Hedwig Courths-Mahler

Das Halsband


Скачать книгу

      »Bleib doch heute zu Hause, Joachim,« bat sie eindringlich.

      Er lachte, aber dieses Lachen kam nicht aus dem Herzen. Es klang leer und unnatürlich.

      »Aber Mama — sei doch nicht so ängstlich. Ich brauche den Ritt wie einen Schlaftrunk. Gute Nacht.«

      Er küßte ihr die Hand und ging eilig davon.

      Seine Mutter erhob sich und trat an die Terrassenbrüstung. Wieder flog ihr Blick sorgend zum Himmel empor. Es war unheimlich still und schwül. »Ruhe vor dem Sturme,« mußte sie denken.

      Und da führte ein Reitknecht bereits Joachims Pferd vorüber. Es hob den Kopf und sog mit den Nüstern wie prüfend die Luft ein.

      Gleich darauf sah sie ihren Sohn über den Rasenplaz reiten. Sie starrte ihm nach. Was war es nur, das ihn so ruhelos und freudlos gemacht hatte?

      Der Reitknecht schritt wieder mit ehrfurchtsvollem Gruße an ihr vorüber nach den Ställen hinüber, die hinter dem Gebäude lagen, das an den westlichen Flügel des Schlosses angebaut war. In diesem Gebäude waren die Verwaltungsräume untergebracht. Im Erdgeschosse lag das Rentamt. Man konnte es durch den westlichen Schloßflügel betreten. Eine einzige Tür war durch die starken Schloßmauern gebrochen. Sie war von Eisen, eine Doppeltür, zu der nur der Graf von Wildenfels den Schlüssel hatte. Niemand durfte diese Tür benutzen als der Graf und der Rendant, denn sie führte direkt in den Raum, wo in eingebauten eisernen Wandschränken die Kasse, die Wirtschaftsbücher, aller wertvolle Schmuck und das silberne Tafelgeräte, soweit es nicht täglich gebraucht wurde, untergebracht waren. Hier ruhte wohlverwahrt gegen Feuersgefahr und Diebstahl der Reichtum der Grafen von Wildenfels.

      Im ersten Stocke des Gebäudes befand sich die Wohnung des Rendanten und seiner Familie, im zweiten Stocke wohnten die beiden ledigen Verwalter. Die sonstigen Wirtschaftsgebäude lagen hinter dem Park am See.

      Gräfin Thea war hinaufgegangen in ihre Zimmer. Als sie ihr Vorzimmer betrat, erhob sich eine etwa fünfzigjährige Frau in schwarzem Kleide, weißem Häubchen und weißer Schürze. Sie hatte am Fenster gesessen und vor Eintritt der Dämmerung wohl in dem Buche gelesen, das auf ihrem Schoße gelegen. Ihr frisches, rundes Gesicht wandte sich der Gräfin mit sorgendem Ausdruck zu.

      »Heute hätten Frau Gräfin nicht zulassen sollen, daß der gnädige Herr Graf ausreiten. Es gibt ein schweres Wetter,« sagte sie fast vorwurfsvoll. Es war Frau Friederike Grill, Gräfin Theas langjährige Kammerfrau. Als junges Zöfchen hatte sie vor dreißig Jahren ihren Einzug in Schloß Wildenfels gehalten. Später war sie die Frau des Kammerdieners des Grafen, Heinrich Grill, geworden, ohne deshalb ihren Dienst bei der Gräfin Thea aufzugeben. Sie wurde einfach zur Kammerfrau erhoben und blieb auf ihrem Posten, als ihr Mann vor etwa zehn Jahren starb. Gräfin Thea hielt große Stücke auf die ihr treu ergebene Person und sprach wohl auch ein vertrauliches Wort mit ihr. Gelegentlich ließ sie sich sogar ein wenig von ihr tyrannisieren.

      Jetzt blickte sie kummervoll in das treubesorgte Gesicht.

      »Grill — du weißt doch — er läßt sich nicht halten,« sagte sie leise.

      Grill — sie wurde seit ihrer Verheiratung nur so von der Gräfin genannt — nickte mit dem Kopfe.

      »Na ja — na ja — aber heute hätte der gnädige Herr Graf man doch lieber zu Hause bleiben sollen.«

      Gräfin Thea seufzte.

      »Hast du mal nach Lothar gesehen, Grill?«

      Die nickte lächelnd.

      »Na — das lasse ich mir doch nicht nehmen. Erst hat er noch sein Späßchen mit mir gemacht, dann ist er mit einem Purzelbaum quer durchs Zimmer, nun liegt er und schläft — so fest und ruhig — den weckt kein Gewitter auf, bis er ausgeschlafen hat.«

      »Leg mir einen bequemen Morgenrock zurecht. Ich will erst noch zu ihm hinüber, dann hilfst du mir beim Umkleiden. Zu Bette will ich gar nicht erst gehen, das Wetter treibt mich doch wieder heraus.«

      Sie ging nach Lothars Schlafzimmer. Liebevoll sah sie auf den Schläfer herab und freute sich an seinen ruhigen tiefen Atemzügen. Ein heißes Gebet für sein Wohl stieg aus ihrem Herzen empor. Dann ging sie leise hinaus.

