Michael Vahlenkamp

Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller


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sofort eifrig ans Werk. Und sie ebenfalls.

      Das Kirchenbuch hatte ein Personenregister. Also suchte sie zunächst nach dem Namen »Riekmüller«. Sie fand auch einige, die ihr allerdings schon bekannt waren. Die weiteren Eintragungen hatten eine leicht abgewandelte Schreibweise: »Riekhmüller« mit »h«. Das musste sie sich genauer ansehen. Sie wählte also die im Register genannten Seiten. Dort waren die Daten von Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen vermerkt sowie die Geburts- und Sterbedaten der jeweiligen Personen. Vom Standesamt hatte sie ja bereits die Daten ihrer Urgroßeltern erhalten. Diese verglich sie mit den Daten im Kirchenbuch und fand schließlich ihre Ururgroßeltern, bei denen sich der Nachname also noch anders schrieb. Das »h« ist dann wohl nach dieser Generation unter den Tisch gefallen, warum auch immer. Von den Seiten fertigte sie sich eine Kopie an.

      Auf diese Weise ging sie weiter vor, und sie fand die Daten ihrer Vorfahren bis ins Jahr 1835 zu ihren vier Mal Ur-Großeltern. Dort endeten die Einträge im Personenregister, die Kirchenbücher reichten aber noch weiter zurück. Die Suche wurde also mühseliger, denn sie musste alle Seiten durchblättern. Irgendwann entdeckte sie ihre fünf Mal Ur-Großeltern. Und nach langer Suche, als sie fast aufgeben wollte, fand sie zwar nicht den Namen »Riekhmüller«, aber »Riekhen«. Sollte es vorher schon einmal eine Änderung des Namens gegeben haben? Warum nicht? Vielleicht war einer ihrer Vorfahren ein Müller und deshalb wurde aus »Riekhen« irgendwann »Riekhmüller«. Auch von dieser Seite machte sie eine Kopie.

      Ihre sechs Mal Ur-Großeltern hießen demnach vermutlich Herold und Cecilie Riekhen. Das war enttäuschend. Denn die Jahreszahlen in dem Buch vom Dachboden lagen zeitlich zwischen den Jahresdaten von Geburt und Tod des Ehepaars Riekhen, das passte also. Die Initialen stimmten aber nicht.

      Deshalb forschte sie eine weitere Generation zurück und fand, nach erneuter langer Suche, noch mal den Namen Riekhen. Jedoch passten die Initialen wieder nicht, denn ihre sieben Mal Ur-Großeltern hießen Diether und Alheyt. Außerdem waren die beiden schon viele Jahre, bevor das Buch verfasst wurde, gestorben. Der Sohn, Herold, war noch ein Kind.

      Timo wurde langsam maulig. Er hatte keine Lust mehr, zu malen. Ständig fragte er, wann er denn wieder Gokart fahren könnte und ob er es nicht ein wenig auf dem Flur tun könnte.

      Sie machte schnell Kopien von den letzten gefundenen Seiten und verließ den Platz.

      Mit Timo im Schlepptau suchte sie noch einmal die Dame an der Information auf.

      »Entschuldigen Sie bitte, ich hätte eine Frage«, sagte Editha. Die Frau lächelte sie an. »Ist es möglich, dass in den Kirchenbüchern Einträge fehlen?«

      »Theoretisch schon«, antwortete die Frau, eine graue Maus in den Vierzigern. »Die Kirchenbücher sind nur so vollständig, wie die Pastoren, die sie führten, gewissenhaft waren.

      »Also könnte es sein, dass eine Person komplett fehlt?«

      »Das ist eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist in dem Fall, dass von einer Person ein kirchliches Ereignis nicht eingetragen ist, dass zum Beispiel die Trauung fehlt.«

      Editha war enttäuscht. Was sollte sie nun tun?

      »Wissen Sie, ich bin mir ziemlich sicher, dass einer meiner Vorfahren, der Ende des 18. Jahrhunderts gelebt hat, die Initialen ‚J‘ und ‚R‘ hatte. In den Kirchenbüchern ist aber niemand mit diesen Initialen zu finden.«

      Die Dame lächelte geduldig weiter.

      »Sie könnten es mal im Staatsarchiv probieren. Dort gibt es über die kirchlichen Daten hinausgehend noch andere Daten für die Ahnenforschung.«

      »Staatsarchiv? Und wo finde es das?«

      Die Dame griff nach einem Notizzettel, gab etwas in ihren Computer ein und schrieb die Adresse auf. Editha nahm den Zettel entgegen.

      »Am Damm«, las sie laut. »Können Sie mir sagen, wo das ist?«

      »Im Innenstadtbereich. Dort müssen Sie sich aber auch einen Termin holen.«

      »Mist! Dann kann ich ja wieder ein paar Tage warten.«

      »Die Zeit können Sie aber nutzen: Sie können bereits online recherchieren, welche Dokumente für Sie interessant sein könnten.«

      Am nächsten Vormittag kam sie mit ihrem Artikel für die Zeitung gut voran. Die Handwerker waren heute vergleichsweise ruhig. Die schlimmsten Arbeiten hatten sie am Vortag erledigt, weil sie da den alten Kaminschacht abgerissen hatten. Nun hatten sie anscheinend leisere Aufgaben zu erledigen. Auch Timo hatte sie weitgehend in Ruhe arbeiten lassen, sodass sie mit dem, was sie geschafft hatte, sehr zufrieden war.

