Michael Vahlenkamp

Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller


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      Sie zog sich das Nachthemd über den Kopf und ließ es zu Boden gleiten. Ihre Arme schlang sie um seinen Nacken, und sie setzte sich auf seine Hüfte, indem sie die Beine hinter seinem Rücken verschränkte. Er konnte nicht anders, als sie mit den Händen unter ihrem nackten Gesäß zu halten. So küssten sie sich erneut, bis sie ihm zu schwer wurde und er sie auf der Tischkante absetzte. Nun hatte sie die Arme frei, mit denen sie begann, an seinem Nachtgewand herumzunesteln, bis er davon befreit war. Anschließend umschloss sie ihn sofort wieder mit einer Kraft und Hingabe, als hätte sie diesen Augenblick schon lange erwartet und als wollte sie ihn, Diether, nun nicht wieder hergeben.

      In den darauf folgenden zwei Stunden, in denen sie sich drei Mal liebten, dachte Diether nicht ein einziges Mal an Alheyt. Später sollten ihn deswegen große Gewissensbisse plagen.

      Heute

      Wie, zum Teufel, sollte sie so ihren neuen Auftrag der Nordwest-Zeitung rechtzeitig fertig bekommen? Dieser Krach machte sie wahnsinnig. Den ganzen Tag ging das schon so. Am Vormittag hatten die Handwerker unzählige Löcher in die Wände gebohrt. Das damit verbundene Dröhnen ging ihr durch Mark und Bein. Und im Moment stemmten sie mit Bohrhammern die Wände für die Wasser-, Strom- und Abflussleitungen der neuen Küche auf. Gegen diesen Lärm war das Löcherbohren ein Flüstern gewesen. Zu allem Überfluss war Timo nun auch noch quengelig. In seinem Mittagsstündchen hatte er wahrscheinlich keine Minute geschlafen, was ihm jetzt natürlich fehlte. Ständig hing er ihr am Rockzipfel und wollte dieses oder jenes. Inzwischen war sie mit ihren Nerven am Ende. Sämtliche Konzentrationsfähigkeit war dahin.

      Sie klappte ihr Notebook zu.

      »Komm Timo.« Ihr Sohn spielte auf dem Fußboden ihres Arbeitszimmers. Die Fahrgeräusche der Spielzeugautos, die er mit seiner Stimme imitierte, fielen bei dem Lärm in ihrem Haus kaum auf. »Wir gehen an die frische Luft.«

      Sie machten eine halbe Runde um die Dobbenwiese und quer darüber hinweg zurück. Die Luft war herrlich. Es war noch ein schöner Sommertag. Der kleine Spaziergang hatte sie spürbar entspannt.

      Im Haus war es bei ihrer Rückkehr tatsächlich ruhiger als vorher. Der Bohrhammer hatte Pause. Stattdessen war jemand nur mit einem normalen Hammer zu Gange, was verglichen mit der vorherigen Geräuschkulisse wie ein leises Klacken war.

      Sie begaben sich wieder ins Arbeitszimmer, wo Timo sich erneut seinen Autos widmete. Edithas Blick fiel auf das Schreiben vom Standesamt. An Telefonieren war bei der Geräuschkulisse bisher heute nicht zu denken gewesen, aber jetzt konnte sie den Moment nutzen.

      Im Internet hatte sie auf der Homepage der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg ein paar Durchwahl-Nummern des Archivs herausgefunden. Davon rief sie aufs Geratewohl eine an. Es meldete sich eine freundliche Dame, mit der sie einen Termin vereinbarte, an dem sie Einsicht in die Mikrofiches nehmen konnte. Wie sie im Internet gelesen hatte, waren in diesen Mikrofiches die Kirchenbücher gespeichert, bis ins Jahr 1640 zurückgehend.

      Kaum hatte sie das Gespräch beendet, stand plötzlich einer der Handwerker in der Tür des Arbeitszimmers und klopfte an den Türrahmen. Er sah aus wie ein Bäcker kurz vor Feierabend, überall mit weißem Staub bedeckt.

      »Entschuldigen Sie, Frau Riekmüller«, sagte er. »Es gibt da ein Problem. Das sollten Sie sich vielleicht mal ansehen.«

      Er führte sie nach oben in die werdende Küche. Editha erschrak: Dort herrschte das reinste Chaos. Überall lag Schutt, in der Wand klaffte ein riesiges Loch.

      »Oh, mein Gott«, konnte sie nur sagen, bevor sie sich die Hand vor den Mund hielt.

      Der Handwerker räusperte sich.

