Kerstin Hornung

Hinter verborgenen Pfaden


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Und jetzt auch noch dieses Fest ...« Walter verneigte sich gekonnt. »Aber ich merke schon, du willst es beschaulicher. Darum gehen wir jetzt zum Mauerwirt. Da ist es um diese Zeit schön ruhig. Außerdem«, er schubste Agnus mit dem Ellbogen freundschaftlich in die Rippen, »muss ich mir unbedingt noch etwas Mut antrinken.« Er lachte vergnügt.

      Agnus begann, den Barden zu mögen.

      Sie bogen in eine schmale Gasse ein. Sie war so schmal, dass Agnus fürchtete, mit seinen breiten Schultern zwischen den Mauern stecken zu bleiben. Am Ende des Ganges klopfte Walter mit der Faust gegen eine winzige Tür, die in das Mauerwerk eingelassen war.

      »Mach auf, Beinhart, du hast Kundschaft!«, rief er, und seine volle Stimme hallte zwischen den Wänden wider.

      Sie hörten, wie jemand zur Tür schlurfte. Dann knarrte ein Schlüssel im Schloss. Ein riesiger Kopf schob sich durch die Türöffnung.

      »Geh nach Hause, Walter, du weißt, ich öffne nicht vor dem letzten Schlag der Abendglocke«, brummte der bärtige, zerzauste Schädel.

      Walter zog Agnus am Ärmel aus dem dunklen Gang und schob ihn vor den Hünen.

      »Ich habe einen Gast mitgebracht. Dieser Mann ist weit geritten und hat mächtigen Durst«, erklärte er. »Außerdem«, ein schalkhaftes Grinsen zog über sein Gesicht, »ist er entsetzt über die Gastfreundschaft auf unserer schönen Burg. Stell dir vor, so etwas spricht sich herum. Wie stehen wir dann da?«

      »Hör doch auf zu quatschen, Walter. Dann kommt rein.« Damit öffnete der Bärtige die Tür und trat zur Seite.

      Agnus musste sich bücken.

      »Hab Dank, Beinhart«, sagte Walter förmlich.

      »Schluss jetzt mit deinem höfischen Getue«, brummte dieser. »Du hast Glück, dass die Jagdgesellschaft des Königs noch nicht zurück ist und ich in der Metzgerei gerade nichts zu tun habe.« Er streckte Agnus eine riesige Pranke entgegen. »Hartmut«, stellte er sich vor, und mit einem hämischen Seitenblick auf Walter fügte er hinzu: »Nur Walter nennt mich Beinhart, weil er, im Gegensatz zu mir, nichts verträgt und schon bei dem Geruch von Bier besoffen unterm Tisch liegt.«

      »Ich bin Agnus und komme aus dem Wildmoortal«, erwiderte Agnus und schüttelte die Hand des Wirts. Beinhart oder Hartmut war ein Bär von einem Mann. Agnus war zwar nicht kleiner als der andere, aber neben Hartmut kam er sich richtig schmächtig vor.

      »So, genug der Förmlichkeiten fürs Erste. Bring uns mal ein paar Krüge Bier, dann können wir weiterreden.« Walter packte Agnus am Ärmel und steuerte mit ihm Richtung Theke, wo er sich gleich auf einen Hocker schwang. Rechts neben der Theke gab ein kleines Fenster den Blick in einen Innenhof frei. Auf der anderen Seite des kleinen Raumes befanden sich lediglich zwei Öffnungen in der Mauer, nicht größer als Schießscharten.

      »Dies war früher einmal eine Waffenkammer und ist nun die beliebteste Kneipe in der Burg«, erklärte Walter. »Die einzige Kneipe in der Burg. Bei Einbruch der Dunkelheit werden die Tore verschlossen, und wer dann nicht drin ist, kommt bis zum nächsten Morgen auch nicht mehr herein, aber auch ebenso wenig hinaus.«

      »Dafür kann tagsüber jeder bis vor das Schlafgemach des Königs schlendern, ohne ein einziges Mal nach seinem Anliegen befragt zu werden«, erwiderte Agnus.

      »Das ist nur heute so«, versicherte Walter. »Normalerweise stehen an jedem der drei Haupttore die Wachen des Königs und leiten einen so lange von dem einen zum nächsten, bis man am Ende ganz vergessen hat, warum man eigentlich hier ist.«

      »Die sind heute fast alle in den Wald geritten«, rief Hartmut von hinten. »Erst ist vor dem Morgengrauen die Jagdgesellschaft des Königs aufgebrochen und vor kurzem noch mal eine ganze Truppe.« Krachend stellte er das Bier auf die Theke.

