Autisten gehalten haben. Ich habe stundenlang mich nur mit mir selbst und meinen wissenschaftlichen Büchern befasst. Das Geld meiner Eltern und Geld im Allgemeinen, Kohle scheffeln, rücksichtsloser Kapitalismus, wie das die Familie Hillmann seit Generationen liebt, geht mir vollkommen am Arsch vorbei. Meine Einstellung ist es, seit ich denken kann, dass es mehr geben muss als den schnöden Mammon. Zudem, das weißt du auch, bin ich dem Fantastischen, so verrückt es auch klingen mag, immer offen. Ich halte niemanden für einen Spinner, nur weil er mir erzählt, er habe eine Begegnung der Dritten Art gehabt. Außerdem, das sagen alle meine ehemaligen Studenten, kann ich selbst die komplexesten, kompliziertesten Themen verständlich und ohne Schnörkel vermitteln. Deswegen haben sie mich ausgewählt. Ich soll das Wissen der Silici aufnehmen, übersetzen und in die Welt bringen.“

      Andreas nahm einen gewaltigen Schluck von seinem schäumenden Bier, wobei er seinen zerknitterten, roten Pullover kräftig mit Herforder besudelte.

      Heftige Gedanken schossen schlagartig in Lichtgeschwindigkeit durch die Windungen meines Gehirns.

       Wie ist das noch gewesen? In der Bibel! Moses wird auf einen Berg zu einem brennenden Busch gerufen, um von Gott persönlich das zu erfahren, was er dem Volke Israel in dessen Namen mitteilen soll. Er erhält durch Gott die Steintafel mit den Zehn Geboten. Der Engel Gabriel, ja, ich glaube, der muss es gewesen sein, teilt einem schlichten Mann namens Mohammed Gottes Wort mit, auf dass er es in die Welt bringe. Daraus ist dann der Koran entstanden.

       Kann es sein, dass es schlimmer ist, als du dachtest, Freund der Sonne!

      Der Stich, der sich nun in meinen Magen bohrte, ließ mich kräftig zusammenzucken, aber Andreas schien es gar nicht zu bemerken.

      „Du hältst dich für einen Propheten!“, kam es mir leise über die leicht zitternden Lippen.

      „Das hast du gesagt, mein Freund!“, antwortete Andreas. „Das hast du gesagt!“

       Hat Jesus nicht die gleichen Worte vor Pilatus gewählt, als dieser ihn fragte, ob er der Sohn Gottes sei! Fehlt nur noch die Verführung durch den Satan...

      „Wer ist dieses Pyramidenwesen?“, fragte ich ängstlich.

      „Ich weiß es nicht. Noch nicht! Aber ich werde es noch herausfinden, verlass dich drauf! Übrigens, du weißt ja, absolutes Stillschweigen! Du kannst mit Michael oder Sara drüber reden, weil ich denen genauso vertraue wie dir. Aber ansonsten: Kein Wort zu niemanden!“

      „Ist schon klar! Kein Problem! Kannst du mir diesen Zylinder mal zeigen in deinem Labor?“

      „Den wirst du sicherlich noch sehen. Aber im Moment möchte ich davon noch absehen. Er befindet sich in einer Art, sagen wir mal, in einer Art Quarantäne. Erst, wenn meine Forschungen fortgeschritten sind und ich mehr weiß, werdet ihr drei die ersten sein, die ihn in natura bewundern dürfen. Aber hier, schon mal ein kleiner Vorgeschmack.“

      Er zog das Iphone aus den Taschen seiner knitterigen, schwarzen Jeans, wischte mit dem Zeigefinger, während er das Bier weiterhin in der Hand behielt, kurz auf dem Display herum, um mir das Gerät darauf im Gehen unter die Nase zuhalten. Ich stoppte meine Schritte und griff nach dem Smartphone, worauf auch Andreas Halt machte. Der Widerhall unsere Schritte von den Fassaden der Stadthäuser verstummte und die Geräusche der Nacht drangen an meine Ohren; der Klang eines entfernten Automobils, das Pfeifen einer Lokomotive in der Distanz, hinter einem der Fenster über uns lief leise ein Fernseher.

      Auf dem Display sah ich einen langen, rundlichen Gegenstand, der mich an einen Bohrkern erinnerte, wie man sie in der Geologie für wissenschaftliche Zwecke verwendete. Er war abgesehen von einigen silbernen Einsprengseln gänzlich schwarz. Dieses Ding stellte nun jenes Teil dar, wegen dem Hillmann eine Reise ins ferne Argentinien unternommen hatte, und das er seitdem für den Rettungsanker der Menschheit hielt. Wenn mir ein solches Teil auf der Straße liegend unter die Augen gekommen wäre, hätte ich achtlos meinen Weg fortgesetzt, ohne es eines genaueren Blickes zu würdigen.

      Ich zuckte die Schultern, wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.

      Wir gingen weiter und erreichten den kleinen Ortskern von Bethel und aus einer der Gaststätten fiel ein warmes Licht auf die halbdunkle Straße. Dieser optische Effekt glich einem kleinen, gelben See in einer Welt aus grauen, schwarzen Schatten.

      „Wie sieht es aus? Soll ich dich zur Feier des Tages auf einen