      Grill kleidete ihre Herrin flink und gewandt in ihren weichen Morgenrock und löste aus den noch recht ansehnlichen grauen Flechten die Nadeln. Während sie das Haar bürstete und für die Nacht in einen Zopf einflocht, plauderte sie von den Ereignissen des Tages, um ihre Herrin zu zerstreuen. Aber dabei lauschten doch beide immer wieder hinaus. Ein heftiger Wind hatte sich erhoben. Grill mußte die Fenster schließen. Dabei sah sie, daß die Wolkenwand gespensterisch und unheimlich näherzog. Gräfin Thea hatte sich erhoben und trat neben sie.

      »Das sieht böse aus, Grill. — Ich gehe hinüber in mein Wohnzimmer. Wenn du willst, kannst du zu Bette gehen.«

      »Aber nein, Frau Gräfin können doch denken, daß ich bei dem Wetter wach bleibe. Frau Gräfin brauchen nur zu rufen, wenn Sie mich brauchen.«

      »Es ist gut, Grill.«

      Gräfin Thea ging in ihr Wohnzimmer. Es war ein ziemlich großer Raum im Stile Ludwigs XIV. Prachtvolle Damastbezüge und Vorhänge in goldgelber Farbe gaben dem Raume ein vornehmes Gepräge. Ueber dem Kamine hing ein kostbarer Gobelin. Mitten im Zimmer stand auf einem weichen, in grauen Tönen gehaltenen Teppich ein Tisch mit schwarzer Marmorplatte, deren Mitte ein Blumenkorb mit dunkelroten Rosen zierte. Am Fenster stand ein Schreibtisch, darüber hing das lebensgroße Porträt ihres Sohnes. Er trug noch die Uniform seines Regiments und mochte höchstens dreiundzwanzig Jahre gezählt haben, als das Bild gemalt wurde.

      Gräfin Thea stellte sich an das Fenster. Ihr Blick wandte sich in das Zimmer zurück auf das Bild ihres Sohnes. Ja. — Damals — da war er noch froh und glücklich gewesen. Gerade in jener Zeit hatte es wie Sonnenglanz auf seinen Zügen gelegen.

      In Gedanken stand sie da und grübelte, wie so oft, über sein verändertes Wesen nach. Da schreckte sie plötzlich zusammen, ein greller Blitz leuchtete auf, dann ein furchtbarer Donnerschlag, der die Fenster klirren machte. Es war, als sei dies ein Signal gewesen, das alle Elemente entfesselte. Ein orkanartiger Sturm brach mit plötzlicher Gewalt los. Die Baumriesen im Parke wurden wie schwache Rohre hin- und hergebogen. Es krachte und knatterte unaufhörlich, als sei alles, was sich dem Sturm entgegenstellte, dem Untergange geweiht. Und dann wieder in kurzer Folge Blitz und Donner, dazwischen das Heulen des Sturmes und endlich ein wolkenbruchartiger, mit Hagelschauern vermischter Regen.

      Gräfin Thea war entsetzt in das Zimmer zurückgewichen und in einen Sessel gesunken. Schreckensbleich starrte sie vor sich hin und faltete die Hände. Wo mochte Joachim sein in diesem furchtbaren Unwetter? Kehrte er noch nicht heim?

      Wieder krachte ein knatternder Donnerschlag hernieder.

      »Vater im Himmel — schütze meinen Sohn,« flüsterte sie mit bebenden Lippen.

      Aber während dies Gebet zum Himmel stieg, lag Graf Joachim Wildenfels bereits blutüberströmt unter seinem Pferde auf der Chaussee. Ein durch den Sturm entwurzelter Baum hatte Pferd und Reiter unter sich begraben. Das Pferd war tot und Graf Joachim lag schwer verwundet und bewußtlos unter dem schweren Tierkörper.

      3.

      Das Unwetter hatte ausgetobt. So schnell und furchtbar es gekommen, so schnell war es vorübergegangen. Der Mond schien bereits wieder friedlich zwischen den zerrissenen Wolkenfetzen hervor. Gräfin Thea hatte in angstvoller Unruhe auf die Rückkehr ihres Sohnes gewartet. Die Unruhe steigerte sich von Minute zu Minute.

      Noch hoffte sie, daß er im Dorfe Unterschlupf gefunden hatte. Daß er aber dann sofort nach dem Gewitter heimkehren würde, um sie zu beruhigen,