      »Die Truppe hab ich gesehen, als ich herkam«, sagte Agnus. »Nur frage ich mich, was jagen so viel Mann in einem Wald? Drachen?«

      »Ich habe alles für ein ordentliches Wildbret vorbereitet«, brummte Hartmut. »Rezepte für Drachen kenne ich nicht.«

      Walter lachte schallend.

      »Eine Jagd und eine Abendgesellschaft, ich fürchte, vor morgen früh werde ich keine Audienz beim König bekommen«, überlegte Agnus laut.

      »Morgen?« Walter lachte noch lauter. »Du bist ein wahrer Spaßvogel, Agnus. Der König empfängt selbst einflussreiche Grafen und Barone erst nach Tagen. Ich fürchte, du wirst dich auf eine laaaange Wartezeit einrichten müssen.«

      Agnus sah ihn böse an. Schließlich zuckte er mit den Schultern.

      »Dann werde ich den Prozess wohl etwas beschleunigen müssen«, sagte er vieldeutig. »Die Probleme im Wildmoortal müssen behoben werden – das sollte selbst dem König ein Anliegen sein.«

      Beinhart und Walter warfen sich einen vielsagenden Blick zu.

      »Was gibt es denn für Probleme im Sumpf«, fragte Walter neugierig.

      Agnus nahm einen kräftigen Schluck Bier. »Das ist schnell erzählt. Wir haben Gnome im Tal.«

      »Gnome!?«, rief Walter ungläubig. »Du meinst diese Gestalten aus den alten Geschichten. Helfer der Zauberer sollen sie gewesen sein?«

      Agnus nickte. »Ich habe es erst auch nicht glauben wollen, aber eines Tages hat ein Bauer so ein Geschöpf auf frischer Tat ertappt und ihm kurzerhand mit der Axt den Schädel gespalten.« Er schnaufte. »Es war kein Tier und auch kein Mensch, im Maul hatte es Raubtierzähne, die Ohren sahen aus, als ob die Mäuse daran geknabbert hätten und die Haare erinnerten an ein struppiges Fell, mausgrau und verdreckt. Seine Arme waren so lang, dass sie bis unter die Knie reichten und es trug um die entsprechenden Körperregionen Felle. Ein grauenvoller Anblick.«

      »Und davon willst du dem König erzählen!? Warum?«

      »Was für eine Frage!? Du hast es doch gerade selbst gesagt. Gnome sind die Helfer der Zauberer. Wo ein Gnom, da ein Zauberer.«

      »Vielleicht hat sich das Geschöpf in den Bergen verirrt und ist zufällig bei euch im Tal angekommen«, gab Hartmut zu bedenken. »In Mendeor soll es ja noch genügend Zauberer und Gnome geben.«

      »Das stimmt, aber dieser Gnom war nicht der Einzige, der gesehen wurde und auch nicht der Einzige, der erschlagen wurde«, knurrte Agnus. »Das Tal ist voll davon.«

      »Hast du dafür Beweise?«, wollte Walter wissen.

      »Was für Beweise?«, fragte Agnus verständnislos.

      »Was weiß ich? Einen Kopf zum Beispiel.«

      »Beim heiligen Albarus«, knurrte Agnus angewidert. »Wir haben Sommer. Ich kann doch so einen stinkenden Schädel nicht drei Wochen übers Land tragen!«

      »Aber ohne Beweise wird der König dich auslachen, Agnus«, behauptete Walter ungerührt. »Er wird glauben, dass ihr in den Sümpfen zu viel Selbstgebrautes trinkt.«

      »Der König kommt aus Mendeor, dort weiß bestimmt jedes Kind, wie ein Gnom aussieht. Aber dass ihr mir nicht glaubt, hätte ich mir gleich denken können.«

      »Agnus, keiner von uns zweifelt, dass es bei euch in den Sümpfen solche Gestalten gibt, aber …« Walter und Hartmut sahen sich bedeutungsvoll an.

      »Was heißt, bei euch in den Sümpfen?«, polterte Agnus los. »Das ist kein Ungeziefer, das einfach so auftaucht. Wir haben Gnome, also gibt es irgendwo in der Gegend einen Zauberer. Und Zauberer dürfen nirgendwo in Ardelan geduldet werden.«

      »Vielleicht sind es ja gar keine Gnome«, unkte Walter.

      Agnus seufzte und schüttelte vor so viel Unwillen, dieser Tatsache Glauben zu schenken, den Kopf. Aber im Grunde hatte er es nicht anders erwartet. Er musste die ganze Geschichte erzählen.

      »Vor etwa zwei Jahren«, erklärte er, »wurde in den Hügeln südlich vom Wildmoortal ein alter Festungsturm wiederaufgebaut, und ein Mann zog dort ein. Die Bauern, die ihre Felder unterhalb der Hügel bewirtschaften, erzählten bald, dass es in dem Turm nicht mit