Roberta C. Keil

Sommer des Zorns


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wurde, nachdem der Pathologe seine Arbeit an ihr erledigt hatte.

      Ich nahm es zögernd in die Hand und schluckte. Durch seinen Hals zog ein sauberer Schnitt einen schwarzen Streifen.

      „Ist er… ist er – tot?“ Es war mir nicht klar, warum ich danach fragte, denn das Foto war eindeutig.

      „Ja, er wurde ermordet und zwar auf dem Parkplatz der Bar so gegen vier Uhr morgens. Die Überwachungskamera zeigte Fotos, auf denen dein Wagen zu sehen war, genau an der Stelle, wo der Mann lag. – Jacky, wenn er zudringlich geworden ist, und du dich nur gewehrt hast, zählt das als Notwehr. – Jeder wird dir glauben!“

      „Meine Tochter hat niemanden getötet! Und um vier Uhr morgens war sie längst wieder zu Hause.“ Jack fiel ihm aufgebracht ins Wort.

      Ich starrte Billy an. Man verdächtigte mich? Ich schüttelte den Kopf.

      „Ich war das nicht. Als ich ihn dort verlassen habe, stand er noch aufrecht und wollte meine Telefonnummer haben.“

      „Hast du sie ihm gegeben?“

      „Nein, ich bin einfach losgefahren. Aber da war noch dieser andere Mann. Habt ihr den auch schon befragt?“

      „Kennst du den Toten?“

      „Nur seinen Vornamen. Mehr nicht. Er sagte, er heißt David. Ach ja, und das er aus Chicago kommt, hat er mir erzählt.“

      Die Visitenkarte unterschlug ich.

      „Ich würde mich gerne unter vier Augen mit dir unterhalten, Jacky!“

      Billies Blick traf Jack von der Seite. Ich zuckte nur die Schultern.

      „Ich krieg das schon hin, Dad.“

      „Wir haben keine Geheimnisse!“, entgegnete er mir brüskiert.

      Jack folgte uns ins Büro, wohin ich Billy mit einer Geste eingeladen hatte. Wir waren schon zusammen zur Schule gegangen. Als ich mit dem Studium begann, ging er zur Akademie und ließ sich als Police-Officer ausbilden. Vor zwei Jahren kehrte er erst nach Camp Verde zurück und nahm die Stelle als Sheriff an. Franks Unfalltod war sein erster Fall.

      „Jack, bitte!“ Billy baute sich vor ihm auf. „Es geht um Details. Ich möchte Jacky nur schützen.“

      Jack zog die Stirn kraus. „Vor ihrem Vater? – Was denkst du? Wir haben keine Geheimnisse, stimmt‘s Jacklyn?“

      Mir war bewusst, dass Jack nun die Wahrheit über meine nächtlichen Ausflüge erfahren würde. Aber wenn nicht jetzt, wann dann? Dieser Middleton würde es so oder so dazu bringen, dass Jack erfuhr, was ich manchmal in Phoenix getan hatte. Also trat ich die Flucht nach vorn an.

      „Es ist schon okay, Billy. Es stört mich nicht, wenn er dabei ist. Dann muss ich nicht alles zweimal erzählen.“

      Ich setzte mein Lächeln ein und Billy gab auf. Wir gingen trotzdem ins Büro. Andere Mitarbeiter der Ranch mussten nicht wissen, um was es ging.

      „Es gibt noch ein anderes Foto.“ Billy legte es auf meinen Schreibtisch. Es zeigte David und mich in Bar bei einem Kuss. „Auf seinem Rücken gab es Kratzspuren! Deine Fingerabdrücke sind in seinem Hotelzimmer. Es ist naheliegend, dass an dem Abend zwischen Euch mehr passiert ist, als das!“ Er zeigte wieder auf das Foto.

      Ich zog die Schultern hoch und atmete tief durch.

      „Was soll ich sagen? Touchè! Er war mir sympathisch und ich folgte seiner Einladung in sein Hotelzimmer. Meinen Wagen ließ ich auf dem Parkplatz des Char’s stehen. Als ich später nach Hause fahren wollte, lauerte mir ein anderer Mann auf. Offensichtlich hat er mich schon des Öfteren dort beobachtet. Er war verärgert, weil ich ihn mal habe abblitzen lassen. Er bedrängte mich, als David dort erschien, weil er meine Nummer haben wollte. Ich gab sie ihm nicht, sondern setzte mich in meinen Wagen und fuhr nach Haus. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

      „Wer war der andere Mann?“

      „Er hieß, warte mal…“, ich tat, als würde ich überlegen müssen, „…Ted Middleton, oder so ähnlich. Er glaubte, mich erpressen zu können, weil er herausgefunden hatte, wer ich bin. Ich weiß nichts über ihn. – Doch warte, ich glaube, er arbeitet in unserer Bank in Prescott.“

      Jacks Augen flackerten auf, als ich den Namen aussprach, aber nach einem kurzen Blickkontakt mit mir, schwieg er.

