Ivy Bell

Als Lilly schlief


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Besseres zu tun hat, als sich über alles und jeden aufzuregen. Wo war die alte Eva, die gute Laune hatte, lachen konnte und Spaß hatte? Es konnte doch nicht sein, dass Georg sie nicht nur verlassen, sondern auch ihre Lebensfreude mitgenommen hat?

      So groß der Schock damals auch gewesen war, als Georg ihr eröffnet hatte, dass er sie verlässt, weil er mit dieser ewigen Lüge nicht mehr Leben kann, nach 12 Jahren müsste sie doch endlich darüber hinweg sein.

      Es war schon ein harter Schlag für sie, zu erfahren, dass Georg sich in einen Mann verliebt hatte. Das war fast noch schlimmer als der Moment, als er ihr eröffnete, dass er nicht mehr mit ihr zusammen leben möchte, weil er sich zu jemand anderem hingezogen fühlte, der seine Gefühle auch erwiderte. Wäre die andere Person eine Frau gewesen, so hätte sie wenigstens noch um ihn kämpfen können, aber so erschien ihr das alles hoffnungslos.

      Georg hatte ihr damals gesagt, dass er bereits öfter an seinen Gefühlen gezweifelt hatte, dass er sich schon früher zu Männern hingezogen gefühlt hatte. Seine Erziehung hatte ihm aber verboten, diesen Gefühlen nachzugeben. Er war der Meinung, das gehört sich nicht und wollte ein Leben wie alle seine Freunde, mit einer Frau und Kindern. Das mit den Kindern hatte nicht geklappt, was Eva inzwischen auch nicht mehr verwunderte. Georg war zwar ein sehr netter, liebevoller Mann, hatte allerdings nicht so häufig das Bedürfnis gehabt, mit ihr zu schlafen. Eva hatte sich darüber manchmal gewundert, aber sie hatte es akzeptiert. Im Nachhinein war ihr natürlich klar, warum Georg sie nicht so begehrenswert gefunden hatte. Ihr fielen die Blicke ein, die er dem hübschen Spanischen Kellner auf ihrer Hochzeitsreise zugeworfen hatte. Es hatte ab und zu solche Blicke gegeben, damals hatte sie diese nie ernst genommen. Georg musste darunter gelitten haben, seine wahre Neigung so lange zu verbergen, jetzt erschien ihr das furchtbar. Überhaupt hatte dieser Tag sie endlich einmal zum Nachdenken gebracht. Sie lebte seit 12 Jahren in einem Cocoon aus Verbitterung und Selbstzweifeln, anstatt ihr Leben in die Hand zu nehmen. Es hatte nicht an ihr gelegen, dass Georg gegangen war, das hatte er ihr auch versichert, aber sie ist in so ein tiefes Loch gefallen, hat sich allem gegenüber verschlossen und so viele Jahre ihres Lebens vergeudet. Sie hat sich gehen lassen und keine Freude mehr empfunden. Georg hatte sich immer mal wieder bei ihr gemeldet, weil er sie noch sehr mochte, aber sie hatte das abgeblockt. In den letzten Jahren waren seine Anrufe seltener geworden, und Eva merkt, dass sie das zutiefst bedauert, denn Georg war, bevor er ihr Liebhaber und Ehemann wurde, eigentlich ein sehr guter Freund gewesen. Einer, den sie bis heute gerne mochte. Wenn sie ehrlich war, vermisste sie die Gespräche mit ihm mehr, als sie um die gescheiterte Ehe trauerte.

      Eva stößt einen tiefen Seufzer aus, starrt in die Dunkelheit und schwört sich, ab jetzt ihr Leben wieder zu leben und nicht mehr muffelig durch die Gegend zu laufen. Sie würde bei Familie Schulz klingeln und sich für ihr Benehmen entschuldigen. Sie würde sich auch bei Georg melden, schließlich mag sie ihn immer noch sehr und er hatte ihr ein ums andere Mal versichert, wie gerne er mit ihr befreundet bleiben möchte.

      Eva steht auf und schaut in den Spiegel. Ganz dringend muss sie zum Friseur. Sie hatt keine Lust mehr auf den Zopf, den sie ewig trägt, weil es so praktisch ist. Früher hatte sie sich gerne hübsch angezogen und sich die Haare frisiert, aber nach dem Outing von Georg war das alles vorbei. Wenigstens hat sie sich nicht mit Süßigkeiten voll gestopft, sie weiss, dass ihre schönen Kleider noch passen, sie hat verstohlen manchmal eins anprobiert, es hatte allerdings nie zu ihrer Laune gepasst. Eva probiert zaghaft, ihr Spiegelbild anzulächeln. Das hat sie schon lange nicht mehr getan, aber es tut ihr überraschenderweise sehr gut. Sie grinst breit in den Spiegel und ihre braunen Augen funkeln fast wie früher.

      Die alte Eva ist endlich wieder da.

      Um 6:30 Uhr ist die Nacht für Sophie vorbei. Felix erwacht und brüllt wie am Spieß, sie und die herbeigeeilte Schwester haben Mühe, ihn wieder zu beruhigen. Der Kleine leidet noch an den schrecklichen Erinnerungen des Unfalls, hatte unruhig geschlafen, immer wieder im Schlaf geschluchzt und sich eng an seine Mutter geschmiegt. Sophie fühlt sich völlig zerschlagen, sie hat das Gefühl, dass sie höchstens eine halbe Stunde geschlafen hat. So schlimm war es nicht mal gewesen, als Felix oder Nele Babys waren.

