Bettina Reiter

Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes


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Kolonialstil eingerichtet und mit den neuesten Geräten ausgestattet war. Sogar einen High-Tech-Induktionsherd gab es. Doch das war nichts gegen den antiken Holzherd, der den Mittelpunkt bildete. An der Wand darüber hingen ein paar Suppenkellen in verschiedenen Größen, ein Pfannenwender und ein Edelstahlsieb. Der abgewohnte Walnusstisch nahe den Fenstern bot Platz für mindestens zehn Personen. Die alten Dunkelholzstühle wiesen schöne Schnitzereien auf. Jacks Blick fiel auf jenen am oberen Ende, auf dem Mister Winter vorhin gesessen hatte. Ob das in den letzten vierzig Jahren sein Platz gewesen war?

      „Die Lampen sind cool.“ Leni schaute zur Decke hinauf, während sie am Tisch vorbeiging. „Sie sehen aus wie Laternen.“

      Auch Jack riskierte einen Blick. An einer Silberstange hingen drei Lampen herunter. Ganz hübsch, aber nicht sein Geschmack. Genauso wenig wie die Vorhänge mit dem Blumenmuster oder das violette Radio auf dem Fensterbrett. „Um darauf zurückzukommen: Facebook-Freunde sind keine richtigen Freunde, Leni.“

      „Woher willst du das wissen, Dad? Du hast ja nicht einmal ein Profil.“

      „Und trotzdem lebe ich noch“, blieb er bei seinem Standpunkt, denn diese Debatte hatten sie schon unzählige Male gehabt. „Als ich jung war, haben wir uns nicht in einer virtuellen Welt getroffen, sondern in der realen. Und wenn wir etwas gemocht haben, wurde es nicht geliked, sondern dem anderen gesagt. Ich wünschte, du könntest diese Zeit erleben, als es noch um echte Emotionen ging! Um wahre Freundschaften, die diese Bezeichnung auch verdient haben.“

      „Echte Emotionen? Wahre Freundschaften? Ich sehe dich nur arbeiten, Dad.“

      „Werd ja nicht frech!“

      „Ich sag doch bloß“, mokierte sich Leni und setzte sich auf die marmorne Arbeitsfläche.

      Jack blickte ermahnend zu seiner Tochter. „Außerdem hast du ständig dein Handy im Kopf. Das muss ein Ende haben, sonst werde ich es beschlagnahmen. Immerhin lassen deine schulischen Leistungen sehr zu wünschen übrig.“

      Trotzig reckte sie das Kinn. „Steve Jobs hat es ohne Collegeabschluss geschafft. Mark Zuckerberg verließ angeblich Harvard und Präsident Lincoln soll die Schule kaum von innen gesehen haben. Dennoch haben alle Karriere gemacht.“

      „Was sicherlich Respekt verdient. Allerdings ist das bestimmt nicht die Regel. Eine gute Ausbildung kann dir sämtliche Türen öffnen. Vor allem brauchst du sie jedoch, wenn du in meine Fußstapfen treten willst.“

      „NB. Ich habe andere Zukunftspläne, Dad.“

      „Du fängst jetzt nicht wieder mit der Schauspielschule an.“

      „Und wenn?“ Herausfordernd blickte sie ihn an.

      „Brotlose Kunst, mehr ist das nicht. Wovon willst du später einmal leben, wenn du keine Engagements hast? Von der Hand in den Mund?“

      „Du könntest mich unterstützen, statt mir ständig alles madig zu reden.“

      „Was meinst du konkret mit Unterstützung? Dass ich dir eine Wohnung bezahlen soll? Ein Auto, Essen und Kleidung? Hör mal, Leni, nur weil du einen reichen Vater hast, solltest du nicht davon ausgehen, dass du den goldenen Löffel bis ans Lebensende im Mund behalten wirst. Ich will Leistung sehen, dann können wir darüber sprechen, ob ich dir eventuell eine monatliche Finanzspritze zubillige.“ Jack hatte das Gefühl eines Déjà-vus. Ein ähnliches Gespräch hatte er selbst vor vielen Jahren mit dem Vater geführt. Nicht nur einmal. Allerdings war er älter gewesen als Leni, hatte aber wie sie plötzlich alles hinterfragt.

      „Dein Geld brauche ich nicht, Dad. Ich schaffe es auch ohne dich.“

      Ob sich sein Vater damals genau so hilflos gefühlt hatte? „Übrigens will Senta in ein paar Tagen nachkommen“, wechselte Jack das Thema, obwohl er im selben Moment wusste, dass er damit vom Regen in die Traufe sprang. Doch Senta gehörte nun mal zu ihrem Leben dazu.

