Michael Vahlenkamp

Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller


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und las ihn sorgfältig durch. Er war zwar auch in altdeutscher Schrift verfasst, aber es handelte sich um Druckschrift, die sie einigermaßen entziffern konnte. In dem Dokument stand, dass das gesamte Grundeigentum inklusive aller Gewerke an das Herzogtum Oldenburg übergegangen war, und zwar ohne Gegenleistung. Unter Zuhilfenahme natürlicher Begrenzungen wie Bäche und Erhebungen war angegeben, wo sich die Ländereien befanden.

      Editha runzelte die Stirn. Sehr eigenartig: Warum wurde der gesamte Landbesitz Diether von Riekhens, mit allem, was sich darauf befand, einfach an das Herzogtum übergeben? Das war ja quasi eine Enteignung.

      Ob so etwas öfter vorkam? Sie nahm sich die 27 weiteren Kontrakte und ging sie einen nach dem anderen durch. Tatsächlich kam es noch mehrmals vor, dass Grundeigentum in den Besitz des Herzogtums überging. Aber es wurde auch Grundeigentum vom Herzogtum an Bürger übereignet. In einem Fall behandelten zwei zeitlich aufeinander folgende Kontrakte das gleiche Landstück, das zuerst von einem Bürger auf das Herzogtum überging und einige Tage später auf einen anderen Bürger.

      Das brachte Editha auf eine Idee: Vielleicht wurde Diether von Riekhens Grundbesitz ja ebenfalls später einem anderen Bürger übereignet. Sie verglich die Daten der Ländereien mit denen der anderen Kontrakte. Beim neunten Dokument wurde sie fündig. Hierbei handelte es sich, bis auf ein kleineres Landstück, das nicht mit aufgeführt war, um die gleichen Ländereien, die früher Diether von Riekhen gehörten. Diese wurden drei Jahre später an einen Barthel von Zölder übertragen für die Gegenleistung von einem Reichstaler.

      Editha wusste nicht, wie hoch der Wert eines Reichstalers gewesen war, doch sie war sich ziemlich sicher, dass er als Bezahlung für einen größeren Landbesitz niemals ausreichend gewesen war.

      Aber was war damals mit dem kleineren Landstück passiert, das nicht an diesen Barthel von Zölder gegangen war? Sie nahm den Übertragungskontrakt mit den Daten des Landstücks, ging damit an einen der Recherche-Computer und gab die Daten in die Suchmaske ein. Mehrere Dokumente wurden angezeigt: Zum einen natürlich die beiden Übertragungskontrakte und außerdem noch drei Pachtverträge für dieses Landstück. Sie notierte sich die Bezeichnungen der Dokumente und ging zu dem Herrn von vorhin, der die Dokumente – ausnahmsweise, wie er betonte – für sie heraussuchen wollte. Während der damit verbundenen Wartezeit begab sie sich kurz in den Vorraum und holte ihr Essen aus dem Schrank, um sich zu stärken. Danach galt es, schnell zurück an die Arbeit zu gehen.

      Die Pachtverträge für das Land lagen schon für sie bereit. Sie nahm sie mit zu ihrem Platz und sah sich den ersten an. Er wurde genau an dem Tag ausgestellt, als auch der Grundbesitz Diether von Riekhens an das Herzogtum übereignet wurde. Der Pächter des Landes war ein Bernhard Stuhrke. In einer Bemerkung war ausgeführt, dass er mit seiner Frau Martha in gleicher Weise wie bisher fortfahren soll, die auf dem Landstück befindliche Mühle zu bewirtschaften. Dann war noch der Pachtzins angegeben, mit dem Hinweis, dass dessen Höhe ebenfalls unverändert war.

      Editha nahm sich den zweiten Pachtvertrag vor, der 14 Jahre später abgeschlossen worden war. Sie las den Namen des Pächters und näherte sich mit ihrem Gesicht unwillkürlich dem Papier, weil sie nicht glauben konnte, was dort geschrieben stand: Herold Riekhen. Ihr Mehrfach-Urgroßvater war der spätere Pächter des Landstücks, das seinem Vater einmal gehörte. Warum war ihr das Dokument nicht schon bei ihrer Online-Recherche vom heimischen Computer aus aufgefallen? Ja, richtig, nachdem sie das Übertragungsprotokoll gefunden hatte, hatte sie sich so auf diese Spur fokussiert, dass sie die anderen Treffer gar nicht weiter durchgegangen war.

      In dem Pachtvertrag mit Herold Riekhen war, neben der Angabe des Pachtzinses und sonstiger Konditionen, wieder eine Bemerkung vorhanden: Er sollte mit seinem Bruder Jacob in gleicher Weise wie bisher sein Stiefvater fortfahren, die auf dem Landstück befindliche Mühle zu bewirtschaften.

