Ivy Bell

Als Lilly schlief


Скачать книгу

Mittag nach einem Autounfall eingeliefert wurde. Sie hat meinem Sohn das Leben gerettet und wurde dann selber von dem Auto erfasst. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie immer noch bewusstlos. Ich wüsste gerne, ob ich sie besuchen darf bzw. wie es ihr geht.« »Ach, Sie meinen bestimmt Frau Lilly Vogel. Sie liegt im Zimmer 422, ist leider noch nicht ansprechbar. Momentan sind gerade ihre Eltern bei ihr, vielleicht warten Sie, bis jemand aus dem Zimmer kommt und fragen nach. Ansonsten können Sie auch in den nächsten Tagen hier bei uns anrufen und sich nach ihr erkundigen. Ich würde Ihnen dann Bescheid sagen, wenn sie Besuch empfangen kann. Näheres darf ich Ihnen wegen der Schweigepflicht nicht sagen, aber ich kann gut verstehen, dass Sie sie gerne besuchen möchten.« Die Schwester lächelt sie an und Sophie entschließt sich, sich in den nächsten Tagen nach Lilly zu erkundigen und dann nochmal mit einem großen Blumenstrauß im Krankenhaus vorbeizufahren. Sie notiert sich den Namen der Schwester, die Telefonnummer der Station und den Namen von Lilly. Schließlich lungert Sophie noch ein wenig vor Lillys Zimmer herum, in der Hoffnung, dass jemand heraus kommt, von dem sie etwas über Lillys Zustand erfahren kann.

      Die kleine Apothekentüte in ihrer Tasche hat sie inzwischen völlig vergessen.

      Ich sitze über einem Mathematik-Lehrbuch und versuche, diese merkwürdige Formel zu kapieren. Mia sitzt neben mir, ist aber genauso ahnungslos wie ich, und das kurz vor der Abiprüfung.

      Ach, ich hätte mir doch ein anderes Prüfungsfach aussuchen sollen, dieser Lehrer ist komisch und kann den Lehrstoff einfach nicht gut vermitteln. Dabei war Mathematik immer eins der Fächer, die ich mochte, da hatte ich aber auch noch unsere freundliche, ältere Lehrerin. Sie konnte super erklären, bei ihr hat der Unterricht richtig Spaß gemacht. Deswegen haben Mia und ich es auch als Leistungskurs belegt, allerdings hat dann nicht die tolle Lehrerin den Kurs bekommen, sondern dieser dämliche, durchgeknallte Lehrer. Seitdem haben wir das Gefühl, Mathematik ist ein Buch mit sieben Siegeln. Aber es hilft nichts, wir müssen da jetzt durch. Mia guckt mich schräg an, grinst und meint: »Heute ist noch eine Party bei Lars«, sie lässt den Satz in der Luft hängen und wartet. »Man braucht doch auch mal eine Pause, oder?« Schiebt sie schließlich nach. »Klar, aber dann rassel ich nächste Woche durch die Prüfung. Ich weiß, es ist Wochenende, ich würde auch lieber tanzen gehen, aber jetzt ist Endspurt, wir haben es bald geschafft.« Ich seufze, stehe jedoch voll hinter dem, was ich gerade gesagt habe ….. also fast … ich tanze so gerne und außerdem mag ich Lars sehr. Ich war erstaunt, als er mich eingeladen hat, ich dachte immer, er nimmt mich gar nicht wahr. Aber er hat nächste Woche auch keine Mathe-Prüfung, sondern Sport und Geschichte, und das schafft er sicher spielend. Ich stehe auf, gehe zu meiner Anlage und lege die CD von den Stereo-MC´s ein, die wir gerade so toll finden. »Okay, eine halbe Stunde Tanzpause!«, rufe ich, und Mia fällt mir lachend in die Arme. Wir gehen zwar nicht auf eine Party, aber diese halbe Stunde tut uns so gut, dass wir danach sogar die Formel knacken. Endlich!

      Drei Tage später sitzen wir zusammen in der schriftlichen Mathe-Prüfung. Ich finde den Gedanken, 5 Stunden Aufgaben lösen zu müssen, immer ganz schlimm. Wenn mir nun nichts einfällt??? Dann vergeht der Vormittag, während ich ahnungslos die Unterlagen durchsehe und am Ende leere Blätter abgebe. 5 Stunden erscheinen mir immer viel zu lang, aber dann läuft es doch richtig gut. Ich arbeite konzentriert, kann die Aufgaben gut lösen und die Zeit vergeht ziemlich schnell.

