Robert Mirco Tollkien

Die Geburt eines finsteren Universums


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dem Finger am Rand des Glases lauwarmen Pfefferminztees herum.

       An Andreas ist ein guter Science-Fiction–Autor verloren gegangen. Daraus könnte er eine gute Story machen und durch ein entsprechendes Buch wirklich Kohle machen. Aber, okay. Andreas braucht wohl kaum ein Buch, um Geld zu machen.

      „Zeta Reticuli! Das Doppelsternensystem heißt Zeta Reticuli!“, sprach er und seine Worte ließen sich mich wie einen Verbrecher fühlen, weil ich mir den Namen Zeta Reticuli nicht vollständig hatte merken können. „Deine Frage habe ich mir natürlich auch schon gestellt und streng nach den Naturgesetzen muss es eigentlich auch so sein. Aber dieses Netz mit seinem Transportmedium XY ist etwas gänzlich Neues. Vielleicht gibt es dort Abkürzungen, so dass die Botschaft in nahe Echtzeit zu mir kommt. Das müssen meine Forschungen noch ergeben. Ich stehe ja gerade erst am Anfang.“

      „Und dieses Netz besteht aus winzig kleinen Teilchen, Strings oder wie die heißen, die Fäden bilden, die nur halb so dick wie ein Atomkern sind, dafür aber eine Länge von Milliarden Lichtjahren besitzen.“, brachte ich auf den Punkt, was Andreas mir neulich erzählt hatte.

      „So ist es, mein Freund! Natürlich habe ich dafür keine Beweise, die ich in einen wissenschaftlichen Aufsatz packen könnte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dem so ist.“

      „Was meinst du, wer es ist, der dich ruft?“

      „Ich hab dir doch erzählt, dass diese Siliziumwesen wahrscheinlich in der Lage gewesen sind, mit ihren Raumschiffen benachbarte Sternensysteme anzusteuern. Ich gehe fest davon aus, dass eine kleine Gruppe von ihnen den Overkill durch dieses Pyramidenmonstrum überlebt hat. Sie haben sich nicht vom Hass und Neid infizieren lassen, sondern haben sich aufgemacht, ihre Spezies an einem anderen Ort zu bewahren. Ich gehe fest davon aus, dass es die Nachfahren jener Siliziumwesen sind, die einst vor Milliarden Jahren zur Zeit des Präkambriums eine wundervolle Hochkultur der Wissenschaft auf der Jungerde errichtet hatten. Sie wollen mir, aus welchen Gründen auch immer, etwas mitteilen und ich werde ganz sicher herausbekommen, was ihre Botschaft ist. Herrje! Ich bin so aufgeregt, mein Bester! So unglaublich aufgeregt!“

      Andreas griff nach seiner Tulpe mit dem schäumenden Bier und nahm einen gewaltigen Schluck. Er wirkte absolut mit sich und dieser Welt im Reinen.

      Kapitel 10

      Wieder ging etwas Zeit ins Land und bis zum Frühjahr 2011 sollte ich aus Andreas Mund nichts mehr über jene Wesen aus Silizium, Zeta Reticuli oder das kosmische Netz und Transportmedium XY hören. Das lag allerdings weniger daran, dass mein Freund sein Interesse an dieser Sache verloren hätte. Eher das Gegenteil war der Fall. Weil er voll und ganz in seinem, ich musste es mittlerweile einfach so bezeichnen, Lebenstraum aufging, machte der gute, alte Hillmann sich äußerst rar.

      Das änderte sich an einem regnerischen Nachmittag kurz nach Ostern, als er mich anrief und fragte, ob ich nicht Lust verspüre, auf ein paar Bierchen bei ihm daheim aufzuschlagen und ich könne, sofern es mir beliebe, gerne Michael mitbringen.

      Seine Stimme klang fröhlich, so dass es keinen Grund zur Beunruhigung gab.

      Michael weilte im Urlaub und so machte ich mich alleine auf den Weg, nachdem Sara mir versichert hatte, dass es kein Problem sei, wenn sie diesen Abend alleine mit Marlene daheim verbrächte.

      Mit einem Lächeln auf dem Gesicht empfing Andreas meine Person an der Tür und führte mich in sein Wohnzimmer, das noch immer genauso aussah wie vor fast zehn Jahren.

      Sofort fielen mir die zahlreichen Kataloge diverser Spezialfirmen für Laborartikel auf, welche sich in dem gesamten Raum, ja in der gesamten Wohnung verteilten. Weiterhin lagen überall handschriftliche Notizen herum. Bei einem Blick auf all die zahllosen Zettel wurde von mir bemerkt, dass es sich hauptsächlich um Tabellen handelte, auf deren linker Seite lateinische Buchstaben und arabische Zahlen standen und rechts davon sehr seltsame, zumeist wellenförmige Zeichen.