      »Das sieht schlimmer aus, als es ist«, meinte er mit einer abwinkenden Handbewegung. »Das Problem ist ein anderes.« Er deutete in das Loch. »Wir wollten die neuen Leitungen ja hier entlang legen.« Er zeigte Editha, wie der Verlauf sein sollte. »Aber jetzt sind wir auf einen alten Kaminschacht gestoßen. Der war vorher nicht zu sehen. Und das Problem ist, dass der undicht ist.«

      Der Handwerker erzählte davon, dass es reinregnete und es an dieser Stelle immer wieder feucht werden würde, dass sie den Schacht ganz entfernen und die Stelle neu wieder zumauern müssten, dass sie nach oben hin abdichten müssten, dass dies mit Mehrkosten verbunden wäre, und dass er aber dringend dazu raten würde, weil sie sonst immer wieder Ärger damit bekäme. Schon in der Mitte seiner Rede resignierte Editha. Es würde also noch teurer werden und sie konnte nichts dagegen tun.

      »Sollen wir diese Arbeiten durchführen?«, schloss der Handwerker seinen Wortschwall ab.

      Editha seufzte.

      »Wie hoch wären denn die Mehrkosten?«

      »Schwer zu sagen. Man weiß bei einem solch alten Haus nie, was noch dazu kommt, wenn man erst mal anfängt.«

      Dann klingelte es an der Haustür.

      Sie musste es ja sowieso machen lassen. Ansonsten würde sie wahrscheinlich tatsächlich später Ärger kriegen. Ihr Mieter, Mads Burges, war bereits mehrmals hier, um sich über den Fortschritt der Renovierungsarbeiten zu informieren. Er hatte in manchen Punkten extrem genaue Vorstellungen und stellte immer wieder Forderungen. Irgendwie schien er zu ahnen, dass er der einzige übrig gebliebene Interessent war. Und leider war er sehr kleinlich.

      »Na gut«, seufzte sie noch mal. »Führen Sie die Arbeiten durch.«

      Sie ging nach unten und öffnete. Wenn man an den Teufel dachte: Es war Mads Burges. Was wollte der denn schon wieder? Na ja, was wohl: Mal wieder nach dem Rechten sehen. Angesichts des Zustands der Küche passte ihr das ganz und gar nicht.

      »Guten Tag, Herr Burges. Sie schon wieder?«

      »Dürfte ich noch mal einen Blick auf die Wohnung werfen?«

      Er drückte bereits die Haustür auf und drängelte sich an ihr vorbei. Abermals musste Editha seufzen. Sie folgte ihm nach oben.

      Vor der Küche blieb er stehen. Sie hatte mit einem Aufschrei oder mit irgendeiner anderen erschrockenen Reaktion gerechnet, aber Burges sah sich das Geschehen in aller Ruhe an.

      »Da drin sieht es schlimmer aus, als es ist«, wollte Editha den Zustand so erklären, wie er ihr gerade erklärt worden war.

      Sein kurzer Seitenblick wirkte überrascht.

      »Das ist ja wohl normal, wenn eine Küche in einem Raum eingerichtet wird, der ursprünglich nicht dafür vorgesehen war.«

      Was war das für ein komischer Kerl, auch wenn er wahrscheinlich recht hatte.

      Er sah sich noch die anderen Räume an, ging dann ohne ein weiteres Wort die Treppe hinunter und verließ ihr Haus. Editha sah ihm kopfschüttelnd hinterher.

      Die Handwerker packten ihr Werkzeug zusammen.

      »Feierabend«, sagte der Lehrling, und ging grinsend an ihr vorbei.

      Zum Glück, dachte Editha, dann hatte sie endlich Ruhe für heute.

      Unten im Arbeitszimmer fing Timo an zu schreien.

      Das Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche war nicht weit von ihrem Haus entfernt. Deshalb beschloss sie, zu Fuß dorthin zu gehen. Timo durfte sein Gokart benutzen, das er über alles liebte, seit er es von seinen Großeltern geschenkt bekommen hatte. Es war zwar nicht so sonnig wie gestern, aber trotzdem ziemlich warm. Editha spazierte und Timo fuhr durch die ruhigen Straßen des Dobbenviertels. Sie überquerten die Hauptverkehrsstraße, die Ofener Straße, wenn sie sich recht entsann, und kamen nach ein paar Querstraßen, die wieder relativ ruhig waren, bei ihrem Ziel an.

      Das Gebäude, zu dem sie mussten, sah sehr schön aus. Es war mit einem hellbraunen Stein geklinkert und helleren, beigen Steinen abgesetzt. Das und der kleine Turmausbau an der Vorderseite gaben ihm ein fast schloss-ähnliches Aussehen. Der Eingang befand sich an der Seite. Timo ließ sein Gefährt vor der Treppe stehen und sie gingen hinein.

      Drinnen nannte sie ihren Namen und verwies auf ihren Termin. Ihr wurde