Hedwig Courths-Mahler

Das Halsband


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meine Schuld geringer machen.«

      »Sei ruhig, mein Joachim — wie eine Tochter soll sie mir sein, das gelobe ich dir mit heiligem Eide.«

      Er atmete auf, wie von einer Last befreit.

      »Heißen Dank — nun kann ich ruhig meine Augen schließen — für immer.«

      »Joachim!«

      Es war ein herzzerreißender Klang in diesem einen Worte und er sah matt zu ihr empor.

      »Klage nicht, Mutter. Gönne mir die Ruhe. Ich habe furchtbar gelitten.«

      Müde schloß er die Augen. Sein Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an.

      Die Gräfin rief entsetzt nach dem Arzte, nachdem sie das Halsband und das Schreiben wieder in der Kassette geborgen hatte. Der Arzt flößte dem Verwundeten noch einmal die belebenden Tropfen ein. Seine Augen öffneten sich wieder und wurden klarer.

      »Hole mir Lothar — Mutter. Nicht wahr, Doktor, es ist Zeit zum Abschiednehmen?«

      Der Arzt antwortete nicht und sah ihm in seine Augen.

      Gräfin Thea war hinausgeeilt. Leise trat sie in Lothars Schlafzimmer und weckte ihn.

      »Lothar, mein lieber Junge — komm — werde munter — steh' auf.«

      Lothar setzte sich erstaunt im Bette auf und rieb sich die Augen.

      »Was ist denn — Großmama, es ist doch noch ganz dunkel. Warum soll ich denn aufstehen?«

      »Komm schnell, mein liebes Kind. Und sei recht tapfer und ruhig. Dein armer Papa ist krank. Weißt du — erschrick' nicht — er ist gestürzt — mit Fafner. Und nun möchte er dich sehen.«

      Mit einem Ruck war Lothar aus dem Bette. Sein frisches Gesicht war blaß geworden und die Augen blickten erschrocken.

      »Großmama — sag es mir — ist es schlimm?«

      »Ja, mein Lothar.«

      In fliegender Haft warf Lothar einige Kleidungstücke über. Seine Großmutter half ihm mit zitternden Händen. Und dann schritten sie, eng umschlungen, hinüber in das Krankenzimmer.

      Ehe sie eintraten, flüsterte die Gräfin: »Bleibe recht ruhig, Lothar. Stark mußt du sein, damit du Papa nicht noch mehr Herzeleid machst.«

      Er schluckte tapfer die Tränen hinunter. »Ich weine ganz gewiß nicht, Großmama,« sagte er mit bebender Stimme.

      Und er hielt Wort, der kleine Mann. So sehr er erschrak beim Anblick seines Vaters, er ließ die Tränen nicht heraus, die ihn im Halse würgten. Graf Joachim sah mit umflorten Augen auf seinen Sohn und legte seine Hand auf das junge Haupt.

      »Sei stark und fest, mein Sohn — und treu dir selbst. Gott segne dich,« sagte er eindringlich, wie beschwörend.

      Der Arzt hatte das Zimmer verlassen, als Lothar mit seiner Großmutter eintrat. Der Knabe küßte des Vaters segnende Hand.

      »Papa — lieber Papa — du wirst doch wieder gesund?« brach es angstvoll über seine Lippen.

      Eine Träne schimmerte in Graf Joachims Augen. »Mein lieber Junge — mein geliebtes Kind,« murmelte er, und der Schmerz, von seinem Kinde fort zu müssen, übermannte ihn. Dann aber faßte er sich und wandte sich seiner Mutter zu.

      »Wenn du das Werk nicht vollenden kannst, Mutter — dann soll Lothar alles wissen — dann soll er — gutmachen. Bewahre meine Aufzeichnungen — für ihn — wenn es sein muß.«

      Sie beugte sich über ihn und küßte seine Augen.

      »Dein Wille soll geschehen — und sei ruhig — wir werden sie finden und alles sühnen — alles,« flüsterte sie.

      Der Arzt trat leise wieder ein. Ein Blick in Joachims Gesicht verriet ihm, daß das Ende nahe sei. Er gab der Gräfin, auf Lothar zeigend, einen Blick.

      Sie verstand ihn und faßte erschreckt nach dem Herzen. Joachim schien bewußtlos. Liebevoll führte sie Lothar bis zur Türe.

