Ivy Bell

Als Lilly schlief


Скачать книгу

Sagrada Familia. Wir wollten dieses ewig unfertige Bauwerk von Antoni Gaudi unbedingt einmal sehen. Ich bin ziemlich erstaunt, wie hoch die vier Türme sind. Pablo erzählt uns, dass Gaudi eigentlich 18 Türme vorgesehen hatte, dass es aber keinen umfassenden definitiven Bauplan gibt, weil Gaudi immer mal wieder improvisiert hat und die Pläne nach Bedarf von ihm geändert wurden. Pablo schlägt uns vor, auf einen Turm zu gehen, man hätte von dort oben einen schönen Ausblick. Mia ist sofort begeistert und ich möchte mir vor Pablo auch keine Blöße geben, also zahlen wir und fangen mit dem Aufstieg an. Dass ich unter Höhenangst leide, verschweige ich Pablo. In den Türmen befinden sich ziemlich enge Wendeltreppen, und dummerweise kommen einem dort Leute entgegen, die absteigen. Das kenne ich aus Deutschland gar nicht, da gibt es in der Regel einen Weg nach oben und einen anderen nach unten, zumindest, wenn die Treppen so eng sind. Je höher wir steigen, desto mehr Panik bekomme ich. Dauernd drängen Menschen an mir vorbei, und immer möchte ich mich eigentlich an die Wand drücken, da wollen die absteigenden Leute aber auch hin und schubsen mich nach außen. Schließlich kommen wir an einen Ausgang und stehen auf einer Art Brücke, die zwei Türme miteinander verbindet. Ich bin von dem Aufstieg bis hier schon total fertig, Pablo sieht richtig erschrocken aus, als er mein angstverzerrtes Gesicht bemerkt. Bloß Mia feixt herum und macht ein paar Fotos von mir. Ich knurre sie an: »Die kannst du alle wegschmeißen«. »Garantiert nicht. Wenn du mal heiratest, baue ich die Bilder in eine Diashow ein«, kontert sie. »Wer solche Freundinnen hat, braucht keine Feinde mehr,« jaule ich und verkünde dann, dass ich mich sofort an den Abstieg machen werde, ich habe genug gesehen. Mia möchte noch weiter auf den Türmen herumkraxeln, sie hat nicht das geringste Problem mit Höhe. Sie ist aber einverstanden, dass Pablo mich lieber nach unten begleitet und wir dort auf sie warten. Wir machen uns an den Abstieg und nach einer Weile nimmt Pablo meine Hand. Er grinst mich an und meint, dass sei nur, damit ich keine Angst mehr habe und sicher wieder unten ankomme. Irgendwann haben wir es tatsächlich geschafft und stehen vor dem imposanten Bauwerk. Pablo hält immer noch meine Hand, was mich überhaupt nicht stört. Schließlich bin ich frei und ungebunden, vor mir liegen zwei Wochen Urlaub und einem netten, kleinen Flirt bin ich nicht abgeneigt.

      Die nächsten Tage sind wunderschön. Wir treffen uns mit Pablo, durch den wir auch Ecken in Barcelona kennen lernen, die man sonst als normaler Tourist vielleicht nicht entdecken würde. Pablo und ich flirten auf Teufel komm raus, und nach 3 Tagen küsst er mich das erste Mal. Wir sind in einem tollen Klub und tanzen, als ich irgendwann frische Luft schnappen möchte. Mia kann sich aber nicht von der Tanzfläche losreißen, so dass Pablo mich nach draußen begleitet. Wir stehen vor dem Klub herum, grinsen uns an und plötzlich nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich. Mir wird schwindelig, denn das ist mit Abstand der schönste und längste Kuss, den ich bis dahin je bekommen habe. Nach einer halben Stunde Knutscherei beschließen wir, dass es Zeit wird, wieder zu Mia zu gehen. Die sitzt einsam an einem Tisch und guckt etwas säuerlich. Als ich sie frage, was los ist, möchte sie bloß ins Hotel. Ich bekomme nichts aus ihr heraus. Auch an den nächsten Tagen wird sie immer ruhiger. Sie schlägt mir vor, dass wir mal einen Tag getrennt verbringen könnten. Pablo entführt mich an diesem Tag auf den Gipfel des Berges Montjuïc. Hier gibt es nicht nur die Festung Castell de Montjuïc, sondern auch viele schön angelegte Gärten. Wir streifen durch den wunderschönen Jardin de Joan Margalla, landen beim Palacio de Albéniz, einem Palast, in dem der spanische König bei seinen Aufenthalten in Barcelona wohnt, und setzen uns dort auf eine Bank vor einem Springbrunnen. Wir bewundern die farbenfrohen Blumen und schauen einem Hochzeitspaar beim Fototermin zu. Es ist alles so märchenhaft und unwirklich, wir sitzen dort, halten uns an den Händen und reden. Aber irgendwo in mir nagt etwas, ich habe das Gefühl, als hätte ich eine sehr wichtige Sache vergessen.

