Ewa A.

Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman


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ich werde lediglich seit Jahren auf Vaters Nachfolge gedrillt. Den Clifford Dukes wird nachgesagt, stets weise und nachsichtig zu handeln. Anscheinend zeigt meine Erziehung ihre ersten Erfolge.«

      Kolton öffnete seine Lider und betrachtete seine Schwester, die mit der Hochsteckfrisur aus ihren weißblonden Locken an diesem Abend besonders hübsch aussah. Zu Pearlenes Verdruss waren ihre Haare normalerweise aalglatt und nur ein Lockeneisen zwang sie in diese Form, was sie fortwährend bedauerte. Aber Kolton liebte Pearlenes Haar, das ihr weit über die Hüften reichte und wie eine Schneedecke in der Winternacht glitzerte, wenn sie es offen trug. Ihre großen Augen, welche ihn mit ihrem Hellgrün immer an die Frühlingsblumen erinnerten, verbargen sich hinter den trüben Gläsern eines schwarzen Nasenzwickers. Dieser stellte, nach Pearlenes Meinung, einen weiteren Makel dar, den sie aus tiefster Seele hasste. Sie glaubte, wenn ihre schlechte Sehfähigkeit keinen Mann abschrecken würde, dann erst recht der Nasenzwicker, weshalb sie jegliche Feste und Empfänge scheute. Kolton fand jedoch, dass der Umstand ihrer Kurzsichtigkeit sie nur noch entzückender erscheinen ließ, denn wenn sie etwas nicht erkennen konnte, kräuselte sie auf herrliche Weise ihre Nase. Bestimmt würde ein Mann, der Gefallen an ihr fand, sich nicht von den Augengläsern abhalten lassen, um ihre Hand zu bitten. Es war wirklich an der Zeit, dass Pearlene einen Ehemann suchte, weil ihre Selbstzweifel immer schlimmer wurden. Zu allem hin war sie mit ihren achtzehn Jahren älter als die gewöhnlichen Debütantinnen, die zum Teil schon mit fünfzehn in die Gesellschaft eingeführt wurden, was ihr die Sache noch weiter erschwerte.

      Der Junge bemühte sich, Pearlene aufzumuntern, weil er sich denken konnte, was ihn ihrem Kopf vor sich ging. »Pass auf dein Kleid auf, Schwesterherz! Nicht dass du es mit Wasserflecken ruinierst. Es steht dir nämlich ausgezeichnet.«

      Mürrisch verzog sich Pearlenes Mund und sie schaute unglücklich auf den glänzenden weißen Brokatstoff, der sich in weiten Lagen über dem Reifrock bauschte. Ihr Mieder trug dasselbe pastell-rosa Blumenmuster, das mit silbernen Stickereien durchwirkt war. Eine filigrane Spitze zierte den weiten Ausschnitt, der ihr Dekolleté betonte, und die Ärmel ihres silbernen Überkleides, welches außerdem eine faltenreiche Schleppe besaß.

      »Ach, ein paar Flecken spielen keine Rolle. Was soll die Schönheit eines Kleides denn schon bewirken, wenn es der Trägerin umso mehr daran mangelt?«

      »Pearlene …«, schnaubte Kolton resignierend, wurde jedoch von dem Auftauchen seiner Tante unterbrochen, die in einer dunkelgrünen Festrobe in sein Zimmer hineinrauschte.

      »Kolton, mein Lieber, wir sind so weit. Wir werden jeden Moment aufbrechen. Kann ich dir noch irgendetwas ans Bett bringen lassen?«, fragte die ältere Frau mit einem gütigen Lächeln.

      Während sich Pearlene erhob, antwortete Kolton: »Nein danke, Tante Deana. Falls ich etwas benötige, habe ich ja noch die Glocke, um nach dem Personal zu läuten.«

      Zärtlich strich Deana über Koltons Schopf und küsste ihn auf den Haaransatz. »Wie du meinst. Schlaf gut, mein Herz. Wir kommen nicht allzu spät nach Hause. Morgen geht es dir bestimmt besser.«

      »Sicher!«, bestätigte Kolton und Pearlene verabschiedete sich ebenfalls von ihm mit einem Kuss auf die Wange.

      »Träum süß, Brüderchen. Wir sehen uns morgen in der Früh.«

      Kolton lächelte spitzbübisch. »Gute Nacht, Pearlene, und … viel Vergnügen.« Sein abschließendes Augenbrauenzucken bedachte diese mit einem gespielten grimmigen Blick und schloss schweren Herzens die Tür.

      Gewöhnlich sahen alle Mädchen ihrem ersten Ball, auf dem sie in den Heiratsmarkt eingeführt wurden, in freudiger Erwartung entgegen, doch bei Pearlene hatte sich ein Unwohlsein breitgemacht, das mehr und mehr zunahm. Ihrer Ansicht nach war sie weder jung noch schön genug, um mehrere Bewerber anzulocken, unter denen sie wählen konnte. Allein ihr Vermögen und ihr familiärer Hintergrund, so vermutete sie, würde ihr die Aussicht auf einen, wenn sie viel Glück hatte, vielleicht auch auf drei Bewerber ermöglichen. Dass diese wahrscheinlich eher habgierige Mitgiftjäger sein würden als heißbegehrte Junggesellen des englischen Hochadels, die sich nach ihr verzehrten, versüßte ihr die Angelegenheit noch weit weniger.

