Roberta C. Keil

Sommer des Zorns


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tust du hier?“

      „Dir anbieten, dich mit nach Hause zu nehmen?“

      „Du bist mir gefolgt.“ Diese Erkenntnis trübte meine Erleichterung über sein Erscheinen. „Hat Jack dich geschickt?“

      „Ich habe nicht mit Jack gesprochen. Und zugegeben, jetzt zu behaupten, ich sei zufällig hier, wäre glatt gelogen. Aber scheint so, als hätte es einen Sinn gehabt. – Also: Kommst du nun mit? Oder muss ich dich deinem Schicksal überlassen?“

      Ich gab mich geschlagen. Durch seine Anwesenheit hatte ich das Glück, nun unbeschadet nach Hause zu kommen. Wir gingen zu seinem Dodge Ram Pickup.

      Als Aiden so vor mir herging, fiel mein Blick auf seine Hüften und auf das Messer, das er stets am Gürtel trug. Für einen kurzen Moment zuckte ein Gedanke durch meinen Kopf. Was, wenn er… - nein! Das würde er nicht tun! Warum sollte Aiden die Reifen an meinem Wagen zerstechen? Vielleicht, um mir Angst zu machen und damit meine Ausflüge nach Phoenix zu verhindern? Aber mit welchem Sinn? Was brachte es ihm, wenn ich Angst hatte? Der ernste Blick, als ich letztens abends wegfuhr kam mir wieder in den Sinn. Wusste er schon länger als ich ahnte, was ich hier in Phoenix so tat?

      Ich stieg in den Pickup und schnallte mich an. Aiden startete den Motor. Das tiefe Brabbeln des Fünf-Liter-Motors übte eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Wir waren oft gemeinsam mit dem Dodge auf der Ranch unterwegs. Ich schob meine Gedanken weg.

      „Wärest du mit ihm gegangen?“

      „Nein.“

      „Warum nicht?“

      „Warum sollte ich? – Ich gehe nicht mit jedem Mann.“

      „Warum mit diesem David in jener Nacht?“

      „Das war etwas Anderes.“

      „Was war anders?“

      „ER war anders! Warum willst du das wissen, McLeod? Es geht dich nichts an!“

      „Ich versuche, dich zu verstehen.“

      Ich lehnte meinen Kopf an die Kopfstütze und drehte ihn zu ihm hin, sah ihn an.

      „Warum?“

      „Nimm es doch einfach hin: Ich versuche, dich zu verstehen!“

      „Es wundert mich, Bruder.“

      „Bruder? – Du siehst mich also wirklich noch als Bruder?“

      Das Wort Bruder schlüpfte unbeabsichtigt über meine Lippen. Ich benutzte es schon lange nicht mehr. Früher, in unserer Schulzeit, hatte ich Aiden gerne als meinen Bruder ausgegeben. Das beeindruckte vor allen Dingen die frechen Jungs, die mich ständig ärgerten. Vor Aiden hatten sie Respekt. Und die Tatsache, ihn zum Bruder zu haben, verhalf mir ebenso zu Respekt.

      Ich lachte und er suchte sich kopfschüttelnd den Weg durch die Straßen von Phoenix, bis er die Interstate erreichte.

      Ich war müde und hatte keine Lust auf solche komplizierten Gespräche. Ich wollte meine Ruhe haben und starrte aus dem Fenster in die Nacht. Dachte an David. Woher kannte Aiden den Namen? Ich hatte nicht mit ihm darüber gesprochen. Oder doch? Hatte er gelauscht, als Billy im Büro mit uns sprach? Ich war mir sicher, diesen Namen in seiner Gegenwart nicht ausgesprochen zu haben. Wir hatten über Ted gesprochen, aber nicht über David. Mit Aiden wollte ich darüber nicht reden. Vielleicht war es doch Jack? Ich schüttelte leicht den Kopf.

      Aiden schwieg ebenfalls. Endlich, etwas mehr als eine Stunde später, bogen wir in die Auffahrt der Ranch ein. Er stoppte jäh den Wagen.

      „Hör zu Jacky, es war kein Zufall, meine Anwesenheit heute Abend dort. Ich wollte nicht, dass sich das von letzter Woche wiederholt. Ehrlich gesagt habe ich mir etwas Sorgen gemacht. Dachte, du würdest den nächsten Fehler begehen.“

      „Den nächsten Fehler? Ich verstehe nicht ganz, was du meinst? Ist es in deinen Augen ein Fehler, mich zu amüsieren? – Weißt du was, Aiden McLeod? – Ich brauche keinen Aufpasser. Wenn das so wäre, hätte ich meinen Dad mitgenommen. – Danke fürs Mitnehmen.“

      Ich öffnete abrupt die Tür und sprang aus dem Pickup. Wütend fragte ich mich, was Aiden sich einbildete? Und ich wollte es lieber die halbe Meile bis zum Haus laufen, als mir seine Heldentaten noch einen Moment länger anhören zu müssen.