      Inzwischen hat Felix sich zwar beruhigt und spielt zufrieden mit einem Puzzle, aber schlafen möchte er leider nicht mehr, also bleibt Sophie nichts anderes übrig, als neben ihm zu sitzen und ihm beim Puzzeln zuzusehen. Sie hofft, dass sie bald nach Hause dürfen. Sie langweilt sich, schließlich kann sie mit Felix hier nicht viel machen, nicht mal der Krankenhausgarten bietet eine Abwechslung, denn es regnet in Strömen.

      Sophie gähnt, als neben ihr das Telefon klingelt. »Guten Morgen, mein Schatz, was macht unser Kleiner?«, begrüßt Oliver sie. »Er hat schlecht geschlafen und ist um halb sieben brüllend aufgewacht. Inzwischen hat er sich beruhigt, gefrühstückt und puzzelt. Ich bin hundemüde. Apropos Hund, ich hoffe, Fleck hat nicht wieder in meinen Ficus gepinkelt.« »Ich war schon mit ihm draußen, er ist ganz brav heute, hat gestern wohl auch einen Schreck bekommen. Ich komme bald zu Dir und löse Dich ein wenig ab, damit Du Dich ausruhen kannst. Nele fragt schon die ganze Zeit, wann ihr endlich nach Hause dürft.« Sophie seufzt »Ich hoffe, wir können nachher das Krankenhaus verlassen. Wenn der Arzt zur Visite kommt und sich Felix angesehen hat, erfahren wir mehr«.

      Oliver verabschiedet sich, er möchte Brötchen holen und mit Nele frühstücken, damit sie bald Sophie und Felix besuchen können, und Sophie schaut kurz hinaus in den Regen. Draußen ist alles trübe und grau, gestern war es noch so schön, heute gießt es in Strömen.

      Felix ruft sie, er hat ein Puzzleteil verloren und kann es in seinem Bett nicht finden. Die Suche nach dem fehlenden Teil bringt ihr wenigstens ein wenig Bewegung. Sie hat das Gefühl, sie sitzt hier schon Stunden herum. Sophie schaut auf die Uhr: Erst 8:20 Uhr??? Das kann nicht sein, sind denn noch keine 2 Stunden vergangen? Felix ist bald fertig mit seinem Puzzle, dann wird er sich langweilen, quengeln und nach Beschäftigung verlangen. Oliver hatte ihr zwar ein paar Spielsachen ins Krankenhaus gebracht, aber das war nichts gegen die eigene Wohnung, in der Felix mit seiner Schwester spielen konnte.

      Sophie fixiert die Zeiger der Uhr und wünscht sich magische Kräfte, die ihr die Fähigkeit verleihen, die Zeit schneller vergehen zu lassen.

      In dem Moment öffnet sich die Tür und der nette Kinderarzt erscheint. »Na Felix, wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?« Felix strahlt den Mann an, grinst und sagt: »Alles gut«. »Ich möchte dich gerne ein wenig untersuchen, damit wir sehen können, ob du bald wieder nach Hause darfst. Zeig mir mal bitte deinen Arm.« Felix hebt seinen Arm, der Arzt entfernt den Verband und begutachtet die Schrammen. Danach leuchtet er Felix mit einer Lampe in die Augen, hört ihn ab und betastet seinen Bauch. »War ihm irgendwann übel?« »Nein, er hat zwar unruhig geschlafen, aber schlecht war ihm nicht.« Der Arzt lächelt Sophie an. »Sie können wieder nach Hause gehen, Felix bekommt noch eine Salbe auf die Schrammen, aber es sieht alles sehr gut aus. Er soll sich noch ein wenig erholen, dann ist er bald wieder der Alte.« »Das ist schön. Ich habe aber noch etwas auf dem Herzen: Wissen Sie, wie es der jungen Frau geht, die Felix gerettet hat?« »Da kann ich Ihnen leider nichts sagen, sie liegt auf Station 4. Ich weiß nicht, ob Sie sie besuchen können. Vielleicht fragen Sie dort mal eine Schwester«.

      Eine Stunde später erscheint Oliver mit Nele. Felix fliegt Oliver in die Arme. »Ich darf nach Hause, Papa, ich darf nach Hause« jauchzt Felix vor Freude. »Das ist ja super mein Süßer, dann packen wir schnell Deine Sachen damit wir hier verschwinden können.« Sophie zupft Oliver am Ärmel und flüstert ihm zu: »Ich möchte mich gerne nach der jungen Frau erkundigen, die Felix gestern gerettet hat. Ich schaue noch mal auf Station 4 vorbei. Könntest Du in der Zwischenzeit alles einpacken und Dich darum kümmern, dass wir den Arztbericht bekommen? Ich beeile mich auch.«

      »Klar, ich warte hier auf Dich oder in der Eingangshalle.«

      Sophie fährt mit dem Fahrstuhl einen Stock höher und läuft die Gänge entlang zu Station 4. Dort ist es, im Gegensatz zur Kinderstation, sehr ruhig. Als Sophie eine Schwester