      „Du warst also im Hotelzimmer dieses Davids?“

      „Ja.“

      „Und du hast keine näheren Informationen über ihn?“

      „Billy, ich hatte nicht die Absicht, die Beziehung zu vertiefen.“

      Er nickte und starrte noch lange auf das Bild. Billy und ich hatten mal auf einer Klassenparty getanzt und uns irgendwann auch geküsst. Ob er sich jetzt gerade daran erinnerte? Er war nicht mein Typ. Und ich nicht seiner. Wenn ich an Sally, seine Frau, dachte, musste ich schmunzeln. Sie war das Gegenteil von mir, niedlich, rundlich, häuslich. Alles Eigenschaften, die mir fehlten. Ob Sally das von Billy und mir wusste?

      „Was weißt du über diesen Ted Middleton?“

      „Er arbeitet bei unserer Bank in Prescott. Wir sind Kunde dort. Mehr weiß ich wirklich nicht.“

      „Das mit der Erpressung kann ich bestätigen“, mischte sich Jack jetzt doch ein. „Ich hatte gestern Morgen einen Termin in dieser Bank und der Mann begegnete mir. Er machte anzügliche Bemerkungen über Jacky, als wolle er mir geheime Informationen über sie zustecken. Er benutzte Worte, die mir absolut nicht gefallen haben. Ich habe ihn aber abblitzen lassen. Meine Tochter ist erwachsen und weiß, was sie tut. Doch möglicherweise stalkt er sie.“

      „Jacky, bist du sicher, dass Middleton noch auf dem Parkplatz war, als du weggefahren bist?“

      „Ja, sehr sicher. – Ich hätte David nicht mit ihm allein lassen dürfen.“ Die einsame Träne, die sich jetzt einen Weg aus meinem Augenwinkel suchte und heiß meine Wangen hinunterrann, war echt. Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen.

      „Okay. Kannst du morgen zu mir in die Station kommen und das Protokoll unterschreiben?“

      Ich nickte nur.

      „Gut! Darf ich dein Messer haben, Jacky?“ Er zeigte auf meinen Gürtel. Ich folgte seinem Finger mit den Augen zu meiner rechten Hüfte und sah ihn erstaunt an.

      „Nur zur kriminaltechnischen Untersuchung. Wenn du nichts damit zu tun hast, hast du nichts zu befürchten und bekommst es wieder.“ Nur zögernd nahm ich das Messer aus der Lederscheide, die ich selbst als Kind zusammen mit meinem Großvater angefertigt hatte, und reichte es ihm widerwillig.

      „Dann bin ich für heute hier fertig. Auf Wiedersehen Jacky, Jack!“ Er griff sich wieder an die Krempe.

      „Billy! Ist Jacky damit entlastet?“

      „Es gibt keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Wenn das Messer sauber ist, bestätigt das nur ihre Unschuld. Diesen Middleton werde ich jetzt mal unter die Lupe nehmen. Macht euch keine Sorgen, Jack.“

      „Danke, Billy. Lass es uns wissen, wenn es etwas Neues gibt!“

      Billy hob nur noch grüßend die Hand und setzte sich in seinen Wagen. Ich beobachtete von meinem Schreibtisch aus, wie sein Auto eine Staubwolke hinter sich herzog, als er den Hügel wieder hinunterrollte.

      Die Bürotür schlug jetzt krachend ins Schloss. Ich fuhr zusammen. Jack lehnte sich von innen dagegen.

      „Das also treibst du in den Nächten in der Großstadt. – Du wirfst dich Männern an den Hals?“

      Ich starrte immer noch aus dem Fenster, bemüht ruhig weiter zu atmen. Mit dieser Diskussion hatte ich ja gerechnet. Trotzdem erwischte sie mich kalt.

      „Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Weder einem Ehemann, noch sonst irgendjemandem. Davon abgesehen übertreibt dieser Middelton. David war eine Ausnahme, er und ein oder zwei andere. Ich werfe mich keinem Mann an den Hals.“ Nur leise formulierte