      Aiden ließ den Pickup langsam neben mir her rollen. Das Fenster hatte er hinuntergelassen.

      „Jacky, komm, steig ein. So war das doch nicht gemeint. Aber du hattest wirklich genug Schwierigkeiten in den letzten Wochen. Komm schon, Springfield.“

      Entschlossen setzte ich meinen Weg fort. Ich würde nicht in seinen Truck einsteigen.

      Der Motor verstummte und ich hörte wie die Autotür zuschlug. Aiden fasste mich am Arm, als er mich erreichte und brachte mich zum Stehen.

      „Jacklyn. Bitte.“

      „Was?“

      „Ich – ich habe mir einfach Sorgen gemacht, du würdest dich wieder mit dem Falschen einlassen.“

      Ich starrte ihn an. Jeder war der Falsche. Das wusste niemand besser als ich.

      „Willst du damit sagen, du weißt, wer der Richtige für mich ist?“

      „Ja, das weiß ich.“ Er kam näher zu mir heran. Seine Hand lag immer noch auf meinem Oberarm.

      „Ach ja, Mr. Neunmalklug. Und wer sollte das sein?“

      „Na, der hier!“

      Aiden zog mich an sich und ich glaubte es kaum, aber er drückte seine Lippen auf meine. Erst etwas vorsichtig, er war eher der zurückhaltende Typ. Doch dann legte er die Arme um meine Hüften und konzentrierte sich ganz auf das, was er vorhatte. Ich war angenehm überrascht, wie zärtlich und weich seine Lippen waren.

      Und in mir breitete sich das Gefühl aus, nach Hause zu kommen, als ich seinen Kuss erwiderte. Ich schloss die Augen und genoss seine Lippen, seine Zunge, seinen Geschmack, sog seinen Geruch in mich auf. Ich schmiegte mich an ihn.

      „Du gehörst zu mir, Springfield. Das wollte ich dir schon lange sagen.“

      Er zog mich fest an sich und ich genoss die Geborgenheit. Ja, hier war ich zu Hause. So fühlte es sich zumindest an. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Umarmung verharrten, bevor er mich noch einmal küsste, lang und intensiv. Noch nie hatte ich einen Kuss als so wunderbar empfunden. Ich wünschte mir zum ersten Mal einen unendlichen Moment. Aber der Kuss endete, irgendwann.

      „Morgen wird ein harter Tag. Und wir müssen dein Cabriolet aus Phoenix holen. Wir sollten jetzt nach Hause gehen.“

      Ich nickte und gab ihm Recht. Also stieg ich in den Truck und ließ mich vor dem Haus absetzen. Noch immer tief unter dem Eindruck dieses Ereignisses stehend, verschwand ich im Haus und in meinem Zimmer. Lange blieb ich noch wach, dachte an Aiden. Ich hatte aus meinem Fenster gesehen, wie er den Wagen vor seinem Häuschen parkte, sich beim Aussteigen noch einmal umdrehte und mir kurz zuwinkte. Er wusste, wo ich mich befand. Wusste, dass ich noch am Fenster stand und ihn beobachtete. Und jetzt, wo er in seinem Zimmer lag, was dachte er? Galten wir jetzt als Paar? War das etwas für die Öffentlichkeit? Wie würden wir uns morgen früh beim Frühstück begegnen? War es noch dasselbe wie früher, oder war jetzt alles anders?

      Und was würde mein Vater dazu sagen? Würde er es gutheißen? Traf es vielleicht sogar seine langjährigen Erwartungen? Ich wusste, mein Vater hatte Aiden sehr ins Herz geschlossen. Nicht umsonst betrachtete ich Aiden wie einen Bruder. Ich wusste, für Jack war er das. Oder vielleicht doch immer schon der zukünftige Schwiegersohn?

      Ich drehte mich von einer auf die andere Seite in dieser Nacht. Ließ die Spieluhr laufen und beobachtete die Tänzerin, wie ich es als Kind schon getan hatte. Steckte mir den Ring auf den kleinen Finger und drehte ihn, immer und immer wieder. Wer war „M“? Bedeutungslos oder wegweisend? Hatte Waleah mir die Spieluhr geschenkt? Oder Michael, ihr Mann? War er „M“? Nein, ein Kinderring mit einem Herzsteinchen. Nichts für einen erwachsenen