      Da ihr Vater die letzten Jahre zu oft ans Bett gefesselt gewesen war, waren seine Aufgaben und Pflichten ihrer Mutter obliegen geblieben, die diese zusätzlich zu bewältigen hatte. Zwar hatten Onkel Stuart und Tante Deana ihren Eltern geholfen, wo es ging, da die Familie stets zusammenhielt, aber auch sie selbst hatte ihre Mutter die ganze Zeit über tatkräftig unterstützen müssen. Dies hatte nicht nur die Pflege des Vaters betroffen, sondern auch die Haushaltsführung und die Verwaltung der Güter und Ländereien. Dabei war die Suche nach einem Ehemann für sie ins Hintertreffen geraten. Allerdings musste Pearlene zugeben, dass sie diese nicht forciert hatte. Sie war sich schon immer über ihr bescheidenes Äußeres und den daraus resultierenden Chancen auf dem Heiratsmarkt im Klaren gewesen. Nein, sie war gewiss keine Schönheit, so, wie ihre jüngere Cousine Reeva, die in der Eingangshalle mit ihrem Vater, Onkel Stuart, bereits auf Deana und sie wartete.

      Reeva sah wunderhübsch aus, in ihrem lindgrünen Kleid, das jede Kurve ihrer üppigen Figur betonte, welche ganz dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Pearlene beneidete ihre Cousine, besonders um die braunen Naturlocken, die sich elegant um ihren Hals ringelten. Im Gegensatz zu Reeva hatte sie weder eine zierliche Stupsnase noch einen kleinen, süßen Mund, sondern einen langen, schmalen Nasenrücken, der über einem genauso überdurchschnittlich breiten Mund thronte. So hinreißend Reeva ihr erschien, so farblos und altbacken kam sich Pearlene neben ihr vor. Hellblond, zierlich und dann noch mit den Augengläsern auf ihrer langen Nase, würden die Herren sie wohl für den schlechtesten Fang des Abends halten.

      Vorsichtig stiegen die beiden Frauen die Treppe hinab, um nicht über ihre ausladenden Röcke zu stolpern. Onkel Stuart musterte die Frauen mit einem stolzen Lächeln.

      »Myladies, es ehrt mich euer Begleiter sein zu dürfen. Ihr seht allesamt bezaubernd aus.«

      Als zwei Diener Pearlene und Deana die Capes umlegten, griff Reeva indessen nach dem Arm ihres Vaters. »Papa, gib sie ihr doch bitte jetzt, damit sie sie genau anschauen kann. In der Kutsche ist es zu dunkel, als dass man erkennt, wie wunderschön sie gearbeitet ist.«

      Verwundert spickte Pearlene zu ihrer Cousine, die sie gespannt anlächelte. Auch Deana und Stuart war anzusehen, dass sie etwas vor ihr geheim hielten. Schließlich holte ihr Onkel, mit einem Grinsen, eine Schachtel hinter seinem Rücken hervor, die er Pearlene reichte.

      »Reeva hat Recht. Hier kannst du dein Geschenk in Ruhe und vor allem in genügend Licht betrachten.«

      »Ein Geschenk? Für mich?«, stammelte Pearlene überrascht und nahm die Schachtel strahlend entgegen.

      Reeva eilte an ihre Seite. »Schnell, mach es auf! Ich will wissen, ob es dir gefällt. Es war meine Idee. Ich habe Mutter beim Aussuchen geholfen.«

      Noch neugieriger als zuvor begann Pearlene, das Geschenk zu öffnen, und zum Vorschein kam eine Schatulle, in der eine Brille steckte, die sie in dieser Art noch nie gesehen hatte. Die Brille hatte einen herausklappbaren Griff, an dem man sie sich vor das Gesicht halten konnte. Die Gläser waren von weißem Perlmutt eingefasst, das herrlich schimmerte und sich in golden bemalten Schnörkeln kunstvoll weiterrankte. Mehrere winzige, klar funkelnde Edelsteine machten aus der Brille mehr ein Schmuckstück als einen Gebrauchsgegenstand. Sie sah beinahe aus wie eine venezianische Halbmaske. Vor allem freute sich Pearlene jedoch darüber, dass sie sich nun nicht mehr ständig den Nasenrücken einquetschen müsste, sondern die Brille bloß vor die Augen zu halten brauchte, wenn sie in der Ferne etwas genauer sehen wollte. Mit dieser extravaganten Brille würde sie sich nicht völlig zum Gespött des Abends machen.

      Tränen der Rührung vernebelten Pearlene die Sicht, als sie glücklich ihre Cousine anlächelte. Vor einer kleinen Ewigkeit hatte sie Reeva ihre Ängste anvertraut, wegen ihrer Makel keinen Ehemann zu finden. Dieses Geschenk zeigte, dass sie Reeva ernst genommen und nicht vergessen hatte, mehr noch sogar, dass sie ihre ältere Cousine liebte.

      »Sie ist … wundervoll. O mein Gott, Reeva. Ihre Form … Sie ist fantastisch! Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei euch bedanken