Bettina Reiter

Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes


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Welt auf ihre Schultern drücken. Wie üblich duftete sie nach Cerruti, ihrem Lieblingsparfüm. Seit dem sechzehnten Lebensjahr benutzte sie es. Das einzig Dauerhafte in ihrem Leben, abgesehen von ihrer Ehe und den Kindern. Ansonsten war Josie wie ein Chamäleon. Ziemlich frühreif, hatte sie ihre Freunde wie die Hemden gewechselt. Auch beruflich orientierte sie sich vor ihrer Hochzeit immer wieder neu, was ebenso für Religionen galt oder ihren Modestil. Derzeit schien der Ethno-Look stark angesagt zu sein. Sie trug eine Jeans und ein knielanges braungemustertes Kleid mit Bündchen an den Ärmeln. Große goldene Kreolen zogen ihre Ohrläppchen bedenklich nach unten und ihr braunes langes Haar war unter einem roten Turban versteckt. Die Lippen waren grellrot, ansonsten hatte sie auf jegliches Make-up verzichtet.

      „Du siehst übrigens gut aus“, sagte Annie.

      Josie lächelte geschmeichelt. „Dein Kompliment geht runter wie Öl.“

      „George macht dir bestimmt laufend welche.“ Annie dachte neidvoll daran, wie Josie regelrecht von ihm hofiert wurde. Er half ihr stets aus oder in den Mantel, rückte ihr den Stuhl zurecht, fragte nach ihren Wünschen oder hing wie Tarzan an ihren Lippen. Roger war in dieser Hinsicht ganz anders gewesen. „Wie konnte er mir das antun?“, entfuhr es Annie.

      Josie legte über den Tisch hinweg ihre Hand auf Annies. „Das wird schon wieder, Kleines. Zur Not kommst du eben nach Penzance. Dort findest du bestimmt einen Mann und ganz nebenbei auch einen Job.“

      „Ich möchte aber nicht wegziehen. Meine ganzen Träume sind hier.“

      „Schon mal daran gedacht, dass es Träume bleiben könnten?“, hakte ihre Freundin nach.

      „Danke für den Zuspruch.“

      „Mensch, Annie, ich will dir doch nichts Böses“, verteidigte sich Josie und zog ihre Hand zurück. „Aber manchmal muss man seine Träume fliegen lassen, weil sie zerplatzen wie Seifenblasen, sobald wir sie berühren.“

      „Das sagst ausgerechnet du? Diejenige von uns, die immer nach den Sternen gegriffen hat?“

      „Umso tiefer kann der Fall sein, glaub mir.“

      Toll! Und auf diesen Abend hatte sie sich gefreut. „Bist du gekommen, um schlechte Laune zu verbreiten? In dem Fall kannst du dir die Mühe sparen. Die habe ich nämlich schon.“

      Josie wirkte noch bekümmerter als ohnehin und lehnte sich zurück. „Sorry. Momentan bin ich wahrscheinlich die Letzte, die für irgendein Problem die passende Lösung hat. Immerhin bekomme ich mein eigenes Leben nicht mehr auf die Reihe.“

      „So schlimm?“ Annies Mitleid kam wieder zurück. „Eigentlich habe ich dich bisher beneidet.“

      „Das würde dir sofort vergehen, sobald du in meiner Haut stecken würdest“, stieß Josie aus, bevor sie sich verschwörerisch näherbeugte. „In Wahrheit habe ich mir eine Auszeit genommen. Offiziell bin ich auf Kur, damit die Kinder nicht beunruhigt sind. Nur George weiß, dass ich ein paar Tage bei meinen Eltern bleibe, um meine Gedanken zu ordnen.“

      „Was soll das heißen?“ Annie nippte am Strohhalm, wobei sie Josie nicht aus den Augen ließ.

      „Dass ich über eine Scheidung nachdenke.“

      „Wie bitte?“ Der süße Cocktail schmeckte plötzlich bitter auf Annies Zunge. „Ich dachte, dass ihr glücklich seid.“

      „George nimmt mich schon lange nicht mehr als Frau wahr. Im Grunde könnte ich seine Hausangestellte sein. Genauso fühle ich mich. Alles muss ich ihm und den Jungs hinterherräumen. Kein Danke und kein Bitte, jeder Handstrich ist selbstverständlich.“ Wie verzweifelt sie aussah. „Versteh mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder. Auch George. Doch in letzter Zeit frage ich mich immer öfter, ob es das gewesen ist. Ich lebe für meine Familie und achte auf ihre Bedürfnisse, nur achtet niemand auf meine. Dabei bin ich erst neunundzwanzig und fühle mich älter als meine Mutter.“

      Unwillkürlich musste Annie an ihre eigene denken. „Wieso hast du nicht früher etwas gesagt?“

