Robert Mirco Tollkien

Die Geburt eines finsteren Universums


Скачать книгу

die ganze Zeit einen freudigen Ausdruck auf dem Gesicht, den ich damit in Verbindung brachte, es hier mit einem Menschen zu tun zu haben, der nur äußerst selten in den Genuss einer geselligen Runde kam.

      Er erzählte uns, dass er aus einer norddeutschen Unternehmerfamilie stamme, die unter anderem in Klimatechnologie und Zulieferer des Volkswagen Konzerns investiere. Sein älterer Bruder sei mit Freuden bei dem großen, kapitalistischen Spielchen dabei und werde dem Firmengeflecht, das seinen Ursprung einst im Reederei-Geschäft gehabt habe, sicherlich eines Tages vorstehen. Für ihn persönlich käme das allerdings überhaupt nicht in Frage, da er durch und durch Wissenschaftler sei und ein Wissenschaftler tue eben forschen und nichts anderes wolle er tun. Im Großen und Ganzen besäße er nicht das tollste Verhältnis zu Bruder und Eltern, die eine Weile angenommen hätten, dass ihr jüngerer Sohn Autist sei, weil Andreas bereits als Kind schon endlose, einsame Stunden und Tage vor seinem Atari–Computer oder über wissenschaftlichen Büchern verbracht hätte.

      Das Physikstudium habe er in nur drei Jahren erfolgreich mit einem Einser-Diplom absolviert und im Alter von achtundzwanzig Jahren sei er zum Doktor der Naturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Kernphysik promoviert worden. Abschließende Bewertung: summa cum laude. Das Informatikstudium mache er mehr für sich selbst, könne sich aber auch hier eine Dissertation vorstellen.

      Es war ein wahrlich netter Abend, beziehungsweise eine sehr nette Nacht, zu deren Ende hin wir alle leicht oder weniger leicht einen in der Krone hatten.

      Andreas wurde nicht müde, zu beteuern, wie gut ihm die Zeit in der WG gefallen und dass er eine solch nette Runde längere Zeit nicht erlebt habe.

      Er lud Michael und mich zu einem Revanche-Abend bei sich daheim ein.

      Ich wurde ein wenig traurig und mitleidig, weil mir an Hand seiner eben getroffenen Aussagen und auch wegen der Erzählungen über seine Familie klar geworden war, dass es sich bei unserem Akademiker um einen sehr einsamen Menschen handelte; einen Außenseiter, den nur so durchgeknallte Personen wie Michael und ich akzeptierten, obgleich er gewaltige Intelligenz besaß und Mitten im Leben stand.

      Zwei Monate später erfolgte der Besuch bei ihm daheim.

      Andreas lebte in einem schönen, sanierten Altbau im Stadtteil Gadderbaum.

      Seine Wohnung, Eigentum und Geschenk seiner Eltern, wies einige Absonderlichkeiten auf. Sie besaß Küche, zwei Badezimmer und vier große Zimmer, von denen allerdings nur zwei Mobiliar enthielten. Eines war eine Mischung aus Schlaf- und Arbeitszimmer, das andere das Wohnzimmer, wobei auch hier reichlich Utensilien aus dem Berufsleben des Gastgebers herumlagen. Andreas besaß kein Bett, sondern nächtigte auf einer schlichten Matratze und im Bettzeug des FC St. Paulis. Er hatte weder Fernseher noch Stereoanlage, dafür aber mindestens vier PCs und zwei Notebooks, die allesamt aus dem Hause Apple stammten. Übervolle Bücherregale nahmen einen Großteil der Wände ein und dort, wo sie Platz ließen, hingen wissenschaftliche Skizzen an den Wänden. Zur Einrichtung gehörten auch zwei Schreibtische, die beide überquollen vor Notizen und Berechnungen.

      Das Komischste bekamen wir in der Küche zu sehen, wo lediglich ein großer Kühlschrank umherstand.

      Außer Sandwichs und kalten Ravioli aus der Dose verzehre der Wissenschaftler nichts weiter und wenn er tatsächlich Lust auf eine warme Mahlzeit verspüre, gehe er außerhalb essen, bevorzugt in der Gadderbaumer Grillstation oder bei dem Griechen im Herzen von Bethel.

      Zwei Räume enthielten nichts weiter als gähnende Leere und eine dünne Staubschicht bedeckte an diesen Orten den Parkettboden.

      Im Wohnzimmer nahmen wir auf Sesseln und Sofa Platz, die nicht zusammenpassten, und Andreas warf einen seiner Computer und indianische Musik an. Sie klang vollkommen anders als jene Töne, die man hier in Europa als native Klänge vertrieb; exotisch, aber durchaus interessant und angenehm zu vernehmen.

      „Vor drei Jahren habe ich eine Reise durch den Amazonas Regenwald gemacht.", fing Andreas zu erzählen an. „Ich bin mit einem Boot über den Amazonas tief in den Regenwald hineingefahren. Bei einem Stamm, einem ganz kleinen Volk, das so lebt wie eh und je, habe ich diese Musik zum ersten Mal gehört und ein Getränk getrunken, was die aus geheimen, pflanzlichen Zutaten gegoren haben. Mann, Mann, Mann. Das war vielleicht ein abgefahrener Trip."