      Und wieder starrte Editha überrascht auf das Papier. Jacob? Herolds Bruder? Also Jacob Riekhen? Da waren sie, die Initialen: J. R. stand für Jacob Riekhen. Das Buch war demnach vom Bruder ihres Soundsoviel-Urgroßvaters geschrieben worden.

      Merkwürdig nur, dass es in den Kirchenbüchern keinen Eintrag zu Jacob Riekhen gab, als wäre er nie geboren worden und auch nicht gestorben, zumindest nicht in Oldenburg.

      Sie warf noch einen Blick auf den dritten Pachtvertrag und wie sie schon vorher vermutete, war dieser mit dem Nachkommen Herold Riekhens abgeschlossen worden, von dem sie ja die Daten in den Kirchenbüchern gefunden hatte.

      Nun hatte sie alles, was sie wollte. Sie machte von den für sie interessanten Dokumenten Kopien und sortierte sie wieder an die richtigen Plätze.

      Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es soweit war, nach Hause zu gehen. Sie hatte ein älteres Mädchen aus dem Karatekurs zum Babysitten gewinnen können und die vereinbarte Zeit war bald herum.

      1788

      »Komme so bald wie möglich wieder zurück«, mahnte Herold. »Eigentlich brauche ich dich auch hier.«

      »Ja, ja.«

      Jacob war schon fast weg, froh mal fortzukommen. Bei der normalen Mühlenarbeit konnte er zwischendurch wenigstens mit Friedhelm herumulken, aber da der für die Reparaturarbeiten nicht zu gebrauchen war, hatte Herold ihn vorerst nach Hause geschickt.

      Jacob sollte wieder eine Besorgung in der Stadt machen. Herold hatte ihm etwas von dem Geld mitgegeben, das sie sich von Herrn von Elmendorff geliehen hatten und ihm aufgetragen, was er kaufen sollte. Also schmiss sich Jacob seine Hasenfelltasche über die Schulter und machte sich auf den Weg.

      Doch keine hundert Schritte von der Mühle entfernt kamen ihm ein Mann in den Vierzigern und zwei jüngere Kerle, die diesem sehr ähnlich sahen, entgegen. Was wollten die hier? Sie alle guckten grimmig, und sie sprachen miteinander, als sie ihn erblickten.

      Schließlich standen sie sich gegenüber.

      »Ist er das?«, fragte der Ältere. Er war nicht viel größer als Jacob, aber sehr kräftig gebaut.

      Der Kerl zu seiner Linken nickte. Er und der andere waren wohl ein paar Jahre jünger als Jacob. Sie hatten die typische schmächtige Statur von Heranwachsenden.

      »Wer soll ich sein?«, fragte Jacob. Er kannte weder den Älteren noch seine Söhne. Was sollte er mit ihnen zu tun haben?

      Anstatt zu antworten, stellte der Ältere ihm eine Frage.

      »Kennst du meine Tochter Clara? Ungefähr so groß,« er zeigte eine Höhe mit der flachen Hand, »braunes, langes Haar.«

      An Clara konnte Jacob sich allzu gut erinnern. Aber er hatte das Gefühl, dass es besser war, sie erst mal nicht zu kennen.

      »Hm, sagt mir nichts. Wieso?«

      »Meine Söhne hier sagen aber, dass du es bist, den sie meint. Vor einigen Wochen hast du mit ihr auf dem Markt angebändelt.«

      Jacob zuckte mit den Schultern. Er hatte zwar mit Clara ein paar äußerst süße Stunden verbracht, doch das war nicht gerade etwas, das man ihrem Vater und ihren Brüdern anvertraute.

      »Tut mir leid, dass ich euch da nicht weiterhelfen kann.«

      Er wollte weitergehen und die drei einfach stehenlassen, aber der Alte packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest.

      »Wir sind noch nicht fertig, Jungchen. Clara ist schwanger.«

      Ach, du Scheiße, das fehlte ihm noch.

      »Äh - das war ich nicht.« Er merkte selber, wie dumm das klingen musste. »Kann sein, dass ich ihr auf dem Markt begegnet bin, aber wir haben nur kurz miteinander gesprochen.«

      »Clara sagt aber, dass du der Einzige bist, mit dem sie je zusammengewesen ist. Du musst dazu stehen, sie heiraten und sie und das Kind versorgen.«

      »Nie und nimmer! Ich bin nicht der Vater des Kindes.«

      Jacob erinnerte sich, dass er Clara entjungfert hatte. Doch das hieß ja nicht, dass sie nicht hinterher etwas mit anderen Männern gehabt hatte.

      »Clara behauptet es aber.«