Robert Mirco Tollkien

Die Geburt eines finsteren Universums


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in Ostwestfalen lebte, freute sich noch ein klein wenig mehr, als ich das tat, war es doch ihre Mannschaft gewesen, die Deutschland im Finale im Wiener Ernst Happel–Stadion klar mit 1:0 besiegt hatte.

      Spontan riefen wir ein paar Freunde zusammen, um den Moment des Augenblickes zu feiern.

      Wir erlebten einen wundervollen Abend und Sara, jetzt bereits die umsichtige Schwangere, nippte nur einmal ganz kurz an ihrem Glas Champagner. Das, was Sara nicht trank, übernahmen die übrigen Fünf. Nora, eine 27jährige Fitnesskauffrau, erzählte locker fünfundzwanzig Mal, wie sehr sie sich als Jugendliche über den Bademeister des Freibades in ihrem Heimatdorf aufgeregt habe. Immer, wenn sie über diesen fetten Mann berichtete, gackerte sie gleich eines dreizehnjährigen Mädels. Michael bediente den PC, der mit unserer Stereoanlage gekoppelt war, und spielte via YouTube eine klassische Rock–Hymne nach der anderen, während Dilek nicht zu beteuern aufhören konnte, dass sie ihrer ersten Liebe aus der achten Schulklasse auch heute noch hinterhertrauere. Sara saß grinsend in ihrem Lieblingssessel und dachte sich wahrscheinlich, was wir doch alles für betrunkene Figuren sein.

      Gegen zwei Uhr morgens löste sich die Versammlung auf und Andreas, der die meiste Zeit stillschweigend die Musik genossen hatte, nahm uns an der Wohnungstür bei Seite.

      „Ich weiß, dass die Welt da draußen nicht die beste ist. Kriege, Raubtierkapitalismus, immer mehr Egoismus, soziale Kälte, Verblödungsfernsehen und so weiter. Das nimmt ja immer weiter zu. Ich wünschte, ich könnte sie für euer Kind besser machen. Irgendwie. Denn ich gönne euch zwei Hübschen so sehr von ganzem Herzen, dass euer Kind in eine Welt hineinwächst, die nicht von Gier, Neid, Gewalt und Oberflächlichkeit bestimmt wird. Aber, was mich optimistisch stimmt, ist, dass ihr eure Kleine oder euren Kleinen sicherlich nicht zu so einem emotionalen Krüppel erzieht, von denen so viele dort draußen herumlaufen und dafür sorgen, dass es mit dieser Welt, die doch eigentlich so schön ist, und mit den Menschen, die doch von Natur aus eigentlich lieb sind, immer weiter bergab geht. Wären alle Eltern so wie ihr zwei, müsste ich mir keine Gedanken mehr darüber machen, wie man endlich eine bessere Welt erschaffen kann. Ich habe euch echt lieb.“

      Er nahm sowohl meine bessere Hälfte als auch mich in den Arm und drückte uns für eine Weile, bevor er ähnlich einem Soldaten kehrtmachte, und den Flur in Richtung Treppenhaus entlangstapfte, wo Michael bereits auf ihn wartete.

      Sara und ich schauten uns an und zogen synchron die Schultern hoch. Unser aller Freund Andreas Hillmann war doch immer wieder für eine neue Überraschung gut.

      Kapitel 7

      Anfang März 2010, als unsere süße Tochter kurz davorstand, ihr erstes Lebensjahr zu vollenden, starben Andreas Eltern auf einer dunklen Landstraße nahe Hamburg bei einem schweren Verkehrsunfall. Auf regennasser Fahrbahn kam der Bentley seines Vaters bei überhöhter Geschwindigkeit von der Spur ab und prallte frontal gegen einen LKW.

      Noch auf der Stelle starb das Ehepaar, während der Lastwagenfahrer mit einem schweren Schock halbwegs glimpflich davonkam.

      Die beiden Hillmann Brüder erbten ein Geldvermögen in Höhe von Vierhundert Millionen Euro, dazu Eigentum von ungefähr derselben Summe, sowie ein Konglomerat aus Firmen, welche allesamt solide geführt wurden und schwarze Zahlen schrieben.

      Man kam überein, dass Andreas Bruder die Firmen behalten und allein führen sollte, da Andreas keinerlei Ehrgeiz verspürte, als Unternehmer in die Fußstapfen seines Herrn Vaters zu treten. Er verzichtete auf eine Auszahlung. Weiterhin wurde der gigantische Immobilienbesitz, beinahe sämtlich Mietwohnungen und Gewerbeobjekte durch zwei geteilt.

      All das erzählte Andreas Sara und mir mit einer Gleichgültigkeit in der Stimme, als rede er über einen geplanten Zebrastreifen in Sennestadt.

      Jedenfalls sprach Andreas niemals wieder detaillierter von seinen Eltern oder zeigte im Nachhinein Anzeichen der Trauer und Bewegtheit.