      Als wir die Prüfungsunterlagen aushändigen müssen, schaue ich zu Mia hinüber, die mich anstrahlt. Wir verabschieden uns kurz von den Anderen, beschließen dann aber, lieber bei mir einen Tee zu trinken. Nach den Prüfungen geht nämlich immer diese nervige Vergleicherei los. »Was hast du bei Aufgabe 3 gemacht? Welches Ergebnis kommt bei Aufgabe 5 raus?« Alle stehen im Kreis und machen sich verrückt. Mia und ich mögen das nicht, wir können jetzt nichts mehr ändern. Aber wir haben beide ein sehr gutes Gefühl und sind stolz, dass wir am Wochenende lieber ein wenig gelernt haben, statt auf die Party zu gehen. Auf dem Weg zu mir kommen wir an einem netten Café vorbei. Ich möchte Mia gerade vorschlagen, dass wir auch dort etwas trinken können, da sehe ich durch die Fensterscheibe Lars, und er ist leider nicht alleine. Er hält Händchen mit Doro, die anscheinend die Gunst der Stunde bzw. die Gunst der Party genutzt hat, um Lars näher zu kommen. So ein Mist, mir steigen Tränen in die Augen. Mia erfasst die Situation blitzschnell und zieht mich weiter. Bei mir zu Hause setzt sie mich aufs Sofa und kocht eine Kanne Tee. »Wenn er so schnell was mit einer Anderen anfängt, ist er es nicht wert, dass du jetzt Trübsal bläst. Von deiner Schwärmerei wusste er ja schließlich gar nichts.« Ich schlucke, wische mir eine Träne von der Wange und schniefe: »Das wird er nun auch nicht mehr erfahren, der Schuft. Mensch, ich hatte mich so gefreut, als er mich gefragt hat, ob ich auf seine Party komme. Ich dachte, er mag mich.« Ich ärgere mich ein wenig, ich bin immer so schüchtern. Ich traue mich nie, die Jungs anzusprechen, die mir gefallen. Und wenn sie mich ansprechen, dann fange ich an zu stottern und werde rot. Okay, ehrlicherweise muss ich zugeben, dass Lars natürlich auch ein paar andere Mädchen aus unserem Jahrgang eingeladen hat, aber gefreut habe ich mich trotzdem. Mia knufft mich in die Seite. »Sei nicht traurig, in drei Wochen sitzen wir im Flieger nach Barcelona und machen uns eine schöne Zeit«. Ach ja, unsere »Hurra-wir-haben-es-geschafft« Reise. Das wird toll.

      Drei Wochen später, mit einem richtig guten Abi in der Tasche, geht es los. Wir fliegen nach Barcelona. Wir haben uns für diese Stadt entschieden, und nicht für Mallorca oder Ibiza, wie die meisten anderen, weil wir so viel Schönes darüber gehört haben. Man kann so einiges besichtigen, außerdem liegt Barcelona auch am Meer und wir können gleich mal unser Schul-Spanisch ausprobieren.

      Ich bin schon kurz nach der Landung hin und weg. Ich finde das immer wundervoll, man steigt in Deutschland in den Flieger, fliegt ein paar Stunden, landet am Meer und hat sofort diesen typischen, milden Meeresduft in der Nase. Im Winter, wenn ich über Silvester mit meinen Eltern nach Lanzarote abgehauen bin, um dem Geknalle zu entfliehen, ist es natürlich besonders schön. Man steigt aus der Maschine und die Luft ist warm und irgendwie weicher.

      Zuerst fahren wir mit dem Taxi in unser gemütliches, kleines Hotel, richten uns ein, machen uns frisch und beschließen dann, die Las Ramblas entlang zu laufen um ein nettes Restaurant zu suchen.

      Die Straße ist wunderschön und so voller Leben. Es gibt wahnsinnig viele hübsche Läden, rechts und links stehen Bäume, die Schatten spenden, überall sind Akrobaten und Straßenkünstler und jede Menge kleine Cafés. Schließlich finden wir ein schnuckeliges Restaurant, welches uns gefällt, setzen uns unter einen Sonnenschirm und beobachten die Menschen, die an uns vorbei flanieren. Irgendwann habe ich das Gefühl, dass ich beobachtet werde. Mia grinst mich an und flüstert mir zu: »Ich glaube, du hast einen spanischen Verehrer. Der Typ an dem Tisch rechts von uns guckt die ganze Zeit zu dir herüber«. Ich drehe mich verstohlen ein Stück in die angegebene Richtung und blicke in das strahlende Gesicht eines nett aussehenden Südländers. Ich kann gar nicht anders, als zurück zu grinsen. Das versteht er wohl als Aufforderung, er steht auf, nimmt seinen Kaffee und kommt zu uns an den Tisch. Er fragt uns, ob wir Spanisch, Deutsch oder Englisch sprechen können und als wir ihm sagen, dass wir aus Deutschland sind, fragt er in ziemlich gutem Deutsch, ob er sich zu uns setzten darf. Wir bejahen und erfahren dann, dass er Pablo heißt und aus Barcelona kommt. Er hat aber im letzten Jahr ein Auslandssemester in München verbracht. Er studiert Wirtschaft, wird aber im nächsten Semester fertig. Dann fragt er uns, wie lange wir schon in Barcelona sind, wie lange wir noch bleiben und was wir uns alles so ansehen möchten. Da er Semesterferien hat und nur an drei Tagen in der Woche jobbt, bietet er sich als Fremdenführer an. Pablo kann sehr interessant über seine Heimatstadt erzählen, und er sieht wirklich wahnsinnig gut aus. Er ist groß (okay, im Verhältnis zu mir sind ja eigentlich alle groß), hat wuschelige, schwarze Haare und verschmitzte, braune Augen. Wir reden und reden und merken kaum, wie die Zeit vergeht. Irgendwann fängt Mia an zu gähnen und ich spüre ebenfalls, dass ich vom Flug etwas erschöpft bin. Inzwischen ist es dunkel geworden, was dem Betrieb auf der Prachtstraße aber keinen Abbruch tut. Es sind immer noch wahnsinnig viele Leute unterwegs. Pablo begleitet uns netterweise zu unserem Hotel, wir tauschen unsere Handynummern aus und dann fallen Mia