      Lenis Miene zog sich zusammen, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen. „Muss das sein? Ich dachte, dass nur wir beide Zeit in England verbringen.“

      „Das tun wir ja, aber irgendwann solltest du den Unterricht wieder aufnehmen.“ Senta war Lenis Privatlehrerin. Eine attraktive Frau, die irgendwann zu seiner Lebensgefährtin wurde. „Obendrein weiß sie genau, was junge Mädchen mögen und ihr habt die Möglichkeit, euch auf andere Art und Weise kennenzulernen.“

      „Ich mag Senta nicht.“ Eine Aussage, die er ständig von seiner Tochter hörte.

      „Weil du ihr keine Chance gibst.“ Jack warf einen Blick aus dem Fenster. Am Horizont zogen Wolken heran. „Bei den vielen Kindermädchen, die ich für dich engagiert habe, hast du dich genauso bockig verhalten.“

      „Die waren alle doof.“

      „Natürlich sind wieder nur die anderen schuld.“ Warum gab es keine Gebrauchsanweisung für jedes Kind? „Wir sollten versuchen, uns irgendwie zu arrangieren“, verlegte er sich auf die sanftmütige Tour. „Immerhin werden Senta und ich bald heiraten.“ Jack klopfte an die Wand neben dem Fenster. Die Bausubstanz war gut. Kaum zu Ende gedacht, schüttelte er den Kopf. Und wenn in den Wänden riesige Löcher klaffen würden, konnte es ihm egal sein.

      „Du beschließt zu heiraten und ich soll es stillschweigend akzeptieren. Wie ich mich dabei fühle, interessiert dich überhaupt nicht“, fauchte Leni.

      „Du bist bald erwachsen und wirst deine eigenen Wege gehen. Senta ist eine wunderbare Frau. Gönnst du mir das Glück denn nicht?“

      „Glück? Sie hat es nur auf dein Geld abgesehen!“

      „Junge Dame, mäßige deinen Ton! Außerdem frage ich mich, wie du auf diese bösartige Unterstellung kommst.“

      „Weil … weil …“ Leni hüpfte herunter und schaute ihn grimmig an. „Ach, vergiss es. Du würdest mir ohnehin nicht glauben. Wie immer.“

      „So redest du nicht mit mir, verstanden? Schließlich bin ich dein Vater und kein kleiner Junge.“

      „Du tust ja auch ständig so, als wäre ich noch ein kleines Kind.“

      „Das bist du, wie man unschwer an deinem Verhalten erkennen kann.“

      „Bestimmt nicht, denn einem Kind könntest du vielleicht weismachen, dass du dieses Haus behalten willst. Mir jedoch nicht. Wieso hast du den netten alten Mann angelogen? Du willst die Villa bestimmt abreißen, wie alle Häuser, die du kaufst.“

      „Na und? Was spricht dagegen?“

      „Die Geschichte, die Mister Winter erzählt hat. Und dass er dir wünscht, dass du wieder glücklich wirst. Er hat es nicht verdient, dass du ihn so hintergehst. So wie es viele nicht verdient haben, dass du ihnen etwas vormachst.“

      „Du musst noch viel lernen, Leni. Vor allem, dass das Leben kein Märchen ist, sondern hart und schwierig sein kann. Wir müssen alle zusehen, wo wir bleiben.“

      „Ich kann diesen Spruch nicht mehr hören und wenn ich mir überlege, wie du und Großvater Geschäfte macht, könnte ich kotzen.“ Kaum ausgesprochen lief sie aus der Küche.

      „Du bist undankbar“, rief er ihr hinterher und ärgerte sich maßlos. Was glaubte seine Tochter denn, für wen er so hart schuftete? Immerhin führte sie ein gutes Leben und konnte sich vor Geschenken kaum retten, die schließlich nicht auf Bäumen wuchsen. Aber statt sich zu freuen, machte sie ihm das Leben schwer und verleidete ihm sogar die Beziehung mit Senta. Dabei bemühte sich seine Verlobte sehr um Leni, die ihr hingegen nur die kalte Schulter zeigte. Hoffentlich änderte sich das nach der Hochzeit. Immerhin waren sie dann eine Familie und würden zusammenleben. Allerdings wäre es vielleicht besser, wenn sie Leni nicht mehr unterrichtete, womit sie zumindest eine Konfliktsituation weniger am Hals hätten …

      ♥

      „Du liebe Zeit, da ist aber einiges los in Ihrem Leben“, drang Roses Stimme zu Annie durch, in die langsam wieder Leben kam. Sie saß mit den Frauen an einem runden Tisch, auf dem ein geklöppeltes Set lag. Darauf stand eine Glaskugel,