      „Weil du selber Probleme hast.“

      Annie betrachtete ihre Freundin, die dasaß wie ein Häuflein Elend. Dabei war sie bisher wie ein Wirbelwind durch das Leben gerauscht. Jetzt wirkte Josie jedoch verletzlich, als würde sie der geringste Lufthauch umhauen. „Deswegen bin ich trotzdem für dich da.“

      „Ich weiß.“ Josie drückte kurz ihre Hand. „Lass uns lieber ein anderes Mal darüber sprechen. Heute möchte ich feiern und abschalten.“ Kaum ausgesprochen, winkte sie Lance zu, dem die Bar gehörte. Ihr ehemaliger Schulkollege war Josies erster Freund gewesen. Es hatte lange gedauert, bis er über sie hinweg war und wieder normal mit ihr umgehen konnte. Obwohl Annie manchmal das Gefühl hatte, dass seine Gefühle nie zur Gänze verschwunden waren. Ob es an der Art lag, wie er sie ansah oder mit ihr sprach, sie konnte es nicht sagen.

      „Was darf ich euch bringen?“, erkundigte sich Lance, der früher wegen seinen feuerroten Haaren oft zum Gespött der Mitschüler geworden war. Dass er unter heftiger Akne litt, hatte seinen Außenseiterstatus verstärkt. Doch Josie und sie hielten immer zu ihm, denn Lance war eine Seele von einem Menschen, der inzwischen mit Mai-Tao verheiratet war, die gerade die neuen Gäste begrüßte. Einige Surfer, mit denen frische Seeluft in das Lokal hereinwehte.

      „Bring uns bitte noch zwei“, bat Josie und erwiderte Lances Lächeln, bevor er zur Bar eilte. Wieder öffnete sich die Tür und eine Männerhorde stürmte das Lokal. Mai-Tao eilte mit den obligatorischen Blütenkränzen auf sie zu und musste die üblichen anzüglichen Witze Betrunkener über sich ergehen lassen. „Fünf von uns wären noch frei“, grölte einer, „der Bräutigam wäre bestimmt auch nicht abgeneigt.“ Im selben Moment teilte sich die Runde und Annie starrte Roger direkt in die Augen, auf dessen T-Shirt das Wort Bräutigam prangte.

      „Ausgerechnet der muss uns über den Weg laufen“, regte sich Josie auf, die ihn scheinbar ebenfalls erspäht hatte.

      „Lass uns zahlen und verschwinden“, bat Annie stotternd. Gleichzeitig klopfte ihr Herz bis zum Hals, weil Roger so unverschämt gut aussah und ihr nun lässig zunickte.

      „Wir bleiben“, beharrte Josie, „oder willst du ihm zeigen, dass du immer noch leidest?“

      „Ich muss es ihm nicht zeigen. Das kann er mir auf zehn Meter ansehen.“

      „Dann reiß dich zusammen. Oder gönnst du diesem Brad-Pitt-für-Arme den Triumph?“

      Annie konzentrierte sich auf ihre Freundin, wobei sie jedoch das Gefühl hatte, Rogers Blick auf sich zu spüren, was ihren Körper kribbeln ließ. Jede verdammte Stelle … „Was soll ich denn sonst tun außer abhauen?“, flüsterte sie ihrer Freundin zu, zog sich den Blütenkranz über den Kopf und legte ihn neben sich auf die Bank. „Ihn den ganzen Abend anschmachten?“

      „Du sollst ihn ignorieren.“ Josie schob das leere Glas an den Tischrand. „Willst du gelten, mach dich selten. Hat schon meine Oma gesagt.“

      „Woran du dich vor deiner Hochzeit super gehalten hast.“

      „Damals war ich jung. Jetzt bin ich um einiges reifer. Also heb den Kopf und sei selbstbewusst. Du bist eine tolle Frau.“

      „Mit zehn Kilo mehr auf den Rippen.“

      „Na und? Trotzdem siehst du spitzenmäßig aus. Das schwarze Glitzertop steht dir super, die Jeans bringt deine Kurven richtig gut zur Geltung. Um deinen Bronzeton habe ich dich ohnehin seit jeher beneidet, denn du siehst immer aus, als würdest du frisch aus dem Urlaub kommen. Der Idiot wird sich eines Tages in den Arsch beißen, dass er dich gehen ließ.“

      Annie tippte sich an die Stirn. „Roger feiert Junggesellenabschied. Der denkt keine Sekunde an mich.“

      „Da wäre ich mir nicht so sicher. Hast du nicht bemerkt, wie er dich angesehen hat?“

      „Du bist gut! Seit Monaten versuchst du ihn mir auszureden und jetzt weckst du neue Hoffnungen in mir.“

      „Das mache ich ganz und