Roberta C. Keil

Sommer des Zorns


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schuldig, aber wenn dich dein Verhalten in Schwierigkeiten bringt, dann schon.“ Er atmete laut aus. „Hast du diesen Mann getötet, Jacky? Ist er dir zu nahegetreten?“

      Ich spürte, die Hoffnung, die er hegte, mit der er mich entschuldigen konnte, einen Menschen getötet zu haben. Dennoch drehte ich mich zu ihm um und fixierte seinen Blick.

      „Bist du mein Dad? Oder wer fragt mich das gerade?“

      Ich war fassungslos. Mein Vater fragte mich, ob ich einen Mord begangen hatte.

      „Jacky, ich lerne gerade eine Seite an dir kennen, die mir bisher unbekannt war. Ich dachte, du seiest meine Tochter. Aber meine Tochter würde sich nicht so verhalten!“

      „Entschuldige bitte, dass ich einsam bin! Jack! – Deswegen bin ich trotzdem noch deine Tochter.“

      Mit seinen Worten war es ihm tatsächlich gelungen, mich wütend zu machen.

      „Komm endlich in der heutigen Zeit an, Jack!“

      Ich drängte mich an ihm vorbei, zur Tür hinaus auf den Hof. Die Atmosphäre in unserem Büro war stickig geworden und ich brauchte frische Luft.

      Im Stall fand ich einen Blecheimer, der Opfer meiner Gefühle wurde. Scheppernd flog er in die Ecke. David war ermordet worden. Gerade als ich beschloss, ihn zu mögen und mit meinem Vorsatz der einmaligen Erlebnisse zu brechen. In dieser Nacht verschwendete ich nicht einen vagen Gedanken daran, David könnte sich in Gefahr befinden. Denn einen Mord traute ich diesem Middleton nicht zu. Er war ein Stänkerer, aber auch ein Feigling.

      Eine weiche Pferdeschnauze stupste mich an.

      „Ich kann nicht schon wieder einen Ausflug mit dir machen. Die Arbeit im Büro erledigt sich nicht von allein.“

      „Geht es dir gut?“

      Es tat gut, die ruhige Stimme von Aiden zu hören. Ich nickte. Es ging mir gut, dachte ich. Ich lebte schließlich noch.

      „Was wollte Billy?“

      „Es gab Stress in einer Bar in Phoenix, in der ich vorgestern war. Mein Auto wurde auf dem Parkplatz gesehen. Billy wollte wissen, ob ich zu der Sache eine Aussage machen kann. Aber ich habe nichts mitbekommen.“

      Ich hatte Aiden noch nie angelogen. Noch nie. Bis zu diesem Moment. Was redete ich da? Stress in der Bar…? David war ermordet worden. David.

      Ich sah seine braunen Augen vor mir, sein schwarzes Haar, das nach diesem, diesem neuen Shampoo duftete, glaubte den Geruch seines Rasierwassers noch riechen zu können.

      „Jacky?“

      Ich starrte Aiden immer noch an. Seine braunen Augen, sein schwarzes Haar. Die weichen Gesichtszüge. Meine Hand zuckte, weil ich es berühren wollte, dieses Gesicht. Über die Wange streichen, die zarte Haut fühlen. Mit einem kurzen Kopfschütteln versuchte ich, diese Gedanken zu verdrängen. David!

      „Ich muss zurück ins Büro! Die Arbeit wartet. Kraftfutter. Ich muss die Kraftfutterbestellung aufgeben.“

      Es gelang mir nicht schnell genug diesen Augen zu entfliehen. Warum war mir Davids Ähnlichkeit mit ihm nicht gleich aufgefallen. Aiden trug sein Haar lang und David kurz. Aber sie waren beide hochgewachsen und muskulös. Aidens Gesichtszüge waren etwas weicher, aber sie ähnelten sich sehr.

      Ich bemühte mich, ihm den restlichen Tag nicht zu begegnen. Wo auch immer er auftrat, verschwand ich. Erst beim Abendessen saßen wir uns wieder gegenüber. Hier konnte ich ihm nicht entfliehen, vermied es aber, ihn anzusehen.

      „Ich habe soeben mit Billy telefoniert!“, eröffnete Jack das Gespräch. Seine Gesprächspause wartete auf ein neugieriges Nachfragen. Das blieb jedoch aus. Ich wusste, ich war unschuldig. Und Aiden starrte auf sein Essen.

      „Es gibt eine Veränderung in dem Fall.“

      Jetzt hob ich den Blick und sah Jack an.

      „Ted Middleton ist verschwunden.“

      Ich schwieg.

      „Willst du nicht mehr darüber wissen?“ Sein Blick bohrte sich förmlich in meinen.