      »Gehe in dein Zimmer, mein Kind — ich komme nachher zu dir. Papa muß jetzt Ruhe haben.«

      Gehorsam ging Lothar hinaus. Sie sah ihm nach mit starrem Blicke.

      »Er soll seinen Vater nicht sterben sehen,« dachte sie erschauernd. Dann trat sie wieder an das Bett ihres Sohnes. Der Arzt zählte den Puls des Kranken und trat mit ernstem Gesichte zurück. Noch einmal schlug Joachim die Augen auf.

      »Mutter!«

      Sie beugte sich über ihn. »Mein Sohn?«

      Er lächelte. »Annie — süßes blondes Kind — wie golden dein Haar — wie ich dich liebe — du, mein Sonnenstrahl,« flüsterte er.

      Und dann klärten sich noch einmal seine Sinne.

      »Mutter — meine Mutter — Lothar und du — ihr beide — ach — schuldlos sein — schuldlos und Annie.«

      Er brach ab — ein langer, schmerzlicher Seufzer — das Auge brach. Graf Joachim war tot.

      Gräfin Thea drückte ihm mit sanfter Hand die Augen zu — dann sank sie ohnmächtig neben dem Bette nieder, ohne einen Laut. Bis zu diesem letzten Liebesdienste hatte ihre Kraft ausgereicht. Nun war sie zu Ende damit.

      4.

      Gräfin Susanne fand das Telegramm, welches ihr den Unfall ihres Gatten meldete und sie heimrief, bereits im Hotel vor, als sie in Ostende ankam. Mehr ärgerlich als betrübt gab sie ihrer Zofe und ihrem Diener Befehl, alles zur Heimreise zu rüsten.

      Es blieben ihr bis zur Abfahrt des nächsten Zuges einige Stunden Zeit. Sie nahm zur Erfrischung ein Bad, frühstückte und schrieb einige Billetts an ihre Bekannten, daß sie sofort wieder abreisen müsse.

      Müde und verdrießlich saß sie am Fenster und schaute hinaus auf das Meer. Unten herrschte schon reges Leben. Gräfin Susanne begriff nicht, daß alle Menschen so vergnügt aussahen. Sie konnte im Schlafwagen nicht rechte Ruhe finden. Und nun hatte sie die anstrengende Reise gemacht, um sofort wieder heimzukehren. Wieder stand ihr eine lange Bahnfahrt bevor. Und dann zu Hause, was erwartete sie da? Ein schwerer Unfall — so hatte der Arzt gemeldet. Nun konnte sie möglicherweise den ganzen Sommer in Wildenfels sitzen und Krankenpflegerin spielen. Brrr — sie schüttelte sich. Kranke Menschen waren ihr widerwärtig, sie mied sogar das Krankenzimmer, wenn ihr Sohn das Bett hüten mußte.

      Was mochte nur geschehen sein? Solche Telegramme waren entsetzlich. Man hätte doch Rücksicht darauf nehmen müssen, daß sie erst die weite Reise hinter sich hatte. Kehrte sie aber nicht sofort zurück, dann war ihre Schwiegermutter sicher wieder gekränkt und beleidigt.

      Sie las die Depesche noch einmal durch: »Graf Joachim von schwerem Unfall betroffen. Zustand bedenklich. Sofortige Rückreise dringend erwünscht. Dr. Kreuzer.« Nervös nagte sie an der Unterlippe. Diese Nachricht hätte etwas weniger im Depeschenstil gehalten sein sollen. Dieser Dr. Kreuzer war sehr kurz angebunden. Ihre Schwiegermutter hätte wohl dafür sorgen können, daß man ihr ausführliche Nachricht gab. Aber die war natürlich kopflos vor Schreck. Wenn ihrem Sohn oder Lothar nur ein Finger weh tat, war sie schon außer sich.

      Aergerlich — zu ärgerlich und hier in Ostende hätte es so amüsant werden können.

      Sie erhob sich und trat vor den Spiegel. Aufmerksam betrachtete sie ihr schönes, regelmäßiges Gesicht. Ihr Teint war frisch und zart, wie bei jungen Mädchen, obwohl sie schon im dreiunddreißigsten Jahre stand. Keinerlei seelische Erregungen hatten in diesen glatten Zügen Runen hinterlassen. Hätten die etwas zu hellen,