      Nun wollte sie die Zeit nutzen, in der Timo seinen Mittagsschlaf hielt, und sich wieder ein wenig ihrer privaten Ahnenforschung widmen. Im Internet fand sie die Homepage des Oldenburgischen Staatsarchivs und dessen Telefonnummer. Sie rief an und vereinbarte einen Besuchstermin, der leider erst am Ende der folgenden Woche war. Aber sie konnte ja schon in der Online-Recherche suchen, was sie auch sofort begann.

      Als erstes stellte sie einen Benutzungsantrag, den sie für ihren Vor-Ort-Termin benötigen würde, wie ihr der Herr am Telefon sagte. Dann rief sie die Recherche-Funktion auf und fand eine Gliederung der im Archiv vorhandenen Dokumente vor mit einer enormen Anzahl von Untergliederungspunkten. Wenn sie sich dort überall durchklicken wollte, würde sie am Sonntagabend noch hier sitzen. In der Titelleiste entdeckte sie den Begriff »Suche«. Also klickte sie darauf. Es erschien ein Fenster, in das sie einen Suchbegriff eingeben konnte. Sie tippte »Riekhen« ein. Insgesamt gab es 94 Treffer, allerdings für ganz Niedersachsen. In der Navigationsleiste bestand die Möglichkeit, die Suche nach Regionen weiter einzugrenzen. Neben »Oldenburg« stand in Klammern eine 39. Also klickte sie hierauf. Und wieder erschienen viele Untergliederungspunkte, jeweils mit der Anzahl der Treffer dahinter.

      Da sie nicht genau wusste, wonach sie hier eigentlich suchte, klickte sie diese der Reihe nach an. Das meiste von dem, was daraufhin auf der rechten Seite erschien, überflog sie nur kurz, bevor sie es als uninteressant einstufte und sich dem nächsten Dokument widmete. Dabei waren Dinge wie Militärsachen und Kirchensachen, ein Dokument sollte von einer Jagdverletzung eines Riekhen handeln, ein anderes von einer Zollstrafsache. Die meisten dieser Dokumente konnte sie aufgrund der nicht zutreffenden Jahreszahlen von vorneherein ausschließen.

      Als sie dann bei den Untergliederungspunkten auf »Oldenburgische Vogteien« klickte, wurde rechts endlich ein Dokumenttitel angezeigt, der interessant klang. Es handelte sich um einen Übertragungskontrakt zwischen Diether von Riekhen und der Grafschaft Oldenburg aus dem Jahre 1768. Sie konnte sich dazu noch eine Detailseite aufrufen, die sie ausdruckte. Dieses Dokument wollte sie sich auf jeden Fall ansehen, wenn sie das Staatsarchiv aufsuchte.

      Sie dachte über den Titel des Dokuments nach. Zum einen fiel natürlich das »von« im Namen auf. Sie holte die Kopie aus dem Kirchenbuch hervor. Tatsächlich, das hatte sie vorher übersehen: Auch hier stand »Diether von Riekhen«. Sein Sohn Herold hieß aber nur Riekhen, ohne »von«. Ungeheuerlich, welche Wandlung der Name durchgemacht hatte: Aus »von Riekhen« wurde »Riekhen und danach kamen »Riekhmüller« mit »h« und »Riekmüller« ohne »h«. Aber wie es wohl zu dem Wegfall des Adelsprädikats kam?

      Doch in dem Zusammenhang fiel noch etwas anderes auf: Zur gleichen Zeit wurde ein Besitz Diether von Riekhens an das Herzogtum Oldenburg übertragen. Dort stand zwar nicht, um welche Art von Besitz es sich dabei handelte, aber wenn es extra eine Urkunde dafür gab, musste es einen gewissen Wert gehabt haben, wie beispielsweise Grundbesitz.

      Sie rief die Suchfunktion erneut auf und gab »Herzogtum« ein, doch bereits bei der Eingabe merkte sie, dass sie damit nicht weiterkommen würde. Denn allein »Herzogtum« hatte über 13.000 Treffer, und dann gab es noch weitere Varianten, wie zum Beispiel »Herzogtums«, »Herzogthum« und »Herzogtume«. Deshalb versuchte sie es mit der Kombination aus »Herzogtum« und »Übertragungskontrakt«. Dafür gab es 12 Treffer. Danach probierte sie die anderen Varianten und kam auf insgesamt 33 Treffer, von denen 27 zeitlich nach dem Kontrakt Diether von Riekhens ausgestellt wurden. Von allen druckte sie sich die Detailseiten aus.

      Sie sah auf die Uhr.