Peter Wolff

Im Bann von covid-19


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Amateursportbetrieb ausgesetzt, die Profis hingegen dürfen weiterhin sporteln, wenn auch ohne Publikum?

      Warum soll auf “unnötige” private Reisen verzichtet werden, auf Geschäftsreisen und andere angeblich notwendige Reisen nicht?

      Warum dürfen Händler mit Mischwarensortiment weiter Spielzeug verkaufen, während für Spielwarenläden ein Verkaufsverbot gilt?

      Das sind eindeutig zu viele „Warums“, wenn Sie mich fragen. Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es für all das nur in wenigen Fällen. Dem Virus ist es im schlimmsten Fall egal, ob es sich beim Hairstylisten verbreitet oder beim Tattoo-Künstler. Es macht leider auch keinen Unterschied zwischen Gottesdienst und Horrorfilm.

      Es drängt sich die Vermutung auf, dass die „schwarze Liste“, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, das Ergebnis vor allem politischer, und nicht in erster Linie wissenschaftlicher Erwägungen ist (63).

      . So tut man sich augenfällig mit der Schließung von Kleinbetrieben leichter als mit dem Lockdown in wirtschaftskräftigen Großunternehmen.

      Es ist zwar nicht gerecht, aber auf den ersten Blick scheint es durchaus logisch zu sein, dass die Beschränkungen die Gastronomie, das Hotelgewerbe und die Veranstaltungsbranche stärker treffen als etwa den Einzelhandel. Denn diese Branchen leben von der sozialen Interaktion und der Geselligkeit – und diese sind derzeit riskant, egal wie gut Hygienekonzepte befolgt werden.

      Unverhältnismäßig erscheinen die Maßnahmen dann, wenn man diese Branchen weiter temporär stilllegt, obwohl zwischen Kunden ein notwendiger Sicherheitsabstand gewahrt werden könnte. Gastronomen, Veranstalter von Kulturevents, Kinobetreiber und Hoteliers werden so doppelt bestraft, denn sie haben mehrheitlich teure – und wirksame – Hygienekonzepte umgesetzt. Auch sind eben diese Bereiche, ebenso wie gastronomische Betriebe, bislang nicht als häufige Ansteckungsorte in Erscheinung getreten. Im Gegensatz zu Schulen oder dem Arbeitsplatz.

      "Die Gastronomie ist bisher nicht als ein Hotspot erkannt worden", erklärt dazu der Kölner Virologe Rolf Kaiser im Oktober 2020.

      Ob der drastische Schritt wirklich großen Einfluss auf die Infektionszahlen haben werde, sei zumindest zweifelhaft. Er könne sogar einen gegenteiligen Effekt haben, wenn sich das gesellige Leben wieder vollständig in den privaten Bereich verlagert.

      Die Betroffenen fühlen sich völlig zurecht schikaniert.

      Obgleich man in vielen Restaurants, Kinos, Konzertsälen oder Theatern Hygiene- und Abstandsmaßnahmen vortrefflich umgesetzt hat und bislang auch nicht bekannt wurde, dass sich hier Infektionen ausbreiten, werden Orte, die der Kultur, der Freizeit dienen, geschlossen, Geschäfte aller Art, von Baumärkten bis hin zu Modegeschäften oder Möbelhäusern hingegen bleiben zunächst geöffnet. Immerhin ist es ja kurz vor Weihnachten.

      Schon jetzt stünden rund ein Drittel der Betriebe vor dem Aus, warnt der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Eine weitere Zwangspause werde unzählige Existenzen zerstören (64).

      Auch in anderen Bereichen, so wird man das Gefühl nicht los, wären eventuell mildere Maßnahmen denkbar. Statt die Schließung eines Fitnessstudios anzuordnen, könnte man die Zahl gleichzeitig Trainierender begrenzen, regelmäßig alle Sportgeräte desinfizieren und einen Mindestabstand zwischen eben diesen einhalten.

      Selbst die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht sich – gleichfalls im Oktober- in einem Positionspapier deutlich gegen "reflexhafte" Schließungen ausgesprochen. Sobald sich Verordnungen als "widersprüchlich, unlogisch und damit für den Einzelnen als nicht nachvollziehbar" darstellten, entstehe ein Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsproblem.

      "Wir könnten diejenigen verlieren, die wir dringend als Verbündete im Kampf gegen das Virus brauchen", heißt es in dem Papier, zu dessen Unterzeichnern auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck gehört (65).

      Auch für die Potsdamer Soziologin und Risikoforscherin Pia-Johanna Schweizer sind die wichtigsten Faktoren im Kampf um die Akzeptanz: Transparenz und Nachvollziehbarkeit. In den Bundesländern werde zum Teil ein und dieselbe Faktenlage unterschiedlich ausgelegt. „Das verwirrt die Leute und führt zu Verdruss.“ Sie plädiert etwa für einen einheitlichen Umgang mit Risikogebieten.

