Robert Mirco Tollkien

Die Geburt eines finsteren Universums


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Phrase, ein Mensch muss sich seinen Ängsten stellen, um endlich frei zu sein. Die Pyramidenkreatur ist lediglich ein winzig kleiner Teil eines gigantischen Mosaiks. Es kann nicht alles einfach verlaufen im Leben. Man muss sich auch unbequemen Sachen stellen. Und genau das werde ich tun.“

      Er führte das mit Tabak gerollte Papierblättchen an den Mund und befeuchtete den Klebestreifen mit seiner Zunge.

       Rede mit ihm! Er ist dein Freund! Dein guter Freund! Rede jetzt mit ihm! Das ist schon extrem weit weg von einer soliden Spur, mein guter Freund der Nacht!

      „Nun ja. Aber das mit den Schwingungen und diesem großen Netz im Kosmos kommt schon leicht schräg daher.“, gab ich lediglich zu bedenken und schaute nach Marlene.

      Sie hockte am Rande der Decke und hatte sich die gesamte Riesentüte Haribos temporär angeeignet. Unter den strahlenden Blicken der schlanken, jungen Blondine nahm sie abwechselnd von den Weingummis und den Stapelchips. Wahrscheinlich würde die namenlose Frau heute Abend ihrem Freund mit Kindern und Familie in den Ohren liegen. Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, bevor mein Blick wieder zu Andreas wanderte.

      Der schaute ein wenig beleidigt drein unter seinen zotteligen, schwarzen Haaren. Seine braunen Augen schweiften einmal von links nach rechts und von rechts nach links. Er entzündete die Zigarette mit einem roten Plastikfeuerzeug, das er aus der Brusttasche seines schwarz–weiß gestreiften, zerknitterten Hemdes zog. Ich musste an das Trikot von Juventus Turin denken.

      „Das meinst du vielleicht.“, fing er an, nachdem er mehrmals beinahe gierig an der Selbstgedrehten gezogen hatte. „Du bist auch Geisteswissenschaftler und kein Naturwissenschaftler. Schau dir mal diese ganzen Theorien über Strings und Quanten an, die immer mehr und mehr Gewicht in der Welt der Wissenschaft bekommen. Nimm zum Beispiel die Viele Welten–Theorie, die absolut anerkannt ist. Oder die Theorie, die besagt, dass auf der Ebene des Allerkleinsten etwas nur stattfindet, wenn es auch einen Beobachter gibt. In den Welten der winzigen Teilchen, aus denen unsere Welt, du und ich, ja nun mal bestehen, gelten ganz andere Naturgesetze, als wir sie kennen. Zeit und Raum spielen keine Rolle. Nobelpreisträger stimmen diesen ganzen Theorien zu. Sie sind um einiges verrückter als meine Idee von einem großen, kosmischen Netzwerk. Auch wenn hier wahrscheinlich eines zum anderen kommt.“

      Von der Spitze der Javaanse Jongens fiel Asche auf seine verblichene, an den Knien zerrissene Blue Jeans hinab.

      Aus einem Blatt Papier, welches sie wohl aus dem Korb gezogen hatte, faltete die Blondine eine Schwalbe, wobei sie von Marlene mit großen Augen beobachtet wurde. Beim Betrachten dieses hochinteressanten Vorgangs vergaß mein Töchterchen selbstverständlich das Essen nicht; hier ein Weingummi oder Lakritz, dort Chips.

      „Andreas! Ich will hier keinesfalls deine wissenschaftlichen Kompetenzen in Frage stellen und ich weiß auch, dass es in der modernen Physik ziemlich abgedreht zugehen kann auf gewissen Gebieten. Es war überhaupt nicht negativ gemeint, dass deine Theorien abgedreht seien. Wohl jede neue wissenschaftliche Theorie ist am Anfang etwas abgedreht. Mir geht es hier einzig und allein um deine Gesundheit. Du weißt so gut wie nichts über diese Droge und ihre Auswirkungen. Steht da zum Beispiel irgendwas im Darknet oder allgemein im Internet zu, wie oft man die einnehmen soll in seinem Leben?“

      Andreas Antwort bestand aus einem langsamen Kopfschütteln.

      „Haben dir die Indios etwas dazu gesagt?“

      „Nein. Ich habe auch nicht danach gefragt.“, antwortete er leise und zog an seiner Zigarette.

      Ein Zitronenfalter flog knapp über den Rasen hinweg und auf ein nahes Beet voller Blumen in violetten, roten und gelben Farben zu. Nebenan warf die junge Frau im Sitzen die Schwalbe. Sie schwebte elegant und äußerst geradlinig durch die warme Luft, bis sie mit der Spitze voran an einen Baumstumpf schlug und auf dem Wurzelansatz darunter zu Boden stürzte. Während die schlanke Blondine aufsprang, um mit athletischen Schritten die Schwalbe zurückzuholen, spendete Marlene begeisterten Applaus, hüpfte auf und ab dabei.

      „Wir kennen uns jetzt über acht Jahre, Andreas. Tu mir und besonders dir einen Gefallen und lass die Finger von diesem unbekannten Zeug. Wenn du wirklich noch mal Lust auf einen psychedelischen Abstecher haben solltest, kriege ich es sicherlich hin, dass ich mal einen Abend frei von Kind und besserer Hälfte bin. Dann können wir mit Michael die alten Zeiten aufleben lassen und gehen auf einen Pilze–Trip. Jetzt im Sommer kann doch die Zeit dafür kaum besser sein. Ich muss einräumen, dass ich da sogar mal wieder richtig Lust darauf hätte. Der letzte Rausch in dieser Richtung liegt ja nun auch schon sechs Jahre zurück. Herrje! Ich habe sogar seit über einem Jahr nicht mal mehr an einer Tüte gezogen.“, unterbreitete ich ein Angebot.

      Andreas warf die Kippe seiner Selbstgedrehten in die winzige Pfütze schalen Bieres, die sich noch am Boden der längst getrunkenen, braunen Halbliterflasche Herforder befand. Ein freundliches, warmes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht mit dem schwarzen Dreitagebart aus.

      „Das Angebot ist wirklich lieb und ich kann dir gar nicht oft genug sagen, wie lieb ich es von dir finde, dass du dir so viele Gedanken um mich machst. Ich glaube, wenn ich meinen Bruder und meine verstorbenen Eltern nehme, dann haben die sich alle drei zusammengerechnet nicht mal halb so viele Sorgen um mich gemacht, wie du das tust. Aber, mein lieber Freund, ich komme nicht umher, das Kijothee erneut zu konsumieren. Ich kann nicht anders! Mach dir bitte nicht zu viel Sorgen. Ich werde das ganz behutsam tun. Unter größter Vorsicht! Unter allergrößter Vorsicht!“, versicherte er eifrig.

      Ich sehnte mich nach einem Zug von einem guten Joint oder zumindest nach einem kalten Herforder Pils, aber meine Flasche gab ebenfalls nichts mehr her. So drehte ich das rundliche Glas zwischen meinen Handflächen hin und her, als ich leise, jedoch eindringlich fragte: „Warum kannst du nicht anders?“

      „Mein Lieber! Das kann ich dir sagen!“, lautete seine Antwort und vor Begeisterung wurde seine Stimme immer lauter und sein Lächeln verwandelte sich in ein Strahlen. „Weil ich fühle, dass in der Botschaft, die über diese Schwingungen zu mir drang und immer noch an mich herandringt, die Antwort auf alle Fragen liegt. Vielleicht ist es gar so etwas wie der berühmte Stein der Weisen. Es ist das Wissen, um endlich eine perfekte Welt zu erschaffen. Okay! Perfekt ist vielleicht ein wenig größenwahnsinnig. Nennen wir es vielleicht zunächst: Eine bessere Welt erschaffen.“

      Vor lauter Begeisterung hatte er im Verlauf seiner Erzählung seine rechte Hand auf mein linkes Knie gelegt. Mit breitem Lächeln musterte er mich und voller Erleichterung stellte ich fest, dass es in diesem Lächeln keinen Hauch des Wahnsinns zu finden gab.

      „Ohhh, nein!“, jammerte die Blondine gespielt los. „Jetzt hast du mein schönes Flugzeug kaputt gemacht. Da muss ich ganz furchtbar weinen. Wääähhh! Wääähhhh!“

      Marlene stand neben ihr unter dem Baum und hielt den zusammengeknüllten Papierflieger in ihrer kleinen Faust. Sie kreischte vor Begeisterung und purer Lebensfreude.

      Kapitel 9

      Zwei Wochen darauf, ich befand mich gerade dabei, zu Bett zu gehen, rief Andreas zur späten Stunde auf dem Mobiltelefon an.

      Seine Stimme klang freudig erregt und er wollte sich zügig mit mir treffen, am besten noch heute.

      Ich entgegnete, dass es kurz vor elf sei und wir verabredeten uns für den nächsten Tag um 18:00 Uhr in einem Mix aus Cafe und Kneipe in der Innenstadt.

      Nachdem überraschend rasch eine Parkmöglichkeit in der Nähe gefunden worden war, traf ich zwanzig Minuten vor der verabredeten Zeit dort ein.

      Ein Platz in der Nähe eines der Fenster mit Blick auf das geschäftliche Treiben jenseits davon tat es mir an, so dass sich entschlossen gesetzt und ein Pfefferminz–Tee geordert wurde.

      An diesem spartanisch eingerichteten, zwanglosen, gemütlichen Ort hatten schon zu Studienzeiten meine abendlichen Touren durch die Innenstadt mit dem einen oder anderen Weizen begonnen. Ich wusste nicht, wie lange diese Gaststätte schon existierte, aber wahrscheinlich hatten bereits die ersten alternativen Studenten der Universität Bielefeld zu Beginn der Siebzigerjahre ihre Biere hier