      Kapitel 8

      Im Sommer, kurz nach der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika, verbrachte ich mit meiner Tochter einen ruhigen Mittwochnachmittag auf einer Decke im Oetker-Park, da Sara als Bezirksleiterin bei der Eröffnung einer neuen Filiale der Fitnessstudio–Kette in Horn-Bad Meinberg weilte.

      Ich ließ mir ein Bierchen schmecken, da rief mich Andreas auf dem Handy an. Relativ aufgeregt klang seine Stimme und er fragte mich, wo ich sei und ob ich ein wenig Zeit für ihn hätte.

      Etwa eine halbe Stunde später erschien Andreas mit zwei Flaschen Herforder in der Hand und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. Marlene, mein kleines, süßes Mädchen, freute sich wie immer sehr, ihn zu sehen und die Freude wurde noch größer, nachdem Andreas ihr eine Rolle Stapelchips in die Hände gedrückt hatte.

      Während Marlene freudig krümelnd und mit der Regelmäßigkeit einer kleinen Maschine sich Chips in das Mündchen steckte, erzählte mir Andreas, dass er auf einer Homepage in den dunklen Tiefen des Internets die Zusammensetzung des gegorenen, psychedelischen Getränkes gefunden habe, welches einst im Amazonas-Regenwald durch ihn konsumiert worden war.

      Ich stellte ihm die Frage, ob das der Grund für seine vorzügliche Laune sei und, wenn ja, was er, abgesehen von einem krassen Rausch, denn endlich von diesem Wissen habe.

      Als könne ihm ein Lippenleser vom höheren Teil des Parks bespitzeln, beugte er sich zu mir herüber und flüsterte: „Ich bin mir ganz sicher, dass ich durch die Kenntnis um das Rezept hinter das Geheimnis der Botschaft oder der Botschaften komme. Noch immer empfange ich im Schlaf und manchmal gar am helllichten Tage Botschaften, die ich nicht verstehen kann. Es geht einfach nicht vorüber! Ich will endlich wissen, was das alles zu bedeuten hat. Ich will wissen, ob es dieses kosmische Netzwerk wirklich gibt. Ich will wissen, wo der Zusammenhang zwischen Botschaft, und den Träumen liegt. Denn den gibt es, da bin ich mir ziemlich, ziemlich sicher! Mit dieser Droge hat es angefangen, also wird diese Droge die Sache auch beenden. Das Getränk aus dem Regenwald muss einfach der Schlüssel sein."

      In ihrem pinken Kleidchen schlurfte Marlene zu einem Pärchen, welches auf einer Decke unweit von uns entfernt in der Sonne lag, und bot den jungen Menschen Chips an. Diese freuten sich und wurden nicht müde zu betonen, dass mein Mädchen sie nicht störe.

      „Andreas!“, lautete schließlich meine ehrliche Antwort. „Du bist ziemlich sensible. Das sagst du ja selber. Ich halte das mit der Droge für keine gute Idee. Ich denke, dass wird so eine Sache sein, die man am besten nur einmal im Leben macht. Lass es besser bleiben. Ich möchte nicht, dass du vielleicht auf einen bösen Trip kommst, von dem es keine Wiederkehr gibt. Ich erinnere mich noch gut an eine der ersten Nächte, die du bei mir an der Tankstelle warst. Als du mir von diesem seltsamen Pyramidenwesen berichtet hast. Du hast in dieser Nacht heftige Angst gehabt, mein Freund. Wer weiß, wie das mit diesen Träumen und, nun, Botschaften weitergeht, wenn du diese Droge noch einmal probierst. Ich habe keine Lust, einen der klügsten, nettesten Menschen, die ich kenne, in den Irrenanstalten von Bethel zu besuchen.“

      Eine seichte Brise ging durch die Kronen der prächtigen Bäume des Parks. Dieser warme Wind sorgte für ein goldenes Spiel aus Licht und Schatten auf dem saftig grünen Rasen. Die blonde Frau auf der Decke nebenan lachte herzlich über das Tänzchen, welches meine Tochter aufführte, schüttelte, da sie sich auf der Decke aufsetzte, ihre blonden Harre. Sie griff in einen Korb und zog eine Familientüte Haribo Colorado hervor.

      „Darf sie?“, fragte sie in meine Richtung und ich bejahte mit einem freundlichen Dankeschön.

      Es war doch eigentlich ein viel zu schöner Tag, um über Horrortrips oder das Innenleben von Nervenkliniken nachzudenken.

      Andreas drehte sich eine Zigarette.

      „Ich finde es echt lieb von dir, dass du dir solche Sorgen machst, aber ich denke, die sind unbegründet. Schau mal! Ich habe mir dieses, man nennt es im Darknet Kijothee, zuletzt 1999 gegeben. Hat es irgendwas zu meinem Nachteil angerichtet? Nein. Ich habe sämtliche akademische Ziele erreicht. Da sind jetzt über zehn Jahre Zeit vergangen seither. Ich denke, man kann es wieder wagen. Und ja, vor