      Ich forderte ihn freundlich auf, mir doch bitte das Chaos hier zu erklären; einer Bitte, der Andreas selbstverständlich umgehend nachkam. Andreas, der einen zerknitterten, grauen Trainingsanzug trug, griff nach einem Klemmbrett, das auf einem ganzen Berg frisch gewaschener, ungefalteter Wäsche lag. Ich musste grinsen. Denn so lagerte mein alter Freund seine Klamotten; zuerst in die Waschmaschine, dann ab auf die Leine, endlich in einer Ecke der Wohnung einfach auftürmen und bei Bedarf überstreifen.

      „Ich beherrsche die Sprache, in der die Botschaft von Zeta Reticuli verfasst ist. Die ich mit meinem gesamten Körper zu empfangen pflege.“, sprudelte er los. „Ich habe erste Übersetzungen bereits fertig, mein Freund! Fertig! Die ganzen Papiere, die du hier siehst, skizzieren förmlich meinen Weg hin zur Beherrschung dieser Sprache. Und hier auf dem Klemmbrett habe ich diesen ganzen Prozess noch einmal zusammengefasst. Zunächst dachte ich, bei dieser Sprache habe es sich um Worte aus einem Morsealphabet gehandelt. Aber das stimmt so nicht. Diese Sprache besteht aus einer Form von elektromagnetischen Wellen, wenn ich das mal so formulieren darf. Nur dass es da nicht nur Wellen gibt, sondern auch Linien, wenn ich das mal etwas visuell beschreiben darf. Hier siehst du sie.“

      Er zeigte mir ein Blatt, einen schlichten, weißen Bogen Bürokopierpapier, der mit blauer Tinte beschrieben war. Ich sah Wellen in diversen Größen und mit unterschiedlichen Scheitelpunkten, unterbrochen von kurzen und langen Strichen oder Punkten.

      Dann blätterte er weiter und nun fiel mein Fokus auf zweispaltige Tabellen, welche ebenfalls handschriftlich erstellt worden waren. Links befanden sich die bereits bekannten Wellen, Punkte und Striche, die sich immer in Kombination untereinander befanden, und rechts davon wurden ihnen lateinische Buchstaben sowie die arabischen Zahlen von Null bis Neun zugeordnet. Sogar die Umlaute hatte Andreas einzeln erfasst.

      „Trara! Ich präsentiere die Übersetzung des Alphabetes und der Zahlen der Silici. Und natürlich habe ich auch oder, um es genauer zu formulieren, bin ich noch dabei, ein Wörterbuch zu verfassen. Und ein Reader zur Grammatik darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Aber das ist zum größten Teil am PC geschehen. Hier schau mal!“

      Strammen Schrittes steuerte er auf einen seiner MACs zu, die überall in den bewohnten Teilen seiner vier Wände herumstanden und selbstverständlich miteinander vernetzt waren, und klemmte sich hinter die Bluetooth Tastatur auf dem Schreibtisch. Über den hochauflösenden Flachbildschirm zogen kurze Zeit später in weißer Schrift auf blauem Grunde Wörter, Zahlen, Wellen, Punkte und Linien, die im Halbdunkel dieses Raumes ein dumpfes Licht- und Schattenspiel auf unsere Gesichter warfen.

      Andreas musste von A bis Z bereits tausende von Wörtern zunächst in dieser angeblich fremden Sprache erstellt und dann übersetzt haben.

      „Meine Güte!“, entwich es mir in einer Mischung aus Anerkennung und Verwunderung. „Du hast in den paar Monaten das Alles auf die Beine gestellt. Wahnsinn! Der totale Wahnsinn!“

       Die Frage ist nur, wie definierst du hier das Wort Wahnsinn, mein Freund der Sonne! Andreas balanciert, wie er das auf den Linien der Gehwegplatten tut, über einen schmalen Grat!

      Ich führte die Flasche Herforder Pils an meinen Mund, um einen genüsslichen Schluck von dem kühlen Bier zu nehmen.

      „Och, das war eigentlich alles nur halb so wild, kein Problem. Ich habe ein Computerprogramm geschrieben, welches mich beim Erfassen der Wörter, dem Übersetzen und Erlernen der silicischen Grammatik unterstützt. Die Kombination aus menschlichem Gehirn und Computerprogramm funktioniert prima, wie du sehen kannst. Aber natürlich greife ich manchmal bei meiner Arbeit eben auch auf Papier und Füller zurück. Besonders zu Beginn einer neuen Aufgabe stehen Stift und Bogen. Das gibt mir irgendwie das Gefühl, den Silici, die hier mit mir kommunizieren, besonders nahe zu sein. Und zu guter Letzt habe ich es bei meinem Job an der Uni langsamer angehen lassen in letzter Zeit. Etwas sehr viel langsamer.“

      Hillmann lachte kurz auf. Es handelte sich um ein klares, herzliches Lachen voller Freude und Lebenslust.

       Du solltest ihm vorsichtig sagen, dass er vielleicht dabei ist, sich hier ein wenig in einer Sache zu verrennen und dass es an der Uni genügend junge Doktoranden und Promovierte