      Am Abend wird mir deutlich bewusst, was bzw. wen ich da die ganze Zeit vernachlässigt habe, meine allerbeste und treueste Freundin Mia. Die sitzt nämlich alleine im Hotel und sieht ein wenig verheult aus. Als ich in unser Zimmer komme, dreht sie sich schnell weg und wischt sich über die Nase, aber mir ist längst aufgefallen, dass sie geweint hat. »Mia, ist etwas passiert?«, frage ich. Mia schnaubt. »Was passiert, was passiert! Ha, Pablo ist passiert. Ich dachte, wir machen hier einen Mädelsurlaub, belohnen uns für unseren ganzen Stress mit der Lernerei, bevor das Studium losgeht. Aber du hast ja nichts Besseres zu tun, als dich dem erstbesten Spanier an den Hals zu werfen. Ganz toll, und ich darf das fünfte Rad am Wagen spielen.« Mia schnieft schon wieder, doch nun werde ich wütend. »Also erstens habe ich mich ihm nicht an den Hals geworfen, du hast mich darauf aufmerksam gemacht, dass da jemand vom Nebentisch herüber guckt. Außerdem warst du auch nicht abgeneigt, dir von ihm Barcelona zeigen zu lassen. Schließlich haben wir durch Pablo so jede Menge schöne Plätze kennen gelernt. Und wir hatten so viel Spaß im Aquarium, das war so ein lustiger Tag.« »Klar, für dich war es toll, ihr hattet reichlich Spaß beim Flirten. Du hast doch nicht einen Fisch gesehen, bloß Pablos schöne, braune Augen.« Ich merke, wie meine Wangen glühen und bevor ich noch etwas dagegen tun kann, kommen die Worte aus meinem Mund. »Du bist doch bloß sauer, dass ich jemanden kennen gelernt habe und du nicht.« Rumms, das war es. Mia schaut mich kalt an und verlässt das Zimmer. Sie dreht sich nicht um, knallt nicht mit der Tür, sie verschwindet einfach und lässt mich zurück und ich schäme mich schrecklich. Hat sie nicht vielleicht Recht? Habe ich mich zu schnell zu sehr an Pablo gehängt? Und meine liebste, beste Freundin im Stich gelassen? Ich habe wirklich fast nur noch von Pablo gesprochen, wenn wir alleine waren, und gar nicht gemerkt, dass Mia immer stiller wird. Mein Handy klingelt, es ist Pablo. Den kann ich nun gerade gar nicht gebrauchen, also stopfe ich das Handy unter ein Kissen und ignoriere das gedämpfte Klingeln. Irgendwann, es ist schon lange dunkel, beschließe ich, ins Bett zu gehen. Mia wird bald wieder kommen, zumindest hoffe ich das.

      Ich wache nachts auf, weil Mia beim ins Zimmer schleichen gegen einen Stuhl gestoßen ist. Sie hüpft auf einem Bein herum und hält sich den rechten Fuß, während sie durch zusammengebissene Zähne flucht. Leider muss ich bei diesem Anblick schallend lachen. Ich mache eine Nachttischlampe an und juchze: »Damit du nicht noch mit dem anderen Fuß irgendwo gegen rennst«. Mia guckt mich an und um ihre Mundwinkel zuckt es verdächtig. Schließlich lässt sie sich lachend auf unser Bett fallen, jault dann aber doch auf, weil ihr Fuß ziemlich weh tut. Ich gucke mir ihren kleinen Zeh an, der gerade anfängt, auf doppelte Größe zu schwellen. »Da wirst du wohl die nächsten Tage nur Flipflops tragen können.« Mia begutachtet ihren Fuß und jammert: »Ich habe gar keine mit, ich mag die nicht, diesen Plastikstreifen zwischen den Zehen. Außerdem rutsche ich da immer raus.« »Mia, es tut mir so leid, was ich da vorhin gesagt habe. Ich habe wirklich nur noch von Pablo geredet, Pablo hier, Pablo da. Ich weiß, dass du nicht neidisch bist. Kannst du mir verzeihen? Ich muss Pablo ja auch nicht dauernd treffen.« Mia legt den Kopf schief und guckt mich an, dann lächelt sie, nimmt mich fest in die Arme und murmelt: »Na ja, vielleicht bin ich ja ein ganz kleines bisschen neidisch. Ist ja wirklich ein sehr niedliches Exemplar von Spanier, was du dir da angelacht hast. Aber es wäre schön, wenn du auch mal mit mir sprichst, wenn wir zu dritt unterwegs sind.« Ich drücke meine beste Freundin ganz fest und verspreche ihr, dass wir an den letzten Tagen auch mal etwas alleine unternehmen, so, wie es ursprünglich geplant war. Und dieses Versprechen halte ich auch.

      Schade, ich bekomme meine Augen immer noch nicht auf. Ich weiß, dass Mia und Jan an meinem Bett sitzen, ich kann ihnen jedoch nicht mal begreiflich machen, dass ich nicht mehr schlafe, sondern eigentlich wach bin. Ach, das ist alles so merkwürdig. Diesen Urlaub in Barcelona hat es tatsächlich gegeben, aber er ist in Wirklichkeit etwas anders abgelaufen. Wir verbrachten nur einen Abend mit Pablo, denn vor unserer Prüfung habe ich gar nicht so fleißig gelernt, wie ich es gerade noch erlebte. Ich bin auf die Party von Lars gegangen und habe auf Teufel komm raus mit ihm geflirtet. Danach waren wir ein halbes Jahr zusammen. Mia war damals allerdings auch irgendwann etwas genervt, ich habe sie wirklich vernachlässigt, denn aus Barcelona rief ich vor lauter Sehnsucht öfter bei Lars an, bis ihr schließlich der Kragen geplatzt ist. Anscheinend war es doch vorbestimmt, dass wir uns mal wegen einem Mann streiten sollten. Leider ist meine Mathe-Prüfung damals nicht ganz so gut ausgefallen. Mia stattete der Party von Lars nur einen kurzen Besuch ab und ging dann noch lernen, aber