      Negativ auf die Akzeptanz wirkt sich auch aus, wenn Menschen das Gefühl haben, es werde mit zweierlei Maß gemessen. Ein Laienschauspieler beteuert, dass er kein Verständnis dafür hat, dass Fußballspielen im Verein erlaubt ist, aber das Theaterspielen nicht. „Solche Dinge sind unlogisch. Da wäre eine Vereinheitlichung dringend notwendig“, meint Schweizer (66).

      Dem Gefühl, dass anlässlich der Corona-Beschränkungen bisweilen mit zweierlei Maß gemessen wird, kann man sich manchmal wirklich kaum entziehen.

      Der zweite Lockdown im November fällt zunächst deutlich milder aus als der erste im März.

      Zwar müssen wir wieder auf kulturelle Veranstaltungen, auf Pizza und Kölsch (es sei denn, man holt beides am unscheinbaren, aber vorzüglichen Stehimbiss „Pinocchio“ auf der Siegburger Straße in Köln-Poll, wärmstens zu empfehlen...) verzichten, aber die Geschäfte dürfen weiterhin ihre Kunden bedienen, Schulen und Kitas bleiben geöffnet.

      Bei den Gaststätten hingegen bleibt man hart. Auch gut ausgetüftelte und stimmige Hygienekonzepte stimmen die Entscheider nicht gnädig und nutzen den vielen Gastronomen, die sich um eben diese bemüht haben, nichts. Weil gastronomische Betriebe, so die Argumentation, in besonderer Weise soziale Kontakte fördern.

      Im überfüllten Bus, „Maske an Maske“, zur Arbeit fahren dürfen wir, aber abends mit der Frau oder dem Mann des Herzens „maskiert“ ein Lokal betreten und dann ganz in der Ecke sitzen und die Maske nur bei Tisch abnehmen – keine Chance.

      Das muss man nicht verstehen, oder?!

      Selbst aus der Politik gibt es Zweifel an dem "Lockdown" für die Gastronomie.

      Die FDP hält die Schließungen gar für verfassungswidrig.

      "Das halte ich für unnötig und deshalb auch für verfassungswidrig", erklärt FDP-Chef Christian Lindner. Sein Parteikollege Wolfgang Kubicki spricht im Deutschlandfunk von "Alarmismus". Die Beschlüsse würden einer gerichtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht Stand halten (67).

      Es hat den Anschein, dass es vor allem politische Prioritäten sind, aufgrund derer man zunächst das Wirtschaftsleben nicht unterbrechen (und auch Schulen und Kitas im November 2020 nicht wieder schließen) will. So müssen die Menschen die Opfer im Privat- und Freizeitbereich bringen, eben dort, wo es am wenigsten Lobbymacht gibt. Es darf nicht sein, dass die Ökonomie definiert, wer Opfer bringen muss, dass vornehmlich jene Branchen schließen müssen, deren Umsätze überschaubar sind.

      Grundrechte gehören nicht in Quarantäne. Darum muss jede Maßnahme, die wegen der Pandemie Grundrechte einschränkt oder ihre Geltung aussetzt, kritisch beäugt, jede Einschränkung für sich begründet werden.

      Auch sollten alle Maßnahmen zunächst einmal zeitlich befristet werden. Jede weitere Verlängerung bedarf einer neuen Begründung. In kurzen Zeitabständen gilt es demokratisch zu prüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung des angestrebten Ziels noch das geeignetste und mildeste Mittel sind, ob sie noch angemessen sind. Dazu gehört auch die transparente und sorgfältige Abwägung der mit der Grundrechtseinschränkung verbundenen Risiken für Körper und Seele, auf die ich in einem späteren Kapitel noch eingehe.

      Denn die Freiheitsrechte sind zu wichtig, um sie einer Pandemie unterzuordnen. Im Kampf gegen das Virus jedoch werden sie außer Kraft gesetzt. Wenn dies schon als alternativlos bezeichnet wird, müssen diese Eingriffe bestmöglich begründet und wirklich unvermeidlich sein. Und genau darum muss jeder einzelne Freiheitseingriff verhältnismäßig, dazu transparent, bleiben. Das ist im Rahmen der beiden so genannten Lockdowns in Deutschland anno 2020 sicher nicht immer der Fall.

      Eine nicht nachvollziehbare, eine willkürlich scheinende Mischung von Maßnahmen zerstört das bislang noch relativ starke Vertrauen einer Mehrheit in die politisch Verantwortlichen und ist ganz nebenbei Wasser auf die Mühlen jener, die in Lockdown und Konsorten ein großes Experiment zur Unterjochung