      „So, wie du es sagt, klingt es, als wäre er tot.“ Waleah antwortete an meiner Stelle.

      Jack starrte mich immer noch an.

      „Nein, tot ist er nicht. Das heißt, man weiß es nicht. Jedenfalls ist er heute Morgen nicht zur Arbeit erschienen und Billy konnte nicht mit ihm sprechen. Hast du etwas damit zu tun, Jacklyn? Wenn ich nicht wüsste, dass du die ganze Nacht zuhause gewesen wärest, könnte man annehmen, ein unbequemer Zeuge wurde beseitigt.“

      Aufgebracht sprang ich auf und mein Stuhl fiel lautstark auf den Boden.

      „Ich habe nichts damit zu tun, weder mit dem Mord, noch mit dem Verschwinden von diesem, diesem - Fettsack!“, presste ich hervor und stürmte aus dem Raum.

      Mein Weg führte mich geradewegs zu Princess. Sie war in kürzester Zeit gesattelt und trug mich in die Prairie hinaus.

      Der immer noch heiße Abendwind brachte etwas Ordnung in das Chaos meines Kopfes. Was war nur geschehen? Warum war Middleton verschwunden? Wurde er aus dem Weg geräumt? Oder war er nach dem Mord an David untergetaucht? Musste ich jetzt mit ihm rechnen?

      Jack hatte Billy gegenüber von Stalking gesprochen. Man würde es mir sein Verschwinden anlasten können. Aber Jack gab mir ein Alibi. Woher nahm er die Gewissheit, dass ich die ganze Nacht in meinem Zimmer gewesen war und das Haus nicht verlassen hatte? War er zum Wächter geworden, der seine erwachsene Tochter nicht mehr aus den Augen ließ? Oder hatte ihn die Schlaflosigkeit ob meiner Aktionen und Middletons Aussagen umgetrieben? Vielleicht war er auch derjenige, der mich schützen wollte? Hatte er…? Nein! Niemals! Niemals würde Jack einen Menschen entführen oder gar töten. Das war das letzte, das er tun würde.

      Mein Blick glitt über den Horizont. Die Spitzen der Berge wurden von der untergehenden Sonne in ein zartes Rosa getaucht. Die sonst weißen Kuppen der Rocky Mountains leuchteten geradezu. Das war mein liebster Anblick und ich hielt Princess an, um einen Moment lang diese Aussicht zu genießen. Die Farbe zeichnete alles weich. Ich spürte die steile Falte auf meiner Stirn. Meine Heimat war in Gefahr. Das Prickeln, das ich immer verspürt hatte, wenn ich an die Nächte in Phoenix dachte, verwandelte sich jetzt in einen unangenehmen Schmerz. Es war umgeschlagen und wurde zu einer unausgesprochenen Bedrohung.

      Kapitel 4

      „Kannst du das mal halten?“

      Aiden reichte mir ein Stück Zaun. Wir mussten unbedingt den Acker vor den wilden Mustangs schützen. Die Herde war von unseren Arbeitern am Morgen hier in der Nähe gesichtet worden. Sie würden ins Feld galoppieren und das junge Getreide zerstören. Die zarten Halme waren vielleicht zehn Zentimeter hochgewachsen und leuchteten in frischem Grün. Wenn die Mustangs sich jetzt daran gütlich taten, war an eine erfolgreiche Ernte nicht mehr zu denken. Also setzten wir jetzt Pfähle und spannten einen Zaun, der sie davon abhalten sollte.

      Ich fand es lächerlich. Kein Zaun in dieser Höhe hielt einen Mustang davon ab, seinen Weg fortzusetzen. Aber eine andere Möglichkeit hatten wir nicht.

      Mein Blick glitt über das Feld. Der Weizen neigte sich mit seinen schlanken Halmen gen Westen. Hier wehte oft der Ostwind von den Bergen herab und gab den Halmen ihre Form. Die leichte Neigung behielten sie bis zur Ernte bei. Das hatte ich schon oft gesehen.

      „Du bist nicht bei der Sache, Jacky. – Gib mir den Draht. Bitte!“

      Aidens Tonfall klang ärgerlich. Aber zu Recht. Ich war mit meinen Gedanken beschäftigt und konzentrierte mich nicht auf die Arbeit. Meistens war er mit mir sehr nachsichtig. Aber diesen Tonfall kannte ich an ihm. Ich nahm es ihm nicht übel.

      „Wie denkst du über die Zucht mit den wilden Mustangs? Wir könnten einen fangen?“

      Ich handelte mir mit meiner Frage einen erstaunten Blick ein.

      „Du weißt genau,