      Michael forderte ihn auf, er solle uns doch die ganze Geschichte erzählen und so berichtete Andreas in aller Ausführlichkeit.

      Diese Semesterferien sollten nur mir gehören.

      Zuvor hatte ich meine Promotion mit einem sehr erfolgreichen Rigorosum abgeschlossen und war von der Universität zum 01. Oktober 1999 fest eingestellt worden. Und natürlich besaß ich durch meine Eltern genügend finanzielle Ressourcen, um mir eine achtwöchige Reise durch den südamerikanischen Regenwald leisten zu können. Es war ohnehin mehr ein zeitliches Problem als eine Frage des Geldes gewesen.

      Von Frankfurt am Main aus flog ich mit Lufthansa nach Sao Paulo, wo mich mein Weg zu einem kurzen Besuch bei einem meiner Cousins führte, der in der Megametropole für eine der Firmen meiner Eltern arbeitete. Von dort ging es weiter in die Niemeyer–Stadt Brasilia, ein am Reißbrett geplanter und durchdachter Ort, faszinierend zu entdecken. Hier hielt ich mich für drei Tage auf, bevor es über Manus weiter nach Santarem ging, den eigentlichen Ausgangspunkt meiner Reise. Dort traf ich Pedro, den Reiseleiter, der mich auf meiner Tour entlang des Amazonas begleiten sollte, und Mike, einen langjährigen Brieffreund, der aus einer alteingesessenen Familie von der Ostküste der Vereinigten Staaten stammte.

      Zusammen fuhren wir in einem kleinen Motorboot den mächtigen Strom hinauf, wobei wir Vorräte und Schiffsdiesel an kleineren Versorgungsstationen entlang der Route auffrischten.

      Für mich war es eine begeisternde, faszinierende Angelegenheit, die Flora und Fauna des Regenwaldes, die ich bislang nur aus Büchern und Dokumentarfilmen kannte, einmal in natura zu sehen. Weiterhin stimmte die Chemie in unserer kleinen Dreimann-Reisegruppe, was die ganze Angelegenheit noch angenehmer gestaltete.

      Wir machten die Bekanntschaft mit manch indigenem Stamm und durften stets bei den äußerst gastfreundlichen Indios für ein paar Stunden verweilen und gelangten so an kleine Einblicke in deren gänzlich andere Welt.

      Am zehnten Tag unserer Reise verweilten wir bei einem Stamm, deren Angehörige rote Tücher, jedenfalls sahen sie wie rote Tücher aus, um die Lenden und rot–schwarze Bemalungen auf den Körpern trugen. Sie kamen ungemein freundlich daher und zwei aus ihrer Mitte sprachen gar vorzügliches Englisch. Sie luden uns ein, am Abend an einer feierlichen Zeremonie teilzunehmen, was man sich als junger, wissenschaftlich denkender Mensch nicht entgehen lassen konnte.

      Dieser Zeremonie lag etwas Naturreligiöses zu Grunde und die Musik, die dabei auf rasselnden Instrumenten spielte, ging dem Zuhörer durch Mark und Bein. Sie begleitete ein leicht monoton wirkender Gesang.

      Im Verlauf der Zeremonie wurde eine hölzerne Schale mit einer trüben, bernsteinfarbenen Flüssigkeit herumgereicht, über die Pedro uns verriet, dass es ein gegorenes Getränk aus Wurzeln, Pflanzen, Früchten und Pilzen des Regenwaldes sei, dessen Rezeptur von einem Volk stamme, welches noch keinerlei Kontakt zur westlich–brasilianischen Kultur gehabt habe, sondern lediglich zu indigenen Stämmen in seiner Nachbarschaft. Das Getränk habe neben der alkoholischen auch eine halluzinogene Wirkung und wir sollten dieser Substanz gegenüber eine gewisse Vorsicht an den Tage legen, da man uns aus Gründen der Gastfreundschaft sicherlich dieses Getränk anbiete.

      Es geschah, wie es unser Expeditionsleiter prophezeit hatte, und als die Schale an mich kam, nahm ich einen kleinen Schluck, wobei mir Pedro die ausreichende Menge durch ein Kopfnicken bestätigte, so dass ich die Schale absetzte und weiterreichte.

      Das Gebräu schmeckte leicht bitter, doch gar nicht verkehrt und ich fühlte mich ein klein wenig an Bier erinnert, welches einen hohen Anteil an Alkohol aufweist, vergleichbar etwa mit dem dunklen Starkbier aus dem Hause Kloster Andechs.

      Umgehend setzte die Wirkung des Alkohols ein und ich fing an, meinen Oberkörper im Takte der Musik vor und zurück zu bewegen.

      Eine der Frauen warf irgendwelche Pflanzenreste in das hochlodernde Feuer, worauf wir